Die neue Arbeitswelt ist hybrid
Von Annette Becker, Düsseldorf
Auch anderthalb Jahre nach Ausbruch der Pandemie sind die Büros vielerorts noch verwaist. Zahlreiche Unternehmen arbeiten weiterhin mit maximalen Belegungsquoten, die in der Regel zwischen 30 % und 50 % variieren, wie eine Umfrage der Börsen-Zeitung unter den Dax-Werten zutage förderte. Selbst wenn viele Beschäftigte von der freiwilligen Rückkehr ins Büro Gebrauch machen, stößt keines der Unternehmen an die festgelegte Auslastungsgrenze.
Das liegt nicht zuletzt daran, dass vielfach weiterhin die Aufforderung gilt, wo immer möglich von zuhause zu arbeiten. Bei Siemens beispielsweise beläuft sich die Belegungsquote weltweit auf 5 % bis 15 %. Die Deutsche Bank kommt von der anderen Seite und berichtet von einer von 80 % auf 75 % reduzierten Homeoffice-Quote. Ähnlich sieht es bei Fresenius aus, wo die maximale Belegungsquote von 30 % deutlich unterschritten wird.
Doch während bei manchen Firmenchefs und Abteilungsleitern die Ungeduld wächst, die Belegschaft in die Büros zurückzuholen, scheinen sich die Angestellten schon längst mit der „neuen Arbeitswelt“ arrangiert zu haben. Nach einer von Eon in Auftrag gegebenen Yougov-Umfrage hat die Arbeit aus dem Homeoffice während der Pandemie noch an Beliebtheit gewonnen. 71 % der Befragten gaben an, auch künftig im Homeoffice arbeiten zu wollen. Im Mai 2020 waren es erst 58 %. Gut ein Viertel will sogar vollständig von zuhause arbeiten, 45 % präferieren, mehrmals in der Woche zwischen Homeoffice und Büro zu wechseln.
Ein Zurück in die Vor-Corona-Arbeitswelt wird es nach dem Ende der Pandemie nicht geben. Darin sind sich die Dax-Konzerne einig. Vom Besten beider Welten, das in die Zeit nach der Pandemie gerettet werden soll, ist die Rede, wenn die Unternehmen über das Arbeiten im „New Normal“ sprechen. Daher arbeiten zahlreiche Firmen an „New Work“-Modellen, die nicht nur Regelungen über die künftige Aufteilung der Arbeitszeit zwischen Büro und mobilem Arbeiten enthalten, sondern auch Maßnahmen zur Umgestaltung der Büroarbeitsplätze, die in Schlagworten wie „Kollaborationsflächen“, „Open-Space-Räumlichkeiten“ oder „Desk-Sharing-Konzepte“ zum Ausdruck kommen.
Doch hinter flexiblen oder hybriden Arbeitsmodellen, zu denen sich alle Firmen gleichermaßen bekennen, verbirgt sich ganz Unterschiedliches. Am weitesten hinsichtlich Flexibilität dürfte Vodafone Deutschland gehen. Der Telekommunikationskonzern stellt es seinen Beschäftigten (mit Büroarbeitsplätzen) von Oktober an völlig frei, ob sie im Büro oder aus dem Homeoffice arbeiten. Erforderlich sei dafür nur die Abstimmung mit dem eigenen Team und dem direkten Vorgesetzten. Anmelde- und Freigabeprozesse in Firmensystemen werde es ebenso wenig geben wie Anwesenheitsquoten.
„Lust auf Büro“
Im gleichen Atemzug sagt Hannes Ametsreiter, CEO Vodafone Deutschland, jedoch: „Wir wollen keine 100 % Home Office Company sein.“ Ein Widerspruch ist das aus Ametsreiters Sicht nicht, sind Firmenstandorte seiner Einschätzung nach doch alles andere als Auslaufmodelle. Denn manche Beschäftigte belaste die Homeoffice-Situation. Sie wünschten sich nichts sehnlicher als die Rückkehr ins Büro.
Flexibel zeigt sich auch RWE: „Ganz ohne Quoten oder andere Vorgaben organisieren sich die Teams bei uns in Absprache mit den Führungskräften.“ Losgelöst von der Pandemie wird das hybride Arbeiten bei dem Energiekonzern als Pluspunkt für die Attraktivität als Arbeitgeber gesehen. Wenngleich die Beschreibung des künftigen Firmenarbeitsplatzes als Ort der Begegnung, der Inspiration und Kreativität vielleicht etwas dick aufgetragen ist – nicht nur bei Vodafone –, ist klar, dass die künftigen Arbeitsplätze anders aussehen werden.
Der Großteil der Dax-Unternehmen verbindet mit hybriden Arbeitsmodellen allerdings Quoten für die Arbeit aus dem Homeoffice. Vielerorts laufen gerade entsprechende Gespräche mit Betriebsräten und Arbeitnehmervertretungen. Soweit die befragten Unternehmen detailliert Auskunft geben, zeichnet sich für den Dax ab, dass die Arbeitnehmer nach dem Ende der Pandemie in der Regel zwischen zwei oder drei Tagen mobilem Arbeiten wählen können. So hat sich Siemens Energy beispielsweise mit dem Betriebsrat verständigt, dass künftig maximal 45 % der Jahresarbeitszeit mobil geleistet werden kann.
„Ziel ist, dass alle Beschäftigten weltweit im Schnitt stets zwei bis drei Tage pro Woche mobil arbeiten können, wenn es sinnvoll und machbar ist“, erklärt Siemens. Mobil beschränkt sich dabei ausdrücklich nicht auf das Homeoffice, sondern den Ort, an dem am produktivsten gearbeitet wird. Vodafone gesteht den Beschäftigten sogar zu, bis zu 20 Arbeitstage jährlich im EU-Ausland arbeiten zu dürfen.
Bei der Deutschen Telekom hat im September die „New Work“-Phase begonnen, in der die Teams wieder bewusst in den Büros zusammenkommen. Mit einer Reihe von Aktionen an vielen Standorten soll „die Lust auf Büro“ wiederbelebt werden. Zum Angebot gehören nach den Angaben „spannende Talks zu strategischen Themen“, „Tutorials zu digitalen Tools“, aber auch Kulturveranstaltungen und Achtsamkeitstrainings.
Auch die Deutsche Börse gibt sich gegenüber mehr Flexibilität aufgeschlossen und erklärt: „An zwei Tagen pro Woche soll Remote Work auf freiwilliger Basis möglich sein – zunächst im Rahmen einer zwölfmonatigen Pilotphase.“ Die Deutsche Wohnen geht den umgekehrten Weg und strebt an, „dass mehr als 50 % der Belegschaft die Möglichkeit auch nach der Pandemie annehmen, aus dem Homeoffice zu arbeiten“. Die Deutsche Bank verhandelt derzeit noch mit den Arbeitnehmern und hält es für „denkbar, dass man sich dahingehend einigen könnte, in manchen Bereichen bis zu drei Tage Arbeiten von zuhause ermöglichen“ zu können.
Dass die Firmen dem Wunsch nach mehr Flexibilität nicht ganz aus freien Stücken nachgeben, zeigt sich bei der HDI Group. Hier sollen die Beschäftigten in Abstimmung mit der Führungskraft künftig bis zu 60 % ihrer Arbeitstage im Kalenderquartal mobil verrichten können. Konzernbetriebsratschef Ralf Rieger spricht von einem ausgewogenen Kompromiss, der allerdings Ergebnis „zäher Verhandlungen“ ist. „Auf der einen Seite sind da die Kolleginnen und Kollegen mit dem Wunsch nach Flexibilität, Selbstbestimmung des Arbeitsorts und bestmöglicher Ausstattung. Auf der anderen Seite ist da der Arbeitgeber mit der Forderung nach Dispositionshoheit und Kontrolle sowie der Angst vor zusätzlichen Kosten“, sagt Rieger.
Freie Büroflächen
Die neue hybride Arbeitswelt wird auch Auswirkungen auf die Büroflächen haben, denn eine geringe Anwesenheitsquote ist gleichbedeutend mit geringerem Flächenbedarf. Doch nur wenige der Dax-Konzerne haben ihre Überlegungen dazu schon abgeschlossen. „Ja, wir werden sicherlich im Rahmen unseres New-Work-Ansatzes auch Büroflächen reduzieren“, erklärt die Deutsche Telekom. Die Allianz Deutschland gibt an, die Büroflächen, die nicht mehr selbst benötigt werden, konzernintern oder fremd unterzuvermieten. Deutsche Bank, Siemens Energy oder auch Daimler berufen sich darauf, fortwährend an der Optimierung der Büro- und Standortflächen zu arbeiten und dabei künftig auch den absehbar geringeren Flächenbedarf in die Überlegungen einfließen zu lassen.
Klar gegen Flächenreduzierung sprechen sich Infineon, Henkel und RWE aus, wobei der Energiekonzern seinen neuen Campus in Essen erst im Mai 2020 bezogen hat. „Den Wunsch unserer Beschäftigten nach mehr Möglichkeiten zum mobilen Arbeiten haben wir bereits bei den Planungen für den Campus mit einer vergleichsweise hohen Desk-Sharing-Quote berücksichtigt“, heißt es. Auch Heidelberg Cement hat 2020 die neue Hauptverwaltung, die dem Unternehmen gehört, bezogen. „Insofern kommt das Abkündigen von Büroflächen nicht in Betracht.“
Die heikle Frage
Angesichts der im EU-Vergleich geringen Impfquote in Deutschland und der sich für den Herbst abzeichnenden hohen Infektionszahlen dürften die neuen Arbeitsmodelle aber ohnehin erst im kommenden Frühjahr in die Tat umgesetzt werden. Damit in Verbindung steht das heikle Thema, ob der Impfstatus abgefragt werden darf. Nur wenige Dax-Konzerne geben hierzu klare Statements ab. Vielerorts zieht man sich auf die Position zurück, dass sich die Frage derzeit nicht stelle, da der Gesetzgeber die Abfrage nicht vorsehe. Die bewährten Test- und Hygienekonzepte gälten weiter – auch für Genesene und Geimpfte.
RWE bezieht dagegen ganz klar Position: „Wir würden es begrüßen, wenn Unternehmen den Impfstatus ihrer Beschäftigten abfragen dürften“, heißt es. Auch Vonovia plädiert dafür: „Wir sind der Meinung, dass ein transparenter Impfstatus zu mehr Normalität beiträgt. (…) Wenn wir den Impfstatus bis zur Aufhebung der pandemischen Lage abfragen können, würde uns das für einen gezielten Gesundheitsschutz sehr helfen.“
Die Deutsche Börse bekennt: „Eine rechtlich ermöglichte Abfrage des Impfstatus würde es uns erlauben, die bestehenden Sicherheitsmaßnahmen an unseren Standorten um einen weiteren Sicherheitsfaktor zu ergänzen.“ Continental sähe in einer entsprechenden Regelung „die konsequente Fortführung der öffentlichen Corona-Regelungen im betrieblichen Kontext“. Zugleich räumen die Hannoveraner aber ein: Die Privatsphäre der Beschäftigten ist zu schützen ist, so dass Anwendung und Dauer sorgfältig abzuwägen seien.