GASTBEITRAG

Die krisenbedingte HV-Gesetzgebung bedarf Ergänzungen im Aktionärsinteresse

Börsen-Zeitung, 24.3.2020 Die andauernde Coronakrise hat bereits viele Unternehmen gezwungen, ihre Hauptversammlung (HV) zu verschieben. Für die Gesellschaften bringt das große Unsicherheiten, denn die gegenwärtige Rechtslage sieht keine Möglichkeit...

Die krisenbedingte HV-Gesetzgebung bedarf Ergänzungen im Aktionärsinteresse

Die andauernde Coronakrise hat bereits viele Unternehmen gezwungen, ihre Hauptversammlung (HV) zu verschieben. Für die Gesellschaften bringt das große Unsicherheiten, denn die gegenwärtige Rechtslage sieht keine Möglichkeit einer reinen Online-HV vor. Die Bundesregierung hat erfreulicherweise am vergangenen Freitag einen Entwurf für eine krisenbedingte Gesetzgebung vorgelegt, der auch Fragen der Abhaltung von Publikums-HVs behandelt und entsprechende Neuregelungen vorschlägt. Nachfolgend gilt es diese Vorschläge kurz zu analysieren sowie wichtige Ergänzungen aufzuzeigen.1. Die Bundesregierung will ihren Gesetzesentwurf nicht nur auf die Hauptversammlungssaison 2020, sondern bis Ende 2021 gelten lassen. Wiewohl es zu begrüßen ist, dass man mit dem Gesetzesentwurf jetzt schnell auf die besondere Situation reagiert, sollte im Gesetz deutlich gemacht werden, dass nach der Beendigung der Coronakrise die Bestimmungen nur bis Ende 2020 gelten.2. Die Erweiterung des Zeitraums für die Abhaltung der HV für 2020 auf zwölf Monate nach Schluss des Geschäftsjahres ist zu befürworten.3. Eine Online-HV kann gemäß Gesetzesentwurf auch ohne ausdrückliche Satzungserfordernis/-änderung abgehalten werden. Alternativ könnte vorgesehen werden, dass zu einer reinen Online-HV erst dann einzuladen ist, wenn diese acht Monate nach Schluss des Geschäftsjahres in physischer Form weiterhin nicht abgehalten werden kann. Dies sollte ebenfalls ohne ausdrückliche Satzungserfordernis/-änderung möglich sein. Eine Online-HV ist in diesem Fall in voller Länge für die Aktionäre im Internet zugänglich zu machen und nicht auf die Reden der Aufsichtsrats- und Vorstandsvorsitzenden zu beschränken. Alle teilnehmenden Anteilseigner stimmen der Verwendung ihrer Stimm- und Bildrechte zu. Begrüßenswert ist die vorgeschlagene Verkürzung der Einberufungsfrist.4. Des Weiteren wird vorgeschlagen, dass, solange die derzeitigen Ausgangsbeschränkungen fortdauern und eine Ansammlung mit mehr als zwei Personen nicht möglich ist, die HV vollständig digital im virtuellen Raum abzuhalten ist.Würden die derzeitigen Ausgangsbeschränkungen gelockert und dadurch eine von bis zu 100 Personen begrenzte Präsenz-HV möglich, sollte eine Begrenzung der Präsenzteilnahme auf Vertreter großer Aktionäre (mind. 0.25 % des Aktienkapitals), etablierter Schutzvereinigungen privater Kapitalanleger (DSW, SDK u. ä.) sowie Bankenvertreter mit mind. 0.15 % des Aktienkapitals erfolgen. Privataktionäre können sich durch eine Schutzvereinigung vertreten lassen oder digital teilnehmen. Dem Gleichbehandlungsgrundsatz gem. § 53a AktG wird damit ausreichend Rechnung getragen.5. Für den Fall der Durchführung der HV in (vollständig oder teilweise) digitaler Form haben Unternehmen die technischen Voraussetzungen für die Teilnahme zu schaffen. Sie tragen die Beweislast für von ihnen zu vertretende technische Probleme. Die HV kann in diesem Fall angefochten werden.6. Die Anteilseigner haben die technischen Voraussetzungen zu schaffen, um an einer virtuellen HV teilzunehmen. Technische Probleme der Anteilseigner, die nicht vom Unternehmen zu vertreten sind, berechtigen nicht zur Anfechtung. Alle anderen Anfechtungs- und Nichtigkeitsgründe bleiben unberührt.7. Für das Fragerecht der Aktionäre wird vorgeschlagen, dies auf je drei Fragen zu begrenzen. Darüber hinausgehende Fragen sind spätestens 48 Stunden vor der HV der Gesellschaft einzureichen. Fragen und Beantwortung durch die Verwaltung sind zeitnah vor der HV auf der Internetseite der Gesellschaft zugänglich zu machen.8. Die im Gesetzesentwurf vorgeschlagenen Regelungen betreffend die Stimmabgabe erscheinen geeignet. Alle bei der Gesellschaft bzw. bei deren mit der Abstimmung beauftragten Organisationen registrierten Aktionäre können ihre Stimme bis zur vom Versammlungsleiter angeordneten Abstimmung auch elektronisch, durch ggf. anwesende Bevollmächtigte oder durch Briefwahl abgeben.9. Anders als im Gesetzesentwurf wird vorgeschlagen, dass eine Vorab-Ausschüttung (nicht nur die in § 59 Abs. 2 AktG auf die Hälfte des Jahresüberschusses bzw. des vorjährigen Bilanzgewinns beschränkte Abschlagszahlung) aus dem im festgestellten Jahresabschluss zur freien Verfügung stehenden Gewinn durch entsprechenden Beschluss von Aufsichtsrat und Vorstand erfolgen kann. Auch hierfür würden der Vorstand und Aufsichtsrat gem. §§ 93, 116 AktG bei Verletzung ihrer Sorgfalts- und Legalitätspflichten haften. Im Wege der zukünftigen Diskussion sollte auch die Frage von Quartalsdividenden verfolgt werden, die auch in der jetzigen Situation eine sinnvolle Alternative dargestellt hätten.10. Vorzusehen ist auch, dass die Bestellung des Abschlussprüfers allein durch den Aufsichtsrat erfolgen kann. Das begründende Votum des Aufsichtsrats ist mit der Bestellung zu veröffentlichen.Fazit: Der vorgelegte Gesetzesentwurf erscheint ausgewogen, sollte aber an den aufgezeigten Stellen im Aktionärsinteresse ergänzt werden. Insbesondere ist es wichtig, dass die aktuellen Gesetzesanpassungen nur auf die aktuelle HV-Saison abstellen und bei einer Beendigung der Coronakrise bis Ende September 2020 die Gültigkeit nicht über Ende 2020 Bestand haben soll. Die grundsätzliche Frage einer reinen und/oder komplementären Online-HV sollte auf Grundlage der Erfahrungen aus der HV-Saison 2020 zu einem späteren Zeitpunkt erneut aufgegriffen und verfolgt werden. Christian Strenger, Akad. Direktor des Governance Centers der HHL Leipzig sowie Gründungsmitglied der DCGK-Kommission und Julia Redenius-Hövermann, Professorin für Bürgerliches Recht und Unternehmensrecht an der Frankfurt School of Finance and Management