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Der Mittelstand ist die Stütze der italienischen Wirtschaft

Von Gerhard Bläske, Mailand Börsen-Zeitung, 7.2.2019 Mit Armin Loacker ist kürzlich nicht nur eine große Unternehmerpersönlichkeit Südtirols, sondern auch einer der wichtigsten Vertreter des italienischen Familienkapitalismus gestorben. Der...

Der Mittelstand ist die Stütze der italienischen Wirtschaft

Von Gerhard Bläske, MailandMit Armin Loacker ist kürzlich nicht nur eine große Unternehmerpersönlichkeit Südtirols, sondern auch einer der wichtigsten Vertreter des italienischen Familienkapitalismus gestorben. Der Hersteller der sogenannten “Neapolitaner”-Waffeln steht für die knapp 200 000 Familienunternehmer, die das Rückgrat der italienischen Wirtschaft bilden. Anders als etwa Frankreich verfügt Italien über nur sehr wenige Großkonzerne. Es ist der Mittelstand, der für die Dynamik und Exportkraft Italiens verantwortlich ist. Vor allem in den Sektoren Lebensmittel, Maschinenbau, Arzneimittel, Luxusgüter und Kfz-Zulieferer floriert Italiens Wirtschaft. Das zweitgrößte Industrieland Europas ist nach Deutschland auch der zweitgrößte Exporteur Europas und weist einen deutlichen Handelsüberschuss sowie einen Primärüberschuss aus.Loacker kommt mit 1 000 Beschäftigten auf einen Umsatz von 330 Mill. Euro. Wie der Großteil der vielen Familienunternehmen des Landes ist Loacker nicht börsennotiert. Doch auch diejenigen, die den Schritt an den Aktienmarkt gewagt haben, sind meist sehr erfolgreich. 2018 waren zwei von ihnen, Campari und Luxottica, die größten Gewinner an der Mailänder Börse. Immer mehr Familienunternehmen wagen ein IPO. Von den 26 Börsengängen des vergangenen Jahres entfielen 23 auf kleine und mittelständische Familienunternehmen, berichtet Anna Lambiase, Gründerin und CEO des Beratungsunternehmens IR Top Consulting, das darauf spezialisiert ist, kleine Unternehmen, darunter auch einige Start-ups, an die Börse zu bringen. Piazza Affari in Mailand hat dafür 2012 das Small-Cap-Marktsegment AIM eingerichtet, das 2018 mit einem Indexverlust von 12 % deutlich besser abgeschnitten hat als der Blue-Chip-Index, der 25 % verloren hat. Börsengang erleichtertBörsengänge sind für Italiens Familienunternehmen zunehmend attraktiv: Finanzierungen über Banken werden wegen deren angespannter Lage und des hohen Zinsaufschlags für italienische Bonds, die die Institute in Form höherer Kreditzinsen weitergeben, teurer. Das AIM-Segment bietet erleichterte Zugangsbedingungen an die Börse an. Doch im Vergleich zu anderen Ländern sind nur wenige Unternehmen börsennotiert.Infolge des Verschwindens einstiger Großunternehmen wie Olivetti, Pirelli (Verkauf an die Chinesen) oder Falck (Stahl) wird der Mittelstand immer wichtiger. Das neben der Benetton-Gruppe letzte große Familienunternehmen des Landes, der von der Agnelli-Familienholding Exxor kontrollierte Autohersteller Fiat Chrysler, wird in immer mehr Einzelteile zerlegt. Nach der Ausgliederung von Ferrari und dem Nutzfahrzeug- und Landmaschinenkonzern CNH Industrial, die heute separat an der Börse notiert sind, wurde im letzten Jahr auch der Komponentenfertiger Magneti Marelli verkauft. Angeblich steht auch die Veräußerung der Konzernmarken Maserati und Alfa Romeo (womöglich an Chinesen) bevor. Auch um das Robotikunternehmen Comau und sogar um die Kernmarke Fiat gibt es entsprechende Gerüchte.Gut entwickeln sich die Kleinunternehmen im Bereich Maschinenbau, Auto, Luxus oder Pharma. In der Modebranche steht Made in Italy so hoch im Kurs, dass die französischen Luxusgüterriesen LVMH und Kering viele Unternehmen der Branche gekauft haben, allen voran Gucci, Bulgari, Loro Piana und Bottega Veneta. Versace ging kürzlich an das US-Unternehmen Michael Kors. Auch in der Pharmabranche, wo Italien vor Deutschland die Nummer 1 in Europa ist, sind Ausländer stark investiert. Mitte 2018 erwarb die Private-Equity-Gesellschaft CVD Capital Partners für 3 Mrd. Euro 52 % der Pharmagruppe Recordati. VW kaufte den Designer Italdesign, den Motorradhersteller Ducati und Lamborghini. Italiens Kfz-Zulieferer sind hoch begehrt, vor allem die aus dem sogenannten Motor Valley um Bologna, aber auch aus der Lombardei um Mailand, während Piemonte zunehmend an Bedeutung verliert. Sie punkten mit Qualität und Flexibilität und sind die wichtigsten Zulieferer der deutschen Autoindustrie. Insbesondere Chinesen seien ganz scharf auf Kleinunternehmen des Landes, sagt Lambiase nach ihrer Rückkehr aus China. Sie haben mit Pirelli schon ein Schmuckstück der italienischen Wirtschaft erworben. Laut Ambiase interessieren sie sich nun für die Bereiche Green Economy und Innovationen.Beratungsunternehmen berichten auch von steigendem Interesse amerikanischer und französischer Strategen, die sich die angesichts der Krise niedrigen Verkaufspreise zunutze machen wollen. Seit langem sind auch deutsche Investoren sehr stark in Italien investiert, vor allem in den Bereichen Pharma, Automobilindustrie und Maschinenbau. Sie investieren überwiegend in der Lombardei und in Venetien. Laut Erwin Rauhe, Präsident der Deutsch-Italienischen Handelskammer in Mailand, suchen sie gezielt nach italienischem Know-how. Attraktive ClusterSo hat das mittelständische Textilunternehmen Rudolf Group aus Geretsried bei München, das ökologische und gesundheitlich unbedenkliche Textilien entwickelt und produziert, kürzlich in Busto Arsizio bei Mailand einen Innovationshub eröffnet, in dem an chemischen Lösungen für neue Materialien gearbeitet wird. Das Unternehmen wollte gerade das Know-how des Mode- und Designclusters um Mailand mit seinen vielen tausend Mittelständlern nutzen. Investoren aus dem Ausland profitieren auch davon, dass viele Mittelständler vor einem Generationswechsel stehen und keine Nachfolger haben. Neben einem Verkauf kann auch für sie ein Börsengang eine Alternative darstellen.Neben bekannten Unternehmen wie Piaggio, Brembo, Lavazza, Illy, Armani, dem börsennotierten Schuhhersteller Tod’s, Fendi, Dolce e Gabbana, Max Mara, Alessi, den Pharmaunternehmen Dompè oder Chiesi, Barilla oder Benetton gibt es auch einige Newcomer. Dazu gehört etwa die Gastronomie- und Lebensmittelhandelsgruppe Eataly aus dem Piemont, das Modevertriebsunternehmen Yoox und die seit 2015 börsennotierte Giglio Group. Das Unternehmen hat sich zuletzt laut Firmengründer und CEO Alessandro Giglio tiefgreifend verändert hin zu einer E-Commerce-4.0-Gesellschaft, die sowohl mit E-Commerce-Plattformen von Partnern wie Amazon, Google oder Vente Privée zusammenarbeitet als auch die Altbestände großer italienische Mode- und Designmarken direkt an Kunden verkauft.Zu den klassischen Hidden Champions gehört die Ferrero-Gruppe aus Albi in Piemont. Der Nutella-Hersteller kam im Geschäftsjahr 2017/18 auf einen Umsatz von 1,45 Mrd. Euro und einen Gewinn von 32,3 Mill. Euro. Auch Ferrero glaubt an den Standort Italien und hat im vergangenen Geschäftsjahr 107 Mill. Euro in seine vier Werke investiert.