IM BLICKFELD

Dax-Konzerne sparen am Reisebudget

Von Michael Flämig, München Börsen-Zeitung, 18.8.2020 Die Corona-Pandemie hat die Wirtschaft fest im Griff. Die spannende Frage lautet: Welche Veränderungen sind nicht nur vorübergehend, sondern bleiben dauerhaft? Andreas Arndt, der die Deutsche...

Dax-Konzerne sparen am Reisebudget

Von Michael Flämig, MünchenDie Corona-Pandemie hat die Wirtschaft fest im Griff. Die spannende Frage lautet: Welche Veränderungen sind nicht nur vorübergehend, sondern bleiben dauerhaft? Andreas Arndt, der die Deutsche Pfandbriefbank führt, analysiert weltweit, wo Investoren ökonomische Chancen sehen und entsprechend in Immobilien investieren. “An ein paar strukturellen Themen kommen wir nicht vorbei”, ist er überzeugt. Im Blick hat er vorrangig den beschleunigten Aufschwung des Online-Handels, eine verringerte Nachfrage nach Büroflächen infolge des Homeoffice-Booms und das Reisen. Die künftige Entwicklung dieser Segmente sei aber noch nicht ausgehandelt: “Da ist sozusagen die Jury noch in Beratung.”Abwarten allerdings kann Erich Sixt sich nicht leisten. Sein Autovermietungsunternehmen lebt davon, dass die Menschen unterwegs sind – und dann vor allem auch auf Geschäftsreisen nach einem Flug Kraftfahrzeuge mieten. An den Flughäfen gehe es noch ziemlich traurig zu, sagte er jüngst bei der Präsentation eines hohen Halbjahresverlustes. Dies sei verständlich: “Die Menschen haben Angst, in ein Flugzeug zu steigen und sich mit dem Virus zu infizieren.” Außerdem sei es nicht angenehm, stundenlang mit einer Maske im Flugzeug zu sitzen. Erich Sixt, dessen Unternehmen mitten in der Pandemie in zehn neue Stationen an US-Flughäfen investierte, lässt sich trotzdem nicht bange machen: “Ich war bestimmt schon in sieben schwersten Krisen in meiner Berufslaufbahn. In jeder Krise schien es, als würde die Welt untergehen.” Aber, so seine Schlussfolgerung: “Die Menschheit würde nicht mehr leben, wenn sie nicht alle Krisen bewältigt hätte.” Reiner Winkler, der als Vorstandschef des Triebwerkherstellers MTU ebenfalls ein großes Interesse an dem Aufleben internationaler Geschäftsreisen hat, schlägt in die gleiche Kerbe. Er rechnet zwar mit einem schwierigen Jahr 2021. Aber: “Jeder erwartet, dass wir 2022/2023 wieder das Niveau des Jahres 2019 an Geschäftsreisen erreichen.” Flugreisende auf roter ListeWer allerdings zugehört hat, wie die Vorstandschefs der Dax-30-Unternehmen und ihre Finanzvorstände in der jüngst abgelaufenen Quartalssaison den Analysten erklärten, welche Sparpotenziale sie infolge der Coronakrise identifiziert haben, dem können zumindest Zweifel kommen, ob der Mensch in der Ausprägung des Geschäftsreisenden die Krise so gut überlebt, dass Flugreisen an alte Niveaus anknüpfen.Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Börse, Theodor Weimer, hat hier eine eindeutige Meinung: “Wir werden die Ausgaben für Reisen dramatisch reduzieren.” Schließlich habe die Deutsche Börse viel Geld beispielsweise in Videokonferenzen investiert. Also würden die Ausgaben für Geschäftsreisen auch künftig strukturell niedriger sein: “Das ist sehr klar.”Weimers Kollege Joe Kaeser hat ausrechnen lassen, dass Siemens von April bis Ende Juni 100 Mill. Euro eingespart hat, weil Reisen und Entertainment-Kosten infolge des Herunterfahrens des gesellschaftlichen Lebens um 70 % im Vergleich zum Vorjahresquartal sanken. Die Beschäftigten des Konzerns hätten stattdessen jeden Tag 800 000 virtuelle Konferenzen organisiert. Das Ziel von Kaeser: “Wir erwarten, dass wir einen signifikanten Anteil der Einsparungen auch in der Zukunft realisieren können.”Sein Finanzvorstand Ralf Thomas gibt als Daumenregel aus: Die Hälfte der Kostensenkungen möchte Siemens dauerhaft behalten. “Das ist das Ziel”, erklärte Thomas. Dies bedeutet für den gesamten Konzern: Die Ausgaben auch für Reisen sollen um rund ein Drittel sinken.Covestro-Vorstandsvorsitzender Markus Steilemann macht eine ähnliche Rechnung auf, die er als “best guess” kennzeichnet. Mindestens die Hälfte des aktuell eingesparten Volumens werde im nächsten Jahr wieder eine Ausgabe sein. Seine Begründung: “Man kann das Reisen nicht auf ewig stoppen.” Mit einer Rückkehr zu bisherigen Verhältnissen rechnet er allerdings damit nicht, vielmehr werden viele Reisen gestrichen.Zur Wahrheit gehört allerdings auch: Reisekosten sind für die meisten Unternehmen keine dominierende Größe in der Kostenrechnung. Linde-Finanzvorstand Matt White erklärt, der Konzern habe die Reisen stark reduziert. Trotzdem sei der Einfluss eher gering. Deutsche-Börse-Finanzvorstand Gregor Pottmeyer sieht ebenfalls keine wirklich materiellen Auswirkungen: “Wir sprechen hier über 10 oder 15 Mill. Euro mehr oder weniger.” Dies sei nur 1% der Gesamtkosten der Deutschen Börse.Die Pandemie ist zudem auf der Ausgabenseite ein Risikofaktor, wie James von Moltke festgestellt hat, der für die Deutsche Bank als Finanzvorstand agiert. Ausdrücklich vermerkte er im Gespräch mit Analysten: “Wir sind entschlossen, nicht zu erlauben, dass das aktuelle Umfeld unsere Kostensenkungspläne stört.” Auch die HV nur noch digital?Merck-CFO Marcus Kuhnert plädiert dafür, aus Unternehmenssicht weitere Covid-19-Kosten zu berücksichtigen. Zwar gebe der Pharmakonzern weniger für Reisen und Events aus, habe aber höhere Kosten für Fracht und Logistik. Auch Henkel-Finanzvorstand Marco Swoboda diagnostiziert steigende Transportkosten. Außerdem müssten Masken, Desinfektionsmittel und Covid-19-Tests bezahlt werden, merkt Kuhnert an. Saldiert spare Merck im Jahr 2020 einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag ein. Einen Blick in die Zukunft wagt er nicht: “Es hängt viel vom neuen Verhalten nach der Krise ab.”Welche Folgen eine Verhaltensänderung für die Umwelt hat, das hat SAP-Finanzvorstand Luka Mucic ermitteln lassen. Die CO2-Emissionen seien im Quartal um 50 Kilotonnen auf 25 Kilotonnen zurückgegangen. Im Gesamtjahr erwartet er nun, dass SAP 210 statt 238 Kilotonnen klimaschädlicher Gase emittiert.Gesunken sind auch die Marketingausgaben, wenngleich der Dax-30-Club hierzu keine detaillierten Angaben macht. Die Fernsehsender allerdings bekamen es drastisch zu spüren. Auch die Deutsche Post registriert die Folgen. “Einen dramatischen Einbruch im Dialog-Marketing-Volumen” habe der Lockdown gebracht, berichtet Finanzvorstand Melanie Kreis: “Das ist nicht überraschend.” Mittlerweile verzeichne die Deutsche Post eine leichte Erholung.Weniger Reisen wird es auch deswegen geben, weil jede Menge Events entfallen – die Messegesellschaften können ein Lied davon singen. Aber auch Vorstandssitzungen könnten digital sehr effektiv durchgeführt werden, ist Siemens-Finanzvorstand Thomas überzeugt. Er richtet seinen Blick auf die größeren Events des Konzerns, nachdem die Münchner im laufenden Jahr schon zwei Hauptversammlungen virtuell abgehalten haben: “Vielleicht sind digitale Hauptversammlungen in den nächsten Jahren eine weitere Quelle möglicher Einsparungen.”