Der Ton macht die Musik - und auch den Aktienkurs
Von Daniel Schauber, FrankfurtAktienkurse bewegen ist für ein Unternehmen ganz einfach. Es muss nur eine Pressemitteilung mit den entsprechenden Schlüsselwörtern versenden, die bei Investoren Pawlow’sche Reflexe auslösen. Etwa so: “Außerordentliche Abschreibung – Auftragsverschiebung – Restrukturierungsprogramm – CEO und CFO verlassen das Unternehmen mit sofortiger Wirkung, um mehr Zeit mit der Familie zu verbringen” – eine Unternehmensmeldung mit diesem Giftcocktail garantiert den freien Fall des Aktienkurses binnen wenigen Sekunden. Also, sag es besser: “Unerwarteter Sonderertrag aus Rückstellungsauflösung – Großauftrag – Kapazitätsausbau – Verträge von CEO und CFO um weitere fünf Jahre verlängert” ist der Garant für den Kursbooster. Hilfe von Big DataDas einzige Problem: Wahrheitsbeugung bis kurz vor dem Bruch ist ja erlaubt, aber freches Lügen streng verboten. Doch plattes Flunkern muss nicht sein. Bekanntlich macht der Ton die Musik – und auch den Aktienkurs.Abhilfe dabei, den richtigen Ton in der Pressemitteilung zu treffen, verspricht eine neue Software, die von einem Team in der Abteilung für Wirtschaftsinformatik der Uni Freiburg entwickelt wurde. Das Programm ermittelt mithilfe von Big-Data-Technologie, wie Investoren voraussichtlich auf Wörter und Formulierungen in Finanznachrichten reagieren. “Mithilfe unserer Software können Unternehmen wissenschaftlich fundierte Entscheidungen bei der Kommunikation mit Investoren treffen, um den Unternehmenswert zu steigern”, sagt Stefan Feuerriegel. Er ist beteiligt an dem Projekt, das an der Uni unter der wissenschaftlichen Koordination von Dirk Neumann läuft und als Tonality Tech GmbH ausgegründet werden soll. Ist die Software aus Freiburg im Textverarbeitungsprogramm installiert, so schlägt sie nach Angaben der Entwickler zu bestimmten Schlüsselwörtern Alternativen vor, die bei Investoren besser ankommen. Denn die Wissenschaftler aus Baden haben empirisch ermittelt: Eine negative und schlecht formulierte Pressemitteilung sorgt dafür, dass der Aktienkurs um bis zu 2,7 % sinkt. Ein großer, internationaler Pharmahersteller teste die Software bereits, sagen die Entwickler.Interessant wird das Computerprogramm vor allem, wenn man berücksichtigt, dass sogenanntes Algo-Trading – also der automatisierte Aktienhandel – schon für rund zwei Drittel des Volumens steht und dass die Handelsalgorithmen dabei nicht nur die nackten Zahlen und Fakten, sondern zunehmend auch die Tonalität der Unternehmensmitteilung berücksichtigen.Nach Angaben von Tonality Tech liegt dem Programm ein Textkorpus aus über 100 000 Unternehmensmeldungen zugrunde, um die kursrelevanten Wörter – bislang nur auf Englisch – identifizieren zu können. Böse Wörter mit potenziell negativer Wirkung leuchten rot auf, die guten blau.Zum Beispiel sei das Wort “announce” in Unternehmensmeldungen negativ konnotiert, sagt Feuerriegel, besser auf den Aktienkurs wirke das Verb “publish”. Und “improve” sei zwar positiv belegt, aber “increase” noch besser. Verführt eine solche Software nicht geradezu zum Flunkern, wenn der Kommunikationschef auf dem Bildschirm buchstäblich mehr Rot sieht, als sein CEO kurz vor der anstehenden Vertragsverlängerung zu ertragen gewillt ist? Nein, nein, die Entwickler wollen die Software so verwendet wissen, dass man mit ihrer Hilfe bewusster schreibt und nicht etwa unbeabsichtigt negativ konnotierte Wörter verwendet oder gar unfreiwillig zu positiv formuliert. Versuch und VersuchungWie das Werkzeug schließlich benutzt wird, dafür sind die Entwickler nicht verantwortlich – genauso wenig wie ein Hersteller von Brotmessern für potenziellen Missbrauch des Schneidgeräts. Aber da beim Versuch, präzise zu formulieren, wohl auch immer mal die Versuchung auf der Hand liegt: Jetzt wird es höchste Zeit für Algo-Trader, eine Software zu entwickeln, die algorithmusgestützt frisierte Mitteilungen erkennen und gegebenenfalls entsprechend wertberichtigen kann. ——–Sag es besser: Eine neue Software hilft beim Verfassen von Meldungen mit positiver Wirkung.——-