Chinas Stahlkocher geben einige Rätsel auf

Trotz steigender Eisenerzpreise und schwacher Ertragsperspektiven schießen die Börsenkurse in den Himmel

Chinas Stahlkocher geben einige Rätsel auf

Von Norbert Hellmann,SchanghaiChinas riesige und überdimensionierte Stahlbranche steht seit dem Frühjahr vor denkbar schwachen Ertragsperspektiven. Angesichts hoher Überkapazitäten im Sektor und einer nach wie vor stark gedrückten Baukonjunktur zeigen die Stahlpreise im chinesischen Binnenmarkt immer weiter nach unten.Auf der Rohstoffbeschaffungsseite jedoch, wo Chinas Stahlwirtschaft stark auf Eisenerzimporte aus Ländern wie Australien und Brasilien angewiesen ist, sind die Preise seit einem Tief im April stark am Klettern. Während diese Konstellation geradezu zwangsläufig für stark eingetrübte Ertragsperspektiven bei den chinesischen Stahlunternehmen sorgt, hält man an Chinas boomenden Börsen ausgerechnet für die Stahlbranche den Daumen besonders steil nach oben.Am hoch volatilen chinesischen Aktienmarkt sind es zur Wochenmitte erneut Energie- und Metallwerte, die den führenden Aktienindizes im Reich der Mitte wieder Beine gemacht haben und dabei kräftig mithelfen, aus einer Delle herauszufinden. In der vergangenen Woche hatte der überhitzt wirkende Aktienmarkt die schlechteste Performance seit Juni 2008 erlebt und eine empfindliche Korrektur um gut 13 % erlitten. In dieser Woche setzt nun wieder eine Erholungsbewegung ein, die zur Überraschung der Marktexperten allerdings in erster Linie von Schwerindustriewerten getragen wird, bei denen zuvor erheblicher Korrekturbedarf geortet worden war. Neue BegeisterungswelleNach einem Plus um 2,2 % am Dienstag zog an der Börse Schanghai der marktbreite Hauptindex Shanghai Composite am Mittwoch um weitere 2,5 % auf 4 690 Punkte an, was eine erneut sehr kräftige Tagesbewegung bedeutet. Für die Aktie des größten Rohstahlproduzenten im Reich der Mitte, Hebei Iron & Steel, gab es kein Halten, der Kurs jagte um 8,25 % auf 6,82 Yuan in die Höhe.Bei den ebenfalls staatlichen Branchenkonkurrenten Wuhan Iron & Steel und Shandong Iron & Steel wurden sogar noch kräftigere Kursanstiege um 8,5 beziehungsweise 8,72 % verzeichnet, während die als weniger volatil geltende Aktie der vom Börsenmarktwert her größten chinesische Branchenadresse Baosteel aus Schanghai noch immerhin um 4,6 % auf 8,89 Yuan kletterte.Bei den Branchenanalysten werden mittlerweile bange Fragen gestellt, ob sich insbesondere im Stahlsektor eine besonders heftige Börsenblase manifestiert. Der Shanghai Composite ist trotz der noch nicht aufgeholten Korrektur der Vorwoche in diesem Jahr bislang um gut 42 % avanciert, was für sich genommen die beste Performance unter den Weltbörsen darstellt. Ein Sektorindex für die insgesamt 28 börsennotierten chinesischen Stahlproduzenten weist jedoch eine Performance für das laufende Jahr von mittlerweile 77 % aus.Chinas Börsen haben mit der im Herbst vergangenen Jahres gestarteten Megahausse angesichts immer trüberer Konjunkturperspektiven für die weltweit zweitgrößte Volkswirtschaft immer stärker an fundamental abgesicherter Bodenhaftung verloren. In der Stahlbranche aber ist die Diskrepanz besonders ausgeprägt. Ein Index, der die Profitabilität chinesischer Stahlproduzenten abbildet, hat sich seit Jahresbeginn glatt halbiert und steht nun auf dem tiefsten Stand seit beinahe sieben Jahren. Schlappe NachfrageBei den Analysten gibt es denn auch einiges Rätselraten über die Begeisterung der chinesischen Anleger für den Stahlsektor. Angesichts einer schwachen Baukonjunktur und eines immer schleppenderen Wachstums der Anlageinvestitionen ist die Nachfrage nach Stahlprodukten in China in den ersten fünf Monaten des Jahres um etwa 4 % zurückgekommen. Gleichzeitig ist der Output der chinesischen Stahlkocher in der Periode um 1,6 % geschrumpft.Für das Gesamtjahr deutet sich damit die erste Kontraktion im Sektor seit Beginn der neunziger Jahre ab. Zuletzt sind die Preise für Stahlträger, wie sie im Bau verwendet werden, auf 2 250 Yuan (rund 320 Euro) pro Tonne gesunken und liegen damit auf dem niedrigsten Niveau seit zwölf Jahren. Während Chinas Stahlproduzenten im Frühjahr noch von dem steilen Absturz der Weltmarktpreise für Eisenerz profitieren konnten, die im April auf den tiefsten Stand seit zehn Jahren gegangen waren, hat sich auch hier der Wind gedreht. Vage HoffnungswerteZum Juni-Ende hin hat sich der Eisenerzpreis um über 30 % erholt. Die sich nun abzeichnende Dynamik aus fallenden Stahl- und steigenden Eisenerzpreisen dürfte die Profitabilität in der Branche sehr stark angreifen, die Analysten gehen davon aus, dass das Gros der chinesischen Stahlkocher mit operativen Margen im Negativterritorium fährt. Um aus dieser Misere herauszufinden, müssten eine sehr kräftige Erholung der chinesischen Wirtschaft und ein Bauboom in der zweiten Jahreshälfte einsetzen, für den es bislang jedoch keinerlei konkrete Anzeichen gibt.