Dividenden

Der Markt ist gerechter als gemeinhin vermutet

Schweizer Konzerne schütten dieses Jahr etwas sparsamer Dividenden aus als zuletzt. Doch auf längere Sicht kommen die Aktionäre auf ihre Rechnung – auch im Vergleich mit den Managern und ihren Millionenboni.

Der Markt ist gerechter als gemeinhin vermutet

dz Zürich

Um die Antwort auf die Frage einer gerechten Verteilung der Früchte der Arbeit wird überall gerungen. In der Schweiz hat die Debatte zwar etwas später Fahrt aufgenommen als in weniger wohlhabenden Ländern. Dafür wurde sie durch die auch im europäischen Vergleich ungewöhnlich hohen Managergehälter umso stärker befeuert.

Dennoch sind auch hehre Anliegen wie die Festlegung eines nationalen Mindestlohns oder die Bestimmung einer maximalen innerbetrieblichen Lohndivergenz keine politischen Selbstläufer geworden. Beide Initiativen waren vor sieben bzw. acht Jahren an der Urne klar gescheitert.

Erfolgreich blieb dagegen der Parlamentsabgeordnete Thomas Minder mit seiner „Abzockerinitiative“ für eine Stärkung der Aktionärsrechte in börsennotierten Publikumsgesellschaften. Mehr als zwei Drittel aller Stimmberechtigten hatten sein Anliegen 2013 unterstützt. Die staatliche Rettung der UBS und die exorbitanten Gehaltsforderungen des früheren Novartis-Chefs Daniel Vasella verschafften dem politischen Einzelkämpfer aus der Grenzstadt Schaffhausen am Rhein einen auch im Ausland stark beachteten Sieg.

Über die Frage, was die Minder-Initiative bewirkt hat, wird in der Schweiz bis heute gestritten. Fakt ist aber, dass die Aktionäre in den vergangenen zehn Jahren kein bisschen zu kurz gekommen sind – jedenfalls nicht im Vergleich zu ihren Managern. Das zeigt die Entwicklung der Dividenden in den 30 größten Unternehmen an der Six Swiss Exchange, deren Aktien im Swiss-Leader-Index abgebildet werden. Die Börsen-Zeitung führt diese Erhebung seit zehn Jahren durch, und der Vergleich von Dividenden und CEO-Löhnen in den Jahren 2011 bis 2020 zeigt klar: Die Eigentümer haben in jener Dekade auch in relativer Betrachtung deutlich mehr abgeschöpft als die CEOs.

10 Prozent versus 35 Prozent

Während die Konzernchefs über die gesamte Beobachtungszeitspanne eine nominelle Gehaltserhöhung von 10% auf 186 Mill. sfr oder durchschnittlich 6,2 Mill. pro Kopf erhalten haben, stiegen die Dividendenerträge der Aktionäre um 35% auf insgesamt 39 Mrd. sfr (siehe Grafik).

Hauptverantwortlich für dieses klare Ergebnis zugunsten der Eigentümer sind Nestlé, Roche und Novartis. Die drei mit Abstand größten Unternehmen an der Schweizer Börse verantworten allein fast 60% aller Dividendenzahlungen. In diesen drei Unternehmen sind die Ausschüttungen im Zehnjahresvergleich um 26% (Nestlé), 34% (Roche) und 38% (Novartis) gestiegen, während die CEO-Löhne nur um 4% (Nestlé) zugenommen bzw. sogar um 18% (Novartis) respektive um 11% (Roche) abgenommen haben.

Doch auch in vielen kleineren Unternehmen war das relative Dividendenwachstum der Aktionäre weit höher als die Lohnsteigerung der Chefs. So verdiente Swiss-Life-Chef Patrick Frost 2020 mit 3,9 Mill. sfr gleich viel wie sein Vorgänger Bruno Pfister vor zehn Jahren. In der gleichen Zeit haben sich die Dividendenausschüttungen aber von 144 Mill. sfr auf 672 Mill. sfr vervierfacht.

Ein ähnlich spektakuläres Beispiel gibt auch der Rolltreppen- und Aufzughersteller Schindler ab: Während der Konzernchef des Familienunternehmens sein Gehalt im Zehnjahresvergleich um 15% auf 4,1 Mill. sfr zu steigern wusste, stiegen die Gewinnabführungen an die Aktionäre um 80% auf 431 Mill. sfr.

Gegenbeispiele sind selten. Ein solches stellt ausgerechnet die staatlich kontrollierte Swisscom dar, die seit zehn Jahren eine unveränderte Dividende zahlt, dem CEO aber eine Lohnaufbesserung um knapp 30% ermöglichte. Bei der Credit Suisse fällt der Vergleich zwischen Aktionären und Managern auch nach der jüngsten, krisenbedingten Lohnkürzung für den Konzernlenker Thomas Gottstein immer noch zugunsten des CEO aus. Dessen Gehalt ist im Dekadenvergleich um 47% geschrumpft, während die Eigentümer 2021 sogar auf 74% ihres Dividendenertrages vom Jahr 2011 verzichten müssen.

Unberücksichtigt bleiben in dem Vergleich die Aktienrückkäufe, die vor dem Hintergrund der Ultratiefzinspolitik der Notenbanken in den vergangenen Jahren bei zahlreichen Firmen Schule gemacht haben. Zur Wahrung einer größeren Flexibilität in der Ausschüttungspolitik setzen Schweizer Konzerne in zunehmendem Maße auf Aktienrückkäufe.

Der Elektrotechnikkonzern ABB führt derzeit ein milliardenschweres Aktienrückkaufprogramm durch, mit dem er den Erlös aus der Veräußerung der Stromübertragungssparte an die Eigentümer weitergibt. Nestlé ist schon am zweiten Aktienrückkauf im Umfang von sage und schreibe 20 Mrd. sfr dran. Auch bei Novartis läuft ein umfangreiches Rückkaufprogramm. UBS hat den Aktionären 2021 zwar eine Dividendenkürzung zugemutet, gleichzeitig aber ein Rückkaufprogramm gestartet. So wie die Großbank versprechen sich auch andere Firmen von der Verlagerung von Dividenden zu Aktienrückkäufen größere Flexibilität in der Ausschüttungspolitik. Über alles gerechnet dürften die Eigentümer der 30 größten gelisteten Schweizer Firmen deshalb 2021 über 50 Mrd. sfr oder mehr als 80% der 2020 erwirtschafteten Gewinne erhalten.

Zu dem Bestreben vieler Firmen, ihre Ausschüttungen möglichst unabhängig von den Schwankungen des Jahresgewinns festzulegen und im Idealfall jährlich zu erhöhen, passt auch dieser Fakt: 18 der 30 beobachteten Firmen haben 2020 weniger verdient als im Vorjahr. Von diesen haben nur sechs ihre Dividende gekürzt. Swiss Re schüttet trotz eines Verlustes von fast 900 Mill. sfr unverändert 1,7 Mrd. sfr Dividende aus. Die Luxusgüterhersteller Richemont und Swatch Group haben nach Ergebniseinbrüchen ihre Ausschüttungen zwar gekürzt, aber nicht ganz gestrichen.

Die Schweizer Konzerne haben mit ihrer expansiven Ausschüttungspolitik zweifellos auch die Entwicklung der Aktienkurse befeuert. Die rein kursbedingte Performance des Swiss-Leader-Index (also ohne Dividenden) von 2011 bis 2020 beträgt immerhin 64%. Eine andere Frage ist, wie nachhaltig das Verwöhnprogramm der Aktionäre ist. Auch im Zehnjahresvergleich sind die Gewinne mit einem Plus von 20% deutlich weniger stark gestiegen als die Ausschüttungen. Das kann ein Zeichen dafür sein, dass die Firmen zu wenig investieren und die Aktionäre ergo zu wenig Risiko nehmen. Auf längere Sicht kann dies nicht ohne Folgen bleiben.