IM BLICKFELD

Die 50-Bill.-Dollar-Frage

Morgan Stanley zum Investitionsbedarf für fünf Technologien zur Dekarbonisierung der Industrie

Die 50-Bill.-Dollar-Frage

Von Christoph Ruhkamp, FrankfurtStärker denn je entwickelt sich rund um den Globus der Druck auf Investoren und Regierungen, den Klimawandel aufzuhalten. Morgan Stanley hat fünf zentrale Technologien ermittelt, mit denen Industrie, Stromerzeugung und Transport dekarbonisiert werden können. Dafür bräuchte es 50 Bill. Dollar an Investitionen bis 2030. Die Investmentbank nennt 118 Unternehmen, die davon besonders stark profitieren würden – darunter Daimler als Elektroautobauer, Siemens als Windturbinenkonzern und Air Liquide als Wasserstoffhersteller sowie Sao Martinho als Biokraftstoffspezialist.Um den Klimawandel zu stoppen und die Ziele des Pariser Vertrags zu erfüllen, müssten die globalen Emissionen bis 2050 auf netto null verringert werden. “Das bedeutet, wir müssen von jährlich 53,5 Gigatonnen CO2 -Äquivalent auf null kommen, indem wir den Umfang der in die Atmosphäre entlassenen Emissionen mit der Menge der aus der Atmosphäre entnommenen Emissionen ins Gleichgewicht bringen”, schreiben die 51 Autoren von Morgan Stanley im Vorwort zu der 132-Seiten-Studie.Die Analyse konzentriert sich auf fünf Klimaschutztechnologien: Erneuerbare Energien, Elektroautos, Wasserstoff, CO2-Abscheidung und -Speicherung sowie Biokraftstoffe. Diese fünf könnten helfen, die mit Energieeinsatz verbundenen CO2–Emissionen zu reduzieren, die für 62 % der globalen Emissionen stehen. Für 2030 gehen die Investmentbanker von einem Basisszenario aus, in dem die Welt weit davon entfernt sein wird, die Erderwärmung auf weniger als 2 Grad Celsius zu begrenzen. “Dennoch gibt es Hoffnung.” Dargelegt werden die Investitionen, die für jede der fünf Technologien benötigt würden, um ein Szenario zu erreichen, das im Einklang mit dem Pariser Vertrag stünde. Eine beschleunigte Anwendung dieser Technologien könnte demnach 25 Gigatonnen CO2 bis 2050 einsparen. Erneuerbare als SchlüsselErneuerbare Energien sind für sich allein schon eine Schlüsseltechnologie, ermöglichen aber auch den Einsatz weiterer Technologien. Die Dekarbonisierung der Stromerzeugung gilt als größte Chance für Emissionsminderungen, weil ein Viertel der global ausgestoßenen Klimagase aus dem Energiesektor stammt. Die Wettbewerbsfähigkeit von Solaranlagen und Windrädern ist erheblich verbessert worden, so dass die Branche beschleunigt wächst. Ökostrom wird für E-Autos und die Produktion von grünem Wasserstoff benötigt.Als “unbequeme Wahrheit” bezeichnet Morgan Stanley, dass die CO2-Abscheidung ein “Teil der Lösung” sein müsse. Bis 2030 nähmen die Kohlekraftwerkskapazitäten weltweit zu. Nur die CO2-Abscheidung könne verhindern, dass die Emissionen dieser Kraftwerke in die Atmosphäre gelangen. Darüber hinaus gebe es für die Stahl-, Zement- und Chemieindustrie keine einfachen Alternativen zu fossilen Energieträgern. Einige Optionen für die Dekarbonisierung gebe es – etwa die Reduzierung des Einsatzes von Schlacke in Zement oder den Umstieg von Hochöfen auf Elektrolichtbogenöfen für Stahl. Doch auch CO2-Abscheidung sei unverzichtbar.”Riesiges Potenzial” attestiert Morgan Stanley Wasserstoff für Industrie, Mobilität und Heizen. Der Vision des Hydrogen Council zufolge, einer Initiative von 60 Unternehmen, werde Wasserstoff 18 % der Endenergienachfrage im Jahr 2050 decken. Dazu bräuchte es eine Verzehnfachung der Wasserstoffnachfrage auf 550 Mill. Tonnen im Jahr – und daraus wiederum entstünde eine Industrie mit 2,5 Bill. Dollar Umsatz global. “Wir sehen die Chance für einen nachhaltigen Energiekreislauf, der Wasserstoff, Erneuerbare und Brennstoffzellen umfasst.”Biokraftstoffe werden nach Einschätzung der Analysten dort eine Lücke füllen, wo keine anderen Verkehrsträger Autos ersetzen können. Auf kurze Sicht gelte das nur für Pkw, längerfristig auch für Flugzeuge, Schiffe und Lastwagen.Morgan Stanley schätzt, dass über die nächsten 30 Jahre rund 50 Bill. Dollar in die fünf Technologien investiert werden müssen. Das bedeute jährlich 1,6 Bill. Dollar – was dem Betrag entspricht, der 2017 in der gesamten US-Wirtschaft in sämtlichen Industriezweigen investiert wurde. “Mit Gewinnen vor Zinsen und Steuern von addiert 3 Bill. bis 10 Bill. Dollar, die zur Verfügung stehen, stellt die Dekarbonisierung eine bedeutende Chance für Unternehmen dar, die ihr Kapital in diese Wachstumsfelder lenken.”Als Beispiel dafür, wie auch unpopuläre Entscheidungen den Wandel vorantreiben, nennt Morgan Stanley die Autoindustrie. Unter großen Kosten werde der Pkw dekarbonisiert. Das Handeln der europäischen Regierungen zeige, welche Auswirkungen es haben könne, “wenn der Wille, die Entwicklung einer Branche zu verändern, über die kurzfristige Rendite gestellt wird”. Globale CO2-Steuer absehbarEs scheine nicht mehr die Frage zu sein, ob eine globale CO2-Steuer eingeführt wird, sondern nur noch wann. Der Schwung für den Klimaschutz wächst mit den globalen Protesten und dem Vorschlag der neuen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen für einen CO2-Zoll. In den USA nimmt die Top-Präsidentschaftskandidatin Elizabeth Warren ähnliche Pläne in ihr Programm auf.Wenn nichts gegen den Klimawandel getan wird, sind katastrophale Überflutungen, Waldbrände, Massenmigration und die Zerstörung der Artenvielfalt die Folge. Wer die sozialen Konsequenzen nicht als ausreichendes Argument zur Umlenkung von Kapital in Klimaschutztechnologien ansieht, sollte laut Morgan Stanley beachten, dass das Überschreiten der 2-Grad-Schwelle den Verlust von etwa 7 % des globalen Bruttosozialprodukts im Jahr 2100 bedeutet.