Der Kunde rückt in den Mittelpunkt
Von Annette Becker, Düsseldorf”Schrei vor Glück – oder schick’s zurück.” Mit diesem einprägsamen Werbeslogan ist das Internet-Start-up Zalando der Samwer-Brüder angetreten, dem traditionellen Schuheinzelhandel das Fürchten zu lehren. Gepaart mit einer kulanten Rückgaberegelung hat sich der Slogan jedoch schnell als Bumerang erwiesen, denn das Abwickeln der Retouren ist nicht nur aufwendig, sondern auch teuer. Zudem ist die zurückgegebene Ware oftmals beschädigt, lässt sich also nicht abschlagsfrei weiterverkaufen. In der Folge wurde der zweite Teil des Werbespruchs inzwischen ersatzlos gestrichen. Am Kundenverhalten ändert das bislang jedoch wenig.Auch die Verantwortlichen der Media-Saturn-Holding (MSH) dürften inzwischen bereuen, den deutschen Verbraucher mit “Geiz ist geil!” zum Schnäppchenjäger erzogen zu haben. Als die Ingolstädter Jahre später – inzwischen vom Strukturwandel in der Branche in die Ecke gedrängt – das “Ende des Preiswahnsinns” ausriefen, fehlte es nicht nur an Glaubwürdigkeit. Wie auch andere stationäre Einzelhändler hat die Metro-Tochter den Einstieg in den E-Commerce verschlafen. Seit anderthalb Jahren wird restrukturiert – noch lässt der Erfolg auf sich warten.Nicht viel anders sieht es bei der Douglas-Buchhandelstochter Thalia aus, die den Sprung ins digitale Zeitalter verpasst hat. Das E-Book ist auf dem Vormarsch, dem Platzhirsch Amazon, der mit seinem Lesegerät “Kindle” vor Jahren den Siegeszug antrat, haben die Hagener kaum etwas entgegenzusetzen. Der Versuch, dem Kindle mit dem eigenentwickelten E-Reader “Oyo” Paroli zu bieten, schlug dabei fehl.Der US-Konzern Amazon hat sich hierzulande zum größten Konkurrenten der stationären Einzelhändler entwickelt, zumal der E-Commerce-Pionier sein Sortiment permanent erweitert. Längst ist nicht mehr vom Käufermarkt die Rede, sondern vom Marktplatz, den Unternehmen wie Amazon, aber auch Ebay betreiben. Ebay, einst als Versteigerungsplattform für gebrauchte Güter gestartet, offeriert inzwischen mehr und mehr Neuware. Aus Sicht der Verbraucher ist der größte Vorteil des Online-Shoppings – zumal in Zeiten mobiler Endgeräte – die zeit- und ortsunabhängige Einkaufsmöglichkeit, wie aus einer Studie von PricewaterhouseCoopers (PwC) hervorgeht. Die Grenzen verwischenHaben die klassischen Händler den E-Commerce wegen der befürchteten Kannibalisierung lange Zeit ignoriert, ist inzwischen die Erkenntnis gereift, dass mit der Integration diverser Vertriebskanäle dem reinen Online-Handel etwas entgegengesetzt werden kann. Heute wird der Online-Shop als ein unverzichtbarer Vertriebskanal anerkannt. Doch auch das Ladenlokal befriedigt Bedürfnisse, die das Internet nicht bieten kann – etwa das In-Augenschein- Nehmen der Ware oder Beratung.Nicht von ungefähr etablieren Online-Händler inzwischen Ladenlokale, wenngleich sehr selektiv. So hat Notebooksbilliger in München Filialen eröffnet, Zalando hat dieses Jahr in Berlin ihren ersten Outlet-Store – eine Art Resterampe – installiert. Umgekehrt kommt die britische Kaufhauskette Marks & Spencer, die sich 2001 vom europäischen Festland zurückgezogen hatte, auf den Kontinent zurück – als Online-Händler. Nach Angaben des EHI Retail Institute betreibt mittlerweile jeder zweite der 1 000 größten Online-Shops in Deutschland stationäre Geschäfte. Die Grenzen zwischen online und offline verwischen zunehmend.Online-Umsatz und stationärer Umsatz lassen sich gar nicht mehr sauber voneinander abgrenzen. Nach einer Studie von Accenture ging 2009 in Deutschland bei 35 % der Online-Umsätze (Non-Food) eine Recherche im stationären Handel voraus. Dem Handel vor Ort ging demnach ein Umsatzvolumen 5,4 Mrd. Euro verloren. Zeitgleich belief sich der online beeinflusste Stationärumsatz jedoch auch auf 8,5 Mrd. Euro, sodass die Bilanz am Ende zugunsten des Stationärhandels ausfällt.Für den stationären Einzelhändler ist entscheidend, die verschiedenen Vertriebskanäle intelligent miteinander zu verknüpfen und den Kunden gerade beim Kanalwechsel an das Unternehmen zu binden. Über Erfolg oder Misserfolg entscheidet dabei auch, die gewonnenen Kundendaten in passgenaue Angebote umzumünzen. Es gibt nicht mehr den einen Point of Sale, aber an jedem Verkaufsort hinterlässt der Verbraucher Informationen zu seinen Einkaufsgewohnheiten. Diese gilt es zu bündeln. Dass sich die stationären Einzelhändler lange Zeit gegen den E-Commerce zu stemmen versuchten, liegt auch daran, dass das Internet in puncto Preis für absolute Transparenz sorgt.Die Zeiten, in denen der Händler die Informationshoheit besaß, sind ein für allemal vorbei. “Multichannel heißt Einheitspreise in allen Vertriebskanälen”, sagt Kai Hudetz, Geschäftsführer des Instituts für Handel in Köln. Dank Internet sind Kunden heute nicht nur bestens informiert, sondern verstehen die gewachsene Transparenz auch zu ihren Gunsten zu nutzen. Im Endeffekt geben Preisvergleichsseiten im Internet in Kombination mit der Seriosität des Anbieters die Preisobergrenzen vor. Nicht ohne Grund hat MSH in diesem Jahr einen hohen zweistelligen Millionen-Euro-Betrag in die Hand genommen, um beim (Einheits-)Preis mithalten zu können.Da der Einzelhandel hierzulande kaum noch wächst, kann nur reüssieren, wer Wettbewerbern Marktanteile abluchst. Der Kunde muss abgeholt werden, und zwar dort, wo er es wünscht. Als Gewinner aus dem Strukturwandel wird hervorgehen, wer es schafft, den Kunden kanalübergreifend an sich und seine Marke zu binden. Denn trotz der schier unüberschaubaren Vielfalt an Online-Händlern kaufen 86 % der Online-Shopper bei maximal fünf verschiedenen Anbietern ein, wie eine PwC-Umfrage ergab.