„Der Markt sortiert sich neu“
Herr Hadding, die Perspektiven in der Solarbranche sind ja derzeit alles andere als schlecht. Die Internationale Energieagentur rechnet in den kommenden Jahren mit weiterem Rekordwachstum bei den Fotovoltaik-Installationen und bezeichnet die Solartechnik als „König der weltweiten Strommärkte“. Wie königlich ist denn gegenwärtig die Stimmung bei SMA Solar?
Abgesehen davon, dass natürlich auch bei uns die Herausforderungen durch die Corona-Pandemie auf den Mitarbeitern lasten, ist die Stimmung im Unternehmen grundsätzlich gut. Wir verspüren zum ersten Mal seit einigen Jahren tatsächlich politischen Rückenwind, der sich aus verstärkten Klimaschutzbemühungen in Deutschland, der EU und in den USA ergibt. Aber auch ganz grundsätzlich sehen wir uns von einem gesellschaftlichen Konsens getragen, den insbesondere die Fridays-for-Future-Initiative in den letzten zwei Jahren hergestellt hat und der vorher verloren gegangen war. Wir haben jetzt eine Situation, die es nicht nur uns als Firma, sondern auch der gesamten Gesellschaft erlauben wird, den Wandel hin zur CO2-freien Erzeugung von Energie nachhaltig zu gestalten und nicht nur als Strohfeuer mal aufflackern zu lassen. Das erlaubt uns, unsere Stärken am Markt auszuspielen.
Im ersten Quartal sind Sie dank Einsparungen und eines günstigeren Produktmixes zwar deutlich profitabler geworden – bei den Umsätzen war die Entwicklung jedoch wegen verschobener Aufträge in Folge der Corona-Pandemie rückläufig. Wann werden die Aufträge denn nachgeholt?
Die Corona-Pandemie verfolgt uns leider länger, als wir das im Herbst letzten Jahres gehofft hatten. Wir sehen jetzt auch in 2021 einen Trend fortgesetzt, der sich auf das mittlere Anlagensegment bezieht. Da sind viele kleine und mittelgroße Unternehmen betroffen, die in der Pandemie Liquiditätssorgen haben und deswegen Investitionen verschieben oder ganz absagen. In diesem Segment verzeichnen wir also auch in 2021 coronabedingte Umsatzverluste. Wir gehen davon aus, dass die Investitionsbereitschaft im zweiten Halbjahr wieder steigt. Ob es uns aber gelingt, alles wieder aufzuholen, was wir in 2020 und 2021 verloren haben, können wir im Augenblick, insbesondere auch im Hinblick auf die weitere Entwicklung bei der Versorgung mit elektronischen Bauteilen, nicht sicher einschätzen.
Und wie sieht es in ihrer größten Sparte, dem Geschäft mit großen Solarkraftwerken aus? Hier hatten Sie Ende März noch Steigerungen sowohl beim Umsatz als auch beim Ebit in Aussicht gestellt. Mitte Mai war dann plötzlich von Rückgängen beim Ebit die Rede. Was hat sich in der Zeit geändert?
Hier gab es ein Redaktionsversehen, das wir in Q1 berichtigt haben. Wir haben nicht darauf geachtet, dass wir zum Jahresende 2020 im Segment Large Scale & Project Solutions einen großen Sondereffekt hatten, sondern immer nur auf die operative Stärke des Segments geblickt. Aus dieser Perspektive heraus ist das tatsächlich ein Segment, das mehr Umsatz machen und auch ertragreicher werden wird. Der Einmaleffekt Ende 2020 war aber so groß, dass das Ergebnis 2021 unmöglich wieder erreicht werden kann.
Wie kommen Sie mit der derzeit knappen Versorgung mit elektronischen Bauteilen zurecht?
Die strauchelnden Lieferketten bekommen wir auch zu spüren, allerdings weit weniger stark, als wir das vor einigen Wochen noch vor Augen hatten. Wir haben solche Situationen auch schon häufiger erlebt. Daher ist unsere Supply Base ziemlich breit aufgestellt, sowohl geografisch als auch im Hinblick auf ihre Ersetzbarkeit. Wir hatten bisher nur sehr niedrige Produktionsausfälle, und auch in den kommenden Wochen sehen wir nur geringe Produktionsminderungen. Wir glauben, dass wir damit etwas besser dastehen, als viele Marktbegleiter. Das liegt sicherlich daran, dass wir immer schon sehr langfristig planen und bestellt haben. Unsere Mengen sind teilweise schon vor zwei Jahren bei den Zulieferern geordert worden. Ich denke, solche langstehenden Kontrakte werden etwas häufiger und etwas eher honoriert als kurzfristige Bestellungen.
Auf die Jahresziele hat das also keinen Einfluss?
Mit Blick auf die Guidance glaube ich, dass wir Ende Q2 vielleicht etwas qualifizierender werden und eine Spanne innerhalb der jetzigen Guidance konkretisieren können. Die Prognose abzukündigen, das sehe ich aktuell überhaupt nicht. Wir rechnen auch damit, dass wir die eine oder andere Opportunität nutzen können, weil Wettbewerber Lieferschwierigkeiten haben und wir dort in die Lücke springen und so weitere Umsätze vereinnahmen könnten.
Auch unabhängig von den Lieferkettenproblemen hat in der Solarbranche ja seit einiger Zeit trotz des scharfen Wettbewerbs eine gewisse Konsolidierungsbewegung eingesetzt. Soll SMA Solar dabei künftig auch eine aktive Rolle spielen?
Zunächst einmal: Wir sehen, dass sich die Energieversorgungsstrukturen gerade nachhaltig verändern und dass sie immer dezentraler und digitalisierter werden. Die Geschäftsmodelle am Markt verändern sich auch dementsprechend. Wir schauen daher nicht so sehr auf die Wettbewerbslandschaft der Wechselrichter, sondern auch auf den nächsten Entwicklungsschritt, also darauf, wie sich die verschiedenen Anbieter von Systemen und Lösungen am Markt positionieren werden. Das sind gerade auch die Anbieter von Batterielösungen oder E-Mobilitäts-Lösungen, aber auch die Sektorkonvergenz, also das Verbinden von Fotovoltaik mit Wärme- und Kältelösungen. Hier schauen wir, wie sich der noch junge Markt sortiert. Die Wettbewerbsstrukturen werden sich nachhaltig verändern, und es werden sich ganz neue Konstellationen ergeben. Innerhalb dieser Neusortierung glauben wir, dass M&A eine bedeutende Rolle spielen wird. Viele Ideen müssen eben erstmal im kleinen Maßstab geprüft und dann skaliert werden. Dazu wird man Partnerschaften eingehen. Wir werden erleben, dass sich viele Start-ups in diesem Bereich von Digital Energy tummeln werden. Und da hat SMA vor, sich kräftig zu positionieren, und das könnte auch über M&A geschehen.
Und wie sieht es im traditionellen Kerngeschäft von SMA aus?
Bei den Wechselrichtern selbst sehen wir das Thema M&A nicht. Im Utility-Segment ist die Konsolidierung schon ziemlich weit vorangeschritten, da gibt es nur noch eine Hand voll Wettbewerber, die am Markt aktiv sind. Bei den beiden anderen Segmenten, also Residential und Commercial, gibt es zwar ungleich mehr Wettbewerber, aber die Größten sind seit Jahren auch immer dieselben. Und deren Marktanteil wächst kontinuierlich zulasten der kleineren Mitbewerber. Da vollzieht sich die Konsolidierung im Wesentlichen durch das Ausscheiden von kleineren, vornehmlich chinesischen Unternehmen. M&A ist gar nicht notwendig, um Marktanteile hinzuzugewinnen. Im Bereich Operations & Maintenance, also der Wartung von Großkraftwerken, sind wir aber durchaus unterwegs und auch dort kaufen wir zu, um zu wachsen.
Apropos China − im Rahmen Ihrer Restrukturierung hatten Sie sich Ende 2018 vom chinesischen Markt verabschiedet. Gibt oder gab es Überlegungen, die Aktivitäten in der Volksrepublik eines Tages wieder aufzunehmen?
Wir haben bis heute ein Büro in Shanghai, von wo aus wir vor allem Vertriebsaktivitäten für chinesische Kunden, die außerhalb Chinas investieren, begleiten. Wir verweigern uns dem Markt also nicht komplett. Innerhalb Chinas sehen wir uns aber nicht mehr, auch in Zukunft nicht. Das hat mehrere Gründe, zum Beispiel die schlechte Preisqualität, die sehr stark auf Capex und Investmentsummen fokussierte Auswahlpolitik, bei der es nicht so sehr um die Langlebigkeit und Qualität der Produkte geht, aber auch ganz klare Compliance-Schwierigkeiten, also die weit verbreitete Korruption bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen, die unseren Standards diametral entgegensteht.
Zu Ihrer neuen Strategie bis 2025 gehört neben einer Ebitda-Marge von mindestens 10% auch das Ziel, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von SMA verstärkt am Unternehmen beteiligt werden sollen. Welche Vorteile versprechen Sie sich davon?
Bei SMA verfolgen wir seit der Gründung, also seit fast 40 Jahren, einen sehr partizipativen Ansatz. Über viele Jahre hat SMA immer 16 % seines Ebits an die Mitarbeiter ausgeschüttet. Die monetäre Erfolgsbeteiligung aller Mitarbeiter ist bis heute erhalten geblieben und unabhängig von der neuen Strategie im Rahmen einer Betriebsvereinbarung verankert. In der Strategie 2025 ist jetzt der Wunsch neu hinzugekommen, mehr Mitarbeiter zu Eigentümern zu machen, sie also in den Besitz von Aktien zu bringen. Das ist bei SMA bislang unüblich. Wir haben keine Aktienprogramme, auch keine Aktienoptionsprogramme. Mit der neuen Strategie wollen wir nun den unternehmerischen Gedanken und die Mitverantwortung der Mitarbeiter noch stärker fördern. Weniger geht es uns dabei um die Incentivierung einzelner Schlüsselmitarbeiter, sondern um eine Beteiligung möglichst vieler Kollegen und Kolleginnen.
Mit dem SMA EV Charger haben Sie im September 2020 das Feld der Ladestationen für private Elektrofahrzeuge betreten. Damit sollen die Fahrzeuge mit Solarstrom vom eigenen Dach aufgeladen werden. Wie kommt die Solar-Tankstelle bei den Nutzern denn bislang an?
Wir haben den SMA EV Charger aus unserem Kerngeschäft heraus entwickelt. Er hat dasselbe Gehäuse wie einer unserer Wechselrichter und verfügt auch über eine ähnliche Technologie. Wir hatten hier mit kleineren Stückzahlen gerechnet, also eher so als Beifang, um das stark wachsende Geschäft mit E-Mobilität ein stückweit mit abzudecken, und waren dann doch sehr überrascht von der sehr hohen Nachfrage, die durch die KfW-Förderung letztes Jahr ausgelöst wurde und die das, was wir geplant hatten, um ein Vielfaches übersteigt. Wir haben jetzt mehrfach nachgezogen, um immer mehr EV-Charger bauen zu können. Mit Blick auf unser Gesamtgeschäft ist das aber ein minimaler Teil und macht im Augenblick lediglich 1% unseres Umsatzes aus. Das wird noch steigen. Aber es geht uns hierbei insbesondere auch darum, dass wir mit unserer Kompetenz in dem Bereich nachweisen können, dass wir ganzheitliche Energie-Management-Lösungen designen, entwickeln und herstellen können. Das ist für uns genau so erfreulich, wie der gute Umsatz, den wir damit erzielen.
Für SMA Solar zählt Deutschland zu den Hauptmärkten. Wie stark hängen Wohl und Wehe des Unternehmens im Jahr 2021 noch von einer bevorstehenden Bundestagswahl und den Ausbauzielen der künftigen Bundesregierung ab?
Zum einen erzielt SMA nur ungefähr 20 % des Umsatzes in Deutschland. Insofern hat das politische Geschehen hierzulande für uns zwar einen hohen, aber keinen existenziellen Einfluss. In Hinblick auf die Klimaziele erleben wir mittlerweile, dass eigentlich alle Parteien, die an einer zukünftigen Regierungskoalition im Bund beteiligt sein könnten, die Dringlichkeit erkannt haben. Die Konstellationen, die sich da jetzt anbieten, werden mal etwas stärker oder etwas weniger ausgeprägt die Klimaschutzziele, die die Bundesregierung sich jetzt schon auf die Fahne geschrieben hat, umsetzen und sicherlich weiter danach trachten, im europäischen Konzert nicht den Anschluss zu verlieren, sondern eher eine Vorreiterrolle einzunehmen. Wir gehen daher davon aus, dass sich in den nächsten Monaten und Jahren eigentlich nur positives Zusatzpotenzial entfalten kann.
Wenn alle die Dringlichkeit erkannt haben und die Solarenergie sich doch eigentlich so großer Beliebtheit erfreut − warum kommen die Module bislang dann weiterhin hauptsächlich außerhalb von Ballungsgebieten zum Einsatz?
Es gibt hier noch einige regulatorische Hürden, die das noch sehr stark verhindern. Jemand, der bei einem Mehrparteienhaus in der Stadt eine Solaranlage errichten will, wird etwa regulatorisch behandelt wie ein Energieversorger, muss also beispielsweise noch ein zusätzliches Gewerbe anmelden und sich mit dem ganzen regulatorischen Umfeld vertraut machen. Das dürfte die meisten Hausbesitzer schon abschrecken. Dann muss er zusätzliche Zähler für alle Mietpartei-Wohnungen anbringen und er darf den Strom auch nur an die Mieter seines eigenen Hauses weitergeben, nicht an die Mieter des Nachbarhauses. Wenn er also mal zu viel Strom hat, muss er ihn ins Netz einspeisen. Ich glaube dennoch, dass das schon erkannt ist und die Bundesregierung in welcher Konstellation auch immer in diese Richtung stark verbessern wird. Das muss sie auch, wenn sie die zum Erreichen der Klimaziele notwendigen Ausbauziele bei der Flächenknappheit in Deutschland erreichen will.
Im Rahmen der Nationalen Wasserstoffstrategie hat die Bundesregierung jüngst 62 deutsche Großprojekte ausgewählt, die sie mit 8 Mrd. Euro unterstützen will. Insgesamt sollen 33 Mrd. Euro für die Zukunftstechnologie mobilisiert werden. Was versprechen Sie sich von der verstärkten Förderung grünen Wasserstoffs?
Zunächst mal halten wir die Förderung für richtig und notwendig. Wir glauben, das auch beurteilen zu können, weil wir das Thema Wasserstoff schon länger bearbeiten. Seit über vier Jahren arbeiten wir an einer Lösung für Elektrolyseure. Für jeden Elektrolysevorgang braucht man einen Gleichrichter, um den Wechselstrom aus dem Mittelspannungsnetz in Gleichstrom zu wandeln. Unser maßgeschneidertes Produkt wird den Markt genau dann treffen, wenn er sich nach unserer Schätzung exponentiell entfalten wird. Schon heute sind wir mit unseren Produkten in vielen Pilotanlagen mit dabei. Man kann sagen, dass alle, die sich ernsthaft mit dem Thema Elektrolyse und grünem Wasserstoff beschäftigen, auf uns zukommen.
Das Interview führteKarolin Rothbart.