Der Finanzbereich als Treiber der Digitalisierung
An sich ist es mittlerweile fast schon eine Binsenweisheit: Die Möglichkeiten der Digitalisierung und die Anwendung neuer Technologien können Unternehmen maßgeblich bei der Erreichung ihrer strategischen Ziele unterstützen. Allerdings gehen viele Unternehmen den Aspekt der Digitalisierung nicht ganzheitlich an.Häufig wird fälschlicherweise angenommen, dass Digitalisierung insbesondere zur Erhöhung der Effizienz beiträgt und weniger zur Generierung besserer Analysen oder Unterstützung kundenbezogener Maßnahmen zur Umsatzsteigerung. Um es etwas plakativer auszudrücken: Oft wird Digitalisierung lediglich als Mittel verstanden, menschliche Fähigkeiten zu ersetzen, anstatt sie sinnvoll zu ergänzen. Mensch und MaschineDer Mensch bleibt aber auch in der digitalen Welt unersetzlich, macht sich dabei jedoch verstärkt digitale Anwendungen zunutze, um Innovation voranzutreiben und bessere Entscheidungen zu treffen. Das Konzept des “bionischen Unternehmens” der Boston Consulting Group trägt diesem Aspekt Rechnung, indem es die sinnvolle Integration von “Mensch” und “Maschine” in den Vordergrund stellt – also das Zusammenspiel von menschlichen Fähigkeiten und digitalen Technologien. Diese Verzahnung ermöglicht nicht nur effizientere Abläufe, sondern erhöht vor allem auch die Innovationskraft eines Unternehmens insgesamt. Nicht nur KostenoptimierungEine zentrale Rolle sollte dabei dem Finanzbereich zukommen, da dieser einen Gesamtüberblick über die Entwicklung von Kosten sowie Angebot und Nachfrage hat. Eine den Prinzipien des bionischen Unternehmens folgende Finanzabteilung kann Prozesse in der gesamten Organisation in großem Stil optimieren, indem sie den Zugriff auf unternehmensweite Daten, ihre Fähigkeit zur vorausschauenden Planung und die Nutzung (neuer) digitaler Anwendungen kombiniert. Dabei hat sie, und das ist der wesentliche Punkt, nicht nur die oft schnell aufgesetzte Kostenoptimierung, sondern auch kundenbezogene Ziele im Blick.Vor diesem Hintergrund kann die Finanzfunktion als federführende Schnittstelle fungieren und in engem Schulterschluss mit der IT-Abteilung die breite Einführung digitaler Technologien im Unternehmen koordinieren und entscheidend vorantreiben. In dieser Rolle ermöglicht sie dank ihres ganzheitlichen Überblicks einen nahtlosen Informationsfluss und eine Integration der relevanten Daten nicht nur innerhalb, sondern auch zwischen einzelnen Kernprozessen, wie etwa dem Controlling, dem Kundenbeziehungs-Management oder dem Einkauf. Die Praxis zeigt, dass eine federführende Schnittstelle bei der Optimierung von Prozessen essenziell ist. Viele Unternehmen begehen bei ihren Digitalisierungsmaßnahmen etwa den Fehler, mit Hilfe technologischer Tools einzelne Aktivitäten in einer spezifischen Abteilung zu optimieren. Das hat dann häufig zur Folge, dass die Systeme unterschiedlicher Abteilungen nicht nahtlos miteinander verknüpft werden. Infolgedessen sind voneinander abhängige Prozesse, wie etwa die Planung der Kundennachfrage oder die Lieferplanung in der Produktion, oft nicht ausreichend aufeinander abgestimmt.Als eines der global führenden Medizintechnik-Unternehmen hat Siemens Healthineers die Digitalisierung als eine seiner strategischen Prioritäten definiert und als Thema direkt beim Finanzvorstand verankert. Die Finanzfunktion betrachtet das Thema ganzheitlich und hat bereits eine Reihe von Maßnahmen auf den Weg gebracht, um Kosten sowie Aufwand zu senken und/oder den Umsatz zu erhöhen.Ein Beispiel ist der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) bei der Erstellung von Angeboten. Das ermöglicht dem Vertrieb, mit deutlich reduziertem Aufwand optimierte Angebote zu erstellen und damit schneller und besser auf Kundenbedürfnisse zu reagieren. Neues GeschäftsmodellIn ihrer Rolle als Schnittstelle und Treiber der Digitalisierung kann die Finanzabteilung zudem dabei helfen, komplett neue Geschäftsmodelle zu ermöglichen. Die Bildgebung, das größte Segment von Siemens Healthineers, wird traditionell von einem transaktionalen Geschäftsmodell bestimmt, bei dem das Unternehmen etwa Röntgengeräte oder Computertomographen und den dazugehörigen Service an Gesundheitsdienstleister verkauft.Inzwischen bietet Siemens Healthineers hier verstärkt auch innovative Software-Lösungen an, die beispielsweise bei der Analyse von CT-Aufnahmen unterstützen. Dieses Geschäft unterscheidet sich fundamental vom transaktionalen Modell. So kommen im Gegensatz zum Geräteverkauf oftmals flexible Verrechnungs-Modelle zum Einsatz, wie eine monatliche Pauschale oder eine nutzungsabhängige Gebühr. Die daraus resultierenden notwendigen IT-Erweiterungen involvieren neben der IT-Abteilung auch den Vertrieb. Gesteuert wird der Prozess vom Finanzbereich, der damit die Etablierung eines neuen Geschäftsmodells federführend ermöglicht. Ganzheitlich denkenDie Beispiele zeigen, was möglich ist, wenn Unternehmen das Thema Digitalisierung ganzheitlich denken und die Digitalisierungsinitiativen koordiniert aus einer Hand vorangetrieben werden. Und sie zeigen, dass die Finanzfunktion – nicht zuletzt auch aufgrund ihres Bestrebens nach kontinuierlicher Wertschaffung – prädestiniert ist, diese zentrale Rolle als Schnittstelle und Treiber der Digitalisierung federführend und erfolgreich auszufüllen. Als Partner des operativen Geschäfts kann sie damit entscheidend zur Erreichung der strategischen Unternehmensziele beitragen. Dr. Jochen Schmitz ist CFO von Siemens Healthineers, Co-Autor des Beitrags ist Timo Grund, Finanzexperte bei der Boston Consulting Group. In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.——-Von Jochen SchmitzDas Konzept des “bionischen Unternehmens” stellt die sinnvolle Integration von “Mensch” und “Maschine” in den Vordergrund. —