„Der Trend geht in Richtung Lichtbogenofen“
Von Karolin Rothbart, Frankfurt
Die Zukunft des wichtigsten Konstruktionswerkstoffes der Welt entscheidet sich, wie so oft, in China. Kein anderes Land produziert auch nur annähernd so viel Stahl wie die Volksrepublik. Knapp 70 Mill. Tonnen waren es allein im November vergangenen Jahres − fast die Hälfte der gesamten Produktion aller 64 Länder, die an die World Steel Association berichten. Das Problem: Stahl ist eine Dreckschleuder. Bei der Erzeugung werden deutlich mehr CO2-Emissionen freigesetzt als in sämtlichen anderen Teilen der Schwerindustrie. Eine Lösung: mehr Stahlschrott statt Eisenerz und Kohle als Ausgangsstoff verwenden. Statt im Hochofen findet dieser Recyclingprozess im sogenannten Elektrolichtbogenofen (Electric Arc Furnace − EAF) statt, in dem der Schrott mithilfe von elektrischem Strom eingeschmolzen wird. Der ökologische Vorteil dieses Sekundärverfahrens liegt auf der Hand − erst recht, wenn die Anlagen mit erneuerbaren Energien betrieben werden − und rückt auch zunehmend ins Bewusstsein von Herstellern und Regierungen.
„Der Trend geht weltweit in Richtung Lichtbogenofen“, sagt Wolf Lehmann, Finanzchef beim deutsch-spanischen Recyclingkonzern Befesa, im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. Als Weltmarktführer bedient das MDax-Unternehmen, das 2017 in Frankfurt an die Börse gegangen ist, jenen Teil der Branche, der sich für das umweltfreundlichere EAF-Verfahren entschieden hat. Dabei sammelt der Dienstleister den bei der Produktion anfallenden giftigen Stahlstaub gegen eine Gebühr ein und verarbeitet diesen zu Zinkoxid. Das Material wird im nächsten Schritt an Zinkproduzenten verkauft. Für die Recycling-Stahlhersteller ist dieser Weg deutlich günstiger, als wenn sie ihre Abfälle auf Sondermülldeponien entsorgen müssten. Das Geschäft macht bei Befesa mit 80 % den allergrößten Teil vom Ebitda (Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen) aus. 20 % kommen vom Geschäft mit Aluminium-Recyclern, bei deren Produktion Salzschlacke als Reststoff entsteht, die Befesa zu Aluminiumkonzentraten weiterverarbeitet.
Chinas Stahlstaubmarkt lockt
Die USA seien in der Sekundärstahlerzeugung schon weit, erzählt Lehmann. „Über 70% des gesamten Stahls werden dort über Lichtbogenöfen hergestellt.“ In Europa seien es zuletzt rund 40 % gewesen. Experten gingen zwar davon aus, dass der Anteil hier noch auf 50 % steigt, doch dürfte das noch um die 20, 30 Jahre dauern. „In Europa ticken die Uhren eben manchmal langsamer“, sagt Lehmann. Deutlich mehr Tempo verspricht sich der Wirtschaftsingenieur hingegen in China. Das Land stehe mit einem EAF-Anteil von momentan um die 10 % zwar noch am Anfang. Doch damit ist China schon jetzt zum größten Lichtbogenstahlmarkt der Welt aufgestiegen. Aus Sicht von Befesa ist der sich daraus ergebende Stahlstaubmarkt denn auch nirgends so groß wie in der Volksrepublik. „Es geht hierbei um 1,5 bis 2 Mill. Tonnen Stahlstaub“, sagt Lehmann. „In fünf bis sieben Jahren werden es voraussichtlich 4 Mill. Tonnen sein. Davon hätten wir gern einen Marktanteil von 15 bis 20 %, das sind 600000 bis 800000 Tonnen“, rechnet der Manager vor. „Das ist unserer Meinung nach sehr realistisch.“
Investitionsschwerpunkt
Dort, wo sich die chinesische Lichtbogenstahlproduktion derzeit besonders konzentriert, also in den Provinzen Jiangsu und Henan, hat sich Befesa nun auch mit eigenen Stahlstaub-Recyclingwerken angesiedelt. In Jiangsu ging es Ende vergangenen Jahres mit der kommerziellen Produktion los, mehr als 80 % der Recyclingkapazität sind mit den Kunden in der Provinz bereits vertraglich ausgelastet. In Henan ist der Bau des Werkes Ende 2021 zudem abgeschlossen worden, die Hochlaufphase ist nun für das erste Halbjahr und die kommerzielle Produktion ab dem zweiten Halbjahr geplant. Ein drittes Werk ist ebenfalls angedacht. Von den 75 Mill. Euro, die Befesa im vergangenen Jahr an Investitionen eingeplant hatte, sei der größte Teil in den Ausbau in China geflossen, sagt Lehmann.
Vorstoß in den USA
Doch nicht nur in China hat Befesa im vergangenen Jahr die Weichen für künftiges Wachstum gestellt. Auch in den USA hat das 1987 gegründete Unternehmen Nägel mit Köpfen gemacht und sich für 450 Mill. Dollar das komplette EAF-Recyclinggeschäft des dortigen Rivalen und Marktführers American Zink Recycling Corporation (AZR) aus Pennsylvania einverleibt. Für weitere 10 Mill. Dollar kam eine Minderheitsbeteiligung am Zinkraffinierungsgeschäft von AZR hinzu, mit der Option, auch den Rest dieses Geschäfts zu übernehmen, wenn bestimmte Meilensteine in Sachen Kosten und Auslastung vor Ende 2023 erreicht sind. Finanziert wurde der Deal mittels Kapitalerhöhung und der Erweiterung einer Kreditlinie um 90 Mill. Euro.
„Das war die Akquisition, die wir immer wollten“, freut sich Lehmann − und rechnet wieder vor: „AZR hat in Amerika eine Kapazität von 620000 Tonnen Stahlstaub. Mit unseren zwei neuen Werken in China kommen wir auf 1,05 Mill. Tonnen. Zusammen sind wir jetzt bei fast 1,7 Mill. Tonnen und damit ganz klar die Nummer 1 weltweit.“ Synergieeffekte sollen bei dem Zusammenschluss ebenfalls zum Tragen kommen. Über einen Zeitraum von drei Jahren sollen diese bei 17 Mill. Euro liegen. „Das schaffen wir auch“, ist sich Lehmann sicher. „Die Integration kommt sehr gut voran. Wir haben ein Team von 14 Top-Ingenieuren – halb deutsch, halb spanisch. Die freuen sich jetzt darauf, ein sehr spezielles Programm für jedes der vier Recyclingwerke in den USA zusammenzustellen und unsere Best Practices einzuführen, um Schritt für Schritt die Effizienzen zu erhöhen.“
Höhere Mittelfristziele
Für 2022 hofft Lehmann nun erneut auf ein zweistelliges Ebitda-Wachstum −so, wie es bereits in den ersten neun Monaten 2021 erzielt worden war, als das Ergebnis um 62 % auf knapp 137 Mill. Euro kletterte. „2021 haben wir ein Rekordjahr hingelegt, und 2022 soll sich das noch mal wiederholen“, so der CFO. Durch den AZR-Kauf hat Befesa zugleich die Mittelfristziele nach oben geschraubt. Hatte der Konzern hier zuvor noch ein Ebitda im Bereich von 165 bis 190 Mill. Euro angepeilt, sollen es nun rund 195 Mill. Euro werden. Damit die stark schwankenden Zinkpreise Befesa nicht plötzlich einen Strich durch die Rechnung machen, hat der Konzern seine Verkäufe bis 2024 zum großen Teil zu fixen Preisen abgesichert. Dieses Hedging von typischerweise etwa 60 bis 70 % der Produktion ist ein wesentlicher Bestandteil der Strategie von Befesa und werde auch in Zukunft betrieben, sagt Lehmann.