Deutschland hat ein Brückenproblem
hek Frankfurt
Wer des Öfteren von Mittelhessen Richtung Ruhrgebiet oder umgekehrt fährt, hat ein Problem. Die 53 Jahre alte Autobahnbrücke Rahmede bei Lüdenscheid ist so marode, dass sie abgerissen werden muss. An derselben Stelle und im selben Linienverlauf soll ein Neubau entstehen. Das dauert. „Wir hoffen, dass er in fünf Jahren steht“, sagt Elfriede Sauerwein-Braksiek, Leiterin der Niederlassung Westfalen der Autobahn GmbH. Für Pendler, Spediteure und örtliche Unternehmen ist das ein Desaster. Für die Anwohner entlang der Umleitung durch Lüdenscheid ebenfalls.
Die Brücke Rahmede gehört zur A45, die über die Berge von Sauer- und Siegerland führt. Wegen ihrer vielen Brücken gilt sie als Königin der Autobahnen, obwohl dieser Titel längst seine Berechtigung verloren hat. Seit Jahrzehnten reiht sich zwischen Gambacher Kreuz bei Gießen und Westhofener Kreuz bei Dortmund eine Baustelle an die nächste.
Die Sauerlandlinie ist nur eine der Großbaustellen. Anfang November musste die einsturzgefährdete Salzbachtalbrücke der A66 gesprengt werden. Geplant ist ein Neubau. Auf der maroden Leverkusener Rheinbrücke verhindert seit Herbst 2016 eine millionenteure Sperranlage, dass Lkw über 3,5 Tonnen unerlaubt über das Bauwerk fahren. Auch hier wird eine neue Brücke gebaut. Mängel an in China angefertigten Stahlbauteilen führen aber zu Verzögerungen, dem Generalunternehmer Porr wurde gekündigt.
Für die neue Autobahn GmbH des Bundes gibt es also viel zu tun. Deren Chef Stephan Krenz hat angekündigt, die Sanierung von Brücken in den Fokus zu rücken: „Wir müssen die Anzahl der jährlich zu erneuernden Brücken von 200 auf 400 verdoppeln.“ Hauptursachen dafür sind das Alter der Bauwerke und der stark gestiegene Schwerlastverkehr. Etwa die Hälfte der 28 000 Autobahnbrücken hierzulande wurde zwischen den 1960er und den 1980er Jahren gebaut. Sie kommen allmählich ans Ende ihrer Lebensdauer. „Deutschland steht vor einem Brückenkollaps“, warnt Tim-Oliver Müller, Hauptgeschäftsführer des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie (HDB), und fordert eine Taskforce.
Auf die im öffentlichen Bau verankerten Unternehmen kommen damit zusätzliche Aufträge zu. Dieser Bereich der Bauwirtschaft hat eine lange Schrumpfkur hinter sich. Erst 2017 erreichte der Umsatz – einschließlich Preissteigerungen – wieder knapp das Niveau von 1995 und erholte sich dann weiter. Für 2021 erwarten die Branchenverbände HDB und ZDB allerdings nominale Umsatzeinbußen von 3 % auf 37,8 Mrd. Euro, dem 2022 ein Anstieg um 2 % folgen soll. Kummer bereitet den Baufirmen die klamme Finanzlage der Kommunen, die für 60 % der öffentlichen Bauinvestitionen stehen. Allein den Investitionsstau bei den Kommunen veranschlagt die Baubranche auf 150 Mrd. Euro.
Die Autobahn GmbH ist seit Anfang 2021 für Planung, Bau, Betrieb, Erhaltung und Finanzierung der 13 000 Kilometer Autobahnen in Deutschland verantwortlich. Damit endete nach über 70 Jahren die Auftragsverwaltung der Bundesfernstraßen durch die Länder. Die Großreform brachte erhebliche Reibungsverluste mit sich. Es gab viel Kritik, etwa wegen Verzögerungen bei IT-Systemen. Krenz hingegen meint, entgegen aller Schwarzmalerei sei die Initialzündung der neuen Gesellschaft gelungen. Laut Bundesverkehrsministerium wurden in den letzten fünf Jahren die Investitionen in die Erhaltung der Bundesfernstraßen – Strecken und Brücken – aufgestockt. Für 2021 stünden 4,5 Mrd. Euro Erhaltungsmittel bereit. Davon flössen 1,57 Mrd. Euro in die Brückenerhaltung, geht aus einer Antwort vom September auf eine FDP-Anfrage hervor. Für 2022 seien 1,64 Mrd. Euro und für 2023 1,62 Mrd. Euro geplant. Autobahn-Chef Krenz fordert mehr Geld für die Brückensanierung und ein vereinfachtes Baurecht für Ersatzneubauten. Denn etwa 3000 Brücken, also gut jede zehnte, seien in unzureichendem oder ungenügendem Zustand.