IM INTERVIEW: JULIA REDENIUS-HÖVERMANN UND RITA PIKÓ

"Der Berater kann den Aufsichtsrat nicht ersetzen"

Unternehmenskontrolleure müssen ihre fachliche Qualifikation eigenverantwortlich sicherstellen - Kreditwesengesetz übernimmt Vorreiterrolle

"Der Berater kann den Aufsichtsrat nicht ersetzen"

Ein zentrales Ziel in der Corporate Governance ist seit Jahren die Professionalisierung der Aufsichtsräte. Die Gremienvertreter sollen nicht zu viele Mandate haben, genügend Zeit mitbringen und das nötige Know-how über die Branche und rechtliche Fragen haben. Die Qualifizierung von Aufsichtsräten spielt auch für Investoren eine immer größere Rolle, erläutern die Juristinnen Rita Pikó und Julia Redenius-Hövermann im Interview der Börsen-Zeitung.- Frau Prof. Redenius, Frau Dr. Pikó, welches Grundwissen muss ein Aufsichtsrat für seine Tätigkeit mitbringen?Redenius: Ein Aufsichtsratsmitglied muss die für die persönliche Wahrnehmung des Mandats notwendigen Mindestkenntnisse mitbringen oder sich diese aneignen. Das ergibt sich aus der Rechtsprechung, speziell der so genannten Hertie-Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 1982. Danach muss ein Aufsichtsrat die Kenntnisse und Fähigkeiten haben, um alle anfallenden Geschäftsvorgänge ohne fremde Hilfe verstehen und sachgerecht beurteilen zu können.- Wie ist das zu definieren? Muss man das Aktienrecht kennen, muss man eine Bilanz lesen können, muss man Risikomanagement verstehen? Wie weit reichen Mindestkenntnisse?Redenius: Das ist einer Einzelfallbetrachtung zu unterwerfen. Von einem normalen Aufsichtsratsmitglied ist zu erwarten, dass es eine Bilanz lesen und verstehen kann, nicht aber, dass er profunde Rechnungslegungskenntnisse hat. Zudem muss es das Geschäft des Unternehmens in seinen Grundzügen verstehen. Das gesamte Know-how muss nicht schon bei Eintritt in das Gremium vorhanden sein, man kann es sich auch nach Annahme des Mandats aneignen – das hat der BGH verdeutlicht, speziell auch mit Blick auf die Arbeitnehmervertreter.Pikó: Die Kenntnisse der Gremiumsmitglieder müssen mit der Unternehmenssituation korrelieren. Das heißt: bei Vorliegen eines Compliance-Vorfalls müssen die Mitglieder des Aufsichtsrats wissen, welche Kontrollaufgaben sie haben.- Sie differenzieren zwischen Anteilseigner- und Arbeitnehmerbank. Gibt es hier unterschiedliche Anforderungen?Redenius: Überhaupt nicht, sie haben identische Kenntnisse mitzubringen. Bei einem unternehmensfremden, aktiven Vorstand, der in einen Aufsichtsrat gewählt oder gerichtlich bestellt wird, kann man unterstellen, dass er eine Bilanz lesen kann. Dagegen kennt er das Unternehmen vermeidlich nicht so gut wie ein Arbeitnehmervertreter aus dem eigenen Haus.- Gibt es gesetzliche Vorgaben?Redenius: Die rechtlichen Pflichten für die Aktiengesellschaft ergeben sich aus dem Aktiengesetz, dem Deutschen Corporate Governance Kodex und zusätzlich, für Finanzdienstleistungsunternehmen, aus dem Kreditwesengesetz (KWG) oder für die Versicherungen dem VAG. Die Fortbildung der Aufsichtsräte betreffend ist dem KWG in seiner Neufassung eine Vorreiterrolle zuzusprechen: Die Institute sind verpflichtet, angemessene finanzielle und personelle Ressourcen einzusetzen, um den Aufsichtsratsmitgliedern sowohl die Einführung in das Amt als auch die Fortbildung zu ermöglichen, die für die Aufrechterhaltung der erforderlichen Sachkunde notwendig ist.- Überprüft denn überhaupt jemand, ob ein Aufsichtsrat Grundkenntnisse hat?Redenius: In Industrieunternehmen ist es ausschließlich Angelegenheit der Aktionäre, die den Aufsichtsrat frei wählen und an keine Wahlvorschläge des Aufsichtsrates gebunden sind. Dabei hinterfragen die Anleger immer häufiger die fachliche Eignung des Aufsichtsrats. Bei den Finanzdienstleistern und Versicherern prüft die BaFin zudem die fachliche Eignung und die Zuverlässigkeit der Aufsichtsräte.Pikó: Idealerweise unterstützt der Vorstand die neuen Aufsichtsräte dabei, dass sie das Geschäftsmodell und die Organisation verstehen. Die neuen Gremienmitglieder können in Begleitung des Vorstands die Abteilungsleiter kennenlernen, Interviews mit ihnen führen und sich dadurch Kenntnisse über das Unternehmen aneignen.- Kann sich der Aufsichtsrat die Kenntnisse nicht durch Hinzuziehen eines fachkundigen Beraters verschaffen? Muss er alles selbst im Kopf haben?Redenius: Er kann sich einen Experten an die Seite holen, muss diesen aber selbst bezahlen.Pikó: Der Berater kann den Aufsichtsrat nicht ersetzen. Weder in der Teilnahme an den Sitzungen, wie auch hinsichtlich der erforderlichen Kenntnisse. Maßstab bleibt die persönliche Ausübung des Amtes. Ein Aufsichtsrat muss selbst sicherstellen, dass er das notwendige Know-how hat.- Gibt es Kompetenzen, die im Aufsichtsrat besonders gefordert sind?Pikó: Ein Aufsichtsrat kann selten alle Idealeigenschaften in einer Person vereinen, also ein Finanzexperte mit internationalem Hintergrund und Spezialkenntnissen in IT-Themen und dann auch noch weiblich sein. Das Gremiumsmitglied muss aber solide Grundkenntnisse besitzen, damit eine kritische, konstruktive Diskussion im Gremium stattfinden kann und die unterschiedlichen Charakteristika der Mitglieder die Kompetenz des Gremiums erhöhen.- Es sollte also kein homogenes Gremium sein?Pikó: Neben Diversität gehören unterschiedliche Berufsqualifikationen und Erfahrungen in das Gremium.Redenius: Das Gremium sollte derart besetzt sein, dass die verschiedenen Mitglieder Sachverhalte kritisch hinterfragen, was wiederum für Heterogenität spricht, um zum Beispiel einen Ingroup-Bias zu vermeiden.- Unternehmen sollen ihre Aufsichtsratsmitglieder bei der Weiterbildung “angemessen” unterstützen, heißt es im Kodex. Bedeutet dies, dass jeder Aufsichtsrat das Fortbildungsprogramm bekommt, das er verlangt? Oder gibt das Unternehmen, sprich der Vorstand, einen Rahmen vor?Pikó: Idealerweise würde man durch persönliche Gespräche mit den Mitgliedern oder über eine Effizienzprüfung die Bereiche identifizieren, die man weiterentwickeln müsste. Es können zum Beispiel spezifische Kenntnisse aufgrund eines Kartellvorfalls oder auf Grund von Kapitalmaßnahmen benötigt werden.- Wer trägt die Kosten?Redenius: Die Frage der Kostenerstattung ist nicht abschließend geregelt – trotz der starken Relevanz des Themas, zum Beispiel mit Blick auf mögliche Schadenersatzansprüche. Im Kodex heißt es: Die Mitglieder des Aufsichtsrats nehmen die für ihre Aufgaben erforderlichen Aus- und Fortbildungsmaßnahmen eigenverantwortlich wahr. Dabei sollen sie von der Gesellschaft angemessen unterstützt werden.- Wie ist die Empfehlung auszulegen?Redenius: In der juristischen Diskussion wird unterschieden zwischen “Erwerb und Aufrechterhaltung der Mindestkenntnisse” sowie “Erwerb von Spezialwissen”. Im ersten Fall hat das Aufsichtsmitglied nach aktienrechtlicher Meinung die Kosten zu tragen, im zweiten Fall wird die Gesellschaft in die Pflicht genommen. Die inhaltliche Abgrenzung fällt schwer und ist letztlich eine juristische Spitzfindigkeit. Eine Lösung böte das KWG, denn dort wird nicht unterschieden. Im Ergebnis liegt es im Interesse der Gesellschaft, einen fach- und sachkundigen Aufsichtsrat zu haben. Damit sollte sie auch die Kosten der Fort- und Weiterbildung tragen.Pikó: Ein kompetenter Aufsichtsrat trägt zu einem guten Risikomanagement bei!- Wie läuft die Kostenerstattung in der Praxis?Redenius: Man findet verschiedene Varianten. Die Gesellschaft kann die Bildungsmaßnahme im Vor- oder Nachhinein erstatten, sie kann dem Aufsichtsrat ein festes Budget einräumen, oder der Aufsichtsrat entscheidet im Wege der Annexkompetenz. Im letzten Fall hat der Aufsichtsrat eine Anzeigepflicht gegenüber dem Vorstand und eine Berichtspflicht gegenüber der Hauptversammlung.- Kann sich denn der Aufsichtsrat nach eigenem Ermessen Weiterbildung zur Aneignung von Spezialkenntnissen verordnen?Redenius: Bei restriktiver Auslegung der Kodex-Empfehlung liegt die Entscheidungsbefugnis hinsichtlich der Unterstützungsleistung beim Vorstand, da er die Gesellschaft gegenüber dem Aufsichtsrat vertritt. Das entspricht allerdings nicht der Praxis und ist auch nicht anzustreben.- Wird in Aufsichtsratsberichten über die Intensität von Aus- und Weiterbildung informiert?Pikó: Man findet bisher kaum Erläuterungen hierzu. In den Entsprechenserklärungen geben jedoch ausnahmslos alle Unternehmen aus der Dax-Familie an, der Kodex-Empfehlung zur Aus- und Fortbildung der Aufsichtsratsmitglieder zu folgen. Eine interessante Frage ist, in welcher Form das Unternehmen die Fortbildung des Aufsichtsrats unterstützt. Hier kann man nur Vermutungen anstellen. Es wäre jedoch eine wichtige Information.- Gehen die Informationspflichten hier für Banken auch weiter?Redenius: Spannend werden in der diesjährigen Hauptversammlungssaison die Aufsichtsratsberichte der Finanzdienstleister. Dort muss über die KWG-Anforderungen berichtet werden. Interessant wird auch, ob hier von Investorenseite nachgehakt wird, bedenkt man, dass die Anleger sich immer stärker in die Besetzung der Aufsichtsräte einbringen, indem sie die Nominierungen hinterfragen und mehr Transparenz über die Qualifikation fordern.- In Ihren Schulungsprogrammen simulieren Sie eine Aufsichtsratssitzung, wobei ein erfahrener Manager und Aufsichtsrat die Sitzung beobachtet und hinterher den Ablauf kommentiert. Gibt es Wissenslücken oder falsche Verhaltensmuster, die immer wieder auftauchen?Pikó: Das kann man so nicht sagen. Wir bauen unterschiedliche Zwischenfälle ein und die Teilnehmer bekommen am Ende gespiegelt, wann und wie sie hätten eingreifen müssen. Den Teilnehmern wird dann bewusst, welche rechtlichen Konsequenzen sie im Griff haben müssen.- Gibt es bestimmte Charaktereigenschaften, die eine Aufsichtsratstätigkeit begünstigen?Redenius: In jedem Fall braucht es einen kritischen, unabhängigen Geist.Pikó: Charakterfest insofern, dass man sich traut, Fragen zu stellen, bei denen man Sympathien verlieren könnte. Wenn es im Interesse der Gesellschaft ist, muss man die Größe haben, auch mal eine Außenseiterrolle einzunehmen.—-Das Interview führte Sabine Wadewitz