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Die Essensdienste sind lange noch nicht satt

Von Helmut Kipp, Frankfurt Börsen-Zeitung, 5.3.2020 Während immer mehr Unternehmen erhebliche Einbußen durch das Coronavirus befürchten, zählen Essenslieferdienste zu den potenziellen Profiteuren. Das zeigt sich in China, wo sich der Erreger am...

Die Essensdienste sind lange noch nicht satt

Von Helmut Kipp, FrankfurtWährend immer mehr Unternehmen erhebliche Einbußen durch das Coronavirus befürchten, zählen Essenslieferdienste zu den potenziellen Profiteuren. Das zeigt sich in China, wo sich der Erreger am stärksten verbreitet hat. Anbieter wie Meituan berichten von einem rasanten Anstieg der Bestellungen. Denn viele Menschen lassen sich lieber Mahlzeiten nach Hause liefern, als auswärts zu essen, um Ansteckungsrisiken zu vermeiden. Waren die Lieferdienste bisher gerade unter Alleinlebenden populär, greifen nun verstärkt Mehrpersonenhaushalte darauf zurück. Besonders gefragt sind kontaktlose Lieferungen. Dann werden auch die Kuriere, die mit vielen Menschen in Kontakt kommen, als potenzielle Ansteckungsquelle ausgeschaltet.Mit seiner globalen Verbreitung könnte das Virus auch in anderen Weltregionen das Geschäft der Essensbranche beschleunigen. Der Kochboxenversender Hellofresh zum Beispiel wappnet sich bereits für einen möglichen Nachfragesog, etwa indem Vorräte aufgebaut werden. Dabei ist das Unternehmen weder in Asien noch in Italien tätig. Hellofresh verkauft keine fertigen Gerichte, sondern verschickt Komplettpakete mit Zutaten und Rezept. Das Kochen übernehmen die Kunden.Das Datenportal Statista veranschlagt den Weltmarkt für fertige Mahlzeiten, die online bestellt wurden, auf 109 Mrd. Euro im laufenden Jahr. Bis 2024 wird ein Wachstum von 7,5 % im Jahr erwartet. Der deutsche Markt kommt auf 2 Mrd. Euro. Grundsätzlich gibt es zwei Geschäftsmodelle: Die einen stellen lediglich den Online-Marktplatz bereit, die Auslieferung übernimmt das Restaurant. Im zweiten Fall liegt auch die Logistik beim Plattformbetreiber. Das treibt die Kosten, ermöglicht aber Zusatzgeschäfte wie die Auslieferung von Lebensmitteln oder Blumen. Derzeit sind beide Ansätze etwa gleich stark verbreitet, wobei die Auslieferung durch App-Betreiber stärker wächst (siehe Grafik). Viele Unternehmen verfolgen – je nach Markt – beide Strategien. Delivery Hero etwa liefert 44 % der Orders selbst aus. Bis Ende 2020 soll der Anteil auf 55 bis 60 % steigen.Nach Recherchen der Schweizer Bank UBS sind in den vergangenen fünf Jahren mehr als 11 Mrd. Dollar Kapital in die Essenslieferbranche geflossen, die das Hyperwachstum und die Verluste angetrieben hätten. Auf aggregierter Ebene nähmen die Verluste noch zu, doch mehr und mehr setze sich Rationalität durch, indem sich Anbieter auf ihre starken Märkte konzentrieren. Als Paradebeispiel dafür kann der Rückzug von Delivery Hero aus dem Heimatmarkt Deutschland gelten. Die Berliner haben dieses Geschäft an die niederländische Takeaway verkauft, die jetzt mit ihrer Tochter Lieferando den hiesigen Markt dominiert. Auch die britische Deliveroo hat sich aus Deutschland zurückgezogen.Delivery Hero konzentriert sich auf die Schwellenländer in Nordafrika, im Nahen Osten und in Asien. Die milliardenschwere Übernahme des größten Online-Essensdienstes in Südkorea Woowa Brothers verstärkt diese Ausrichtung weiter. Mit der Akquisition steige Delivery Hero zum größten Essenslieferanten außerhalb Chinas auf, jubelt Mitgründer Niklas Östberg. Der CEO pumpt hunderte Millionen Euro im Jahr ins Geschäft, um neue Kunden zu gewinnen, bestehende zu häufigeren Bestellungen zu animieren und Auslieferungskapazität sowie Restaurantabdeckung zu erhöhen. Aggressive StrategieDas stürmische Wachstum geht mit astronomisch anmutenden Verlusten einher: 2019 türmten sich die roten Zahlen auf fast 30 % der Erlöse, wobei Zinsen, Steuern, Abschreibungen und Sondereinflüsse sogar noch herausgerechnet wurden. Investoren jedoch goutieren die aggressive Strategie, wie der Kursanstieg zeigt.Konkurrent Takeaway dominiert neben dem deutschen auch den niederländischen Markt. Mit der Akquisition der britischen Just Eat kommen vor allem Großbritannien, Kanada und Australien hinzu. Die Übernahme via Aktientausch wurde Ende Januar abgeschlossen, doch das grüne Licht der britischen Wettbewerbshüter steht noch aus. Beim Börsenwert kommt Just Eat Takeaway mit 11,8 Mrd. Euro schon recht nah an Delivery Hero (14 Mrd. Euro) heran. Der nächste Megadeal könnte zu einer Neuverteilung des US-Marktes führen. Die Nummer 2 Grubhub gilt als Übernahmekandidat, da ihr abnehmende Kundentreue und rückläufige Erträge zusetzen. Als potenzieller Interessent gilt Uber Eats, wenngleich der Konzern bisher regelmäßig versichert hat, dass die Essenstochter aus eigener Kraft, also ohne Akquisitionen, wachsen solle. Künftig könnte sich der Wettbewerb noch verschärfen, denn Marktführer Doordash steht vor dem Börsengang. Der 2013 gegründete Konzern kam zuletzt auf eine Bewertung von 13 Mrd. Dollar.Die Übernahmen belegen, dass die Konzentration der Essensdienste voranschreitet. Den Managern geht es darum, in einem durch Verdrängungswettbewerb und Skaleneffekte geprägten Markt als Erster eine dominante Position zu erreichen. Ob die Wettbewerbshüter solche monopolistisch geprägten Strukturen akzeptieren, hängt von der Definition des relevanten Markts ab. Gehören nur die Essensdienste im engeren Sinne dazu, oder konkurriert die Branche auch mit telefonisch bestellten Mahlzeiten, stationären Restaurants und Kantinen und letztlich sogar mit dem ganzen Lebensmittelmarkt? Dann wäre der Marktanteil sehr viel geringer.