Die Vorteile der Eigenständigkeit
Von Joachim Herr, München
Der eine der beiden Gründer und Autopioniere Gottlieb Daimler und Carl Benz findet sich nur noch im Firmennamen des Lkw- und Bussegments. Denn das Unternehmen für das Geschäft mit Pkw und Vans heißt seit knapp drei Monaten Mercedes-Benz Group. Die Umbenennung war nach außen der Schlussstein für die Abspaltung der Daimler Truck Holding AG. Verbindungen der zwei Unternehmen gibt es freilich weiterhin. Die stärkste ist die 35-%-Beteiligung von Mercedes-Benz an Daimler Truck. Und die Marke Mercedes-Benz gibt es nach wie vor auch für Lkw und Busse im europäischen und brasilianischen Markt.
Die Abspaltung, die mit dem Börsengang von Daimler Truck am 10. Dezember vollzogen wurde, lief glatt. Das Management auf beiden Seiten wirkte von Anfang an überzeugt, den richtigen Schritt zu tun. Auch der Betriebsrat hält die Trennung für sinnvoll. Und auf der Hauptversammlung am 1. Oktober des vergangenen Jahres stimmten 99,9% der Aktionäre dafür. Für jeweils zwei Daimler-Aktien erhielten sie eine des Lkw- und Buskonzerns.
Aktienanalysten hoben und heben die klare Ausrichtung beider Unternehmen hervor, die größere Transparenz und die starken Anreize, die Profitabilität des Nutzfahrzeuggeschäfts zu steigern, das sich zuvor hinter der größeren Pkw-Sparte verstecken konnte. Für die Konzernteilung erhält Mercedes-Benz den Corporate Finance Award in der Kategorie Large Caps. Zur Begründung heißt es, Daimler habe damit einen historischen Schritt gewagt.
Ola Källenius, der Vorstandsvorsitzende von Mercedes-Benz, nennt eine Reihe von Argumenten für die Abspaltung: „Wir gewinnen an Tempo, Flexibilität und Innovationskraft.“ Getrennt könnten sich beide Unternehmen stärker auf die jeweiligen Kunden konzentrieren und die Transformation vom Verbrennungsmotor zu alternativen Antrieben gezielter angehen. Zudem weist der schwedische Vorstandschef darauf hin, dass die Synergien beider Fahrzeugsegmente gering seien: „Andere Kunden, anderes Geschäftsmodell, andere Rahmenbedingungen.“ Auch in der Technik gebe es wesentliche Unterschiede: Während im Pkw die Batterie im Mittelpunkt stehe, spiele für Trucks auch die Brennstoffzelle eine wichtige Rolle.
Den Gewinn an Flexibilität und einer klaren Ausrichtung bestätigte vor kurzem Jochen Goetz, der Finanzvorstand von Daimler Truck, im Interview der Börsen-Zeitung: „Es gibt nun keine Kompromisse mehr wegen des Pkw-Geschäfts.“ Kürzere Entscheidungswege ergäben sich nun schon aus räumlichen Gründen: „Auf Zuruf können wir fünf, sechs Vorstandsmitglieder innerhalb von fünf Minuten zu einem Treffen zusammenbringen.“
Goetz gab aber zu, dass Daimler Truck für die Feinarbeit als eigenständiges Unternehmen Zeit braucht: „Wir sind noch dabei, die Frage nach den Erwartungen der Anteilseigner und des Kapitalmarkts zu beantworten.“ Dabei gehe es um die Balance zwischen Öffentlichkeit, Belegschaft und Kapitalmarkt.
Lieber selbst tätig werden
An der Börse kam die Aufspaltung gut an – wohl auch weil das Auflösen von Konglomeraten und eine klare Ausrichtung von Konzernen im Trend liegen. Siemens und General Electric sind zwei andere prominente Beispiele. Die Vorstände spalten ihre Unternehmen lieber selbst auf, ehe aktivistische Aktionäre sie in diese Richtung drängen und zwingen.
Seit Beginn des Angriffskriegs von Russland gegen die Ukraine haben die Kurse von Mercedes-Benz und Daimler Truck allerdings wie der gesamte Markt gelitten. Das Bild ist seitdem freilich verzerrt. Für die im Februar 2021 verkündete Entscheidung, Daimler aufzuspalten, gab es reichlich Vorschusslorbeer. Mit einem Kursgewinn von 43% war die damalige Daimler AG im vergangenen Jahr einer der besten Dax-Werte. Bis eine Woche vor Kriegsbeginn ging es um 8,5% weiter nach oben, und der Kurs von Mercedes-Benz erreichte eine Woche vor Kriegsbeginn mit 76,06 Euro den höchsten Stand seit dem Frühjahr 2015.
Daimler Truck startete am 10. Dezember des vergangenen Jahres mit einem Eröffnungskurs von 28 Euro an der Börse. Bis Mitte Januar ging es auf den bisher höchsten Stand von 35,44 Euro – ein Plus von mehr als einem Viertel. Dann sackte der Kurs Anfang März auf 22 Euro ab. Seitdem hat er sich wie Mercedes-Benz und der gesamte Dax leicht erholt.
Seit dem vergangenen Monat sind beide Unternehmen der ehemaligen Daimler AG in der höchsten Klasse der deutschen Börse notiert. Mit einer Marktkapitalisierung von gut 21 Mrd. Euro gehört die Truck Holding zu den 25 größten Dax-Werten. Mercedes-Benz liegt derzeit bei 67 Mrd. Euro und in den Top 10.
Die Verbindung beider Unternehmen wird noch länger bleiben – nicht nur weil sich Mercedes-Benz verpflichtet hat, in den ersten drei Jahren der Börsennotierung von Daimler Truck nur im Ausnahmefall Aktien aus dem 35-%-Paket zu verkaufen. Källenius kündigte an, Mercedes-Benz wolle für einen längeren Zeitraum das Nutzfahrzeuggeschäft unterstützen. Das Vertrauen in das Geschäft von Daimler Truck ist offenbar groß: „Wir möchten an möglichen künftigen Wertsteigerungen teilhaben.“ Und der Vorstandschef erwähnte auch, dass ein Ankeraktionär einen guten Schutz vor einer möglicherweise nicht willkommenen Übernahme bietet.
Erfolgsdruck für den Vorstand
Mehr Eigenverantwortung setzt im Management und zumindest in einem Teil der gesamten Belegschaft zusätzliche Kräfte frei, im Fall von Daimler Truck auch höhere Ambitionen. Die wesentlich größere Aufmerksamkeit für ein eigenständiges und börsennotiertes Unternehmen erhöht den Erfolgsdruck auf den Vorstand. Dass die Ergebnisentwicklung des Lkw-Geschäfts in den drei großen Regionen sowie der Bussparte und der Finanzdienstleistungen Quartal für Quartal getrennt dargestellt wird, offenbart Schwächen und erfordert rasches Handeln. „Jede Region muss liefern“, verspricht der Vorstandsvorsitzende Martin Daum. „Ausreden werden wir nicht gelten lassen.“ Für die Aktionäre ist diese Transparenz ein Gewinn. Das gilt auch für Mercedes-Benz: Renditeziele für das Pkw- und das Van-Geschäft werden zudem nun einzeln angegeben.
Alles in allem ist dem Management von Daimler, nun Mercedes-Benz, die Abspaltung offensichtlich reibungslos gelungen. Der Zeitpunkt war der richtige, auch wenn es dazu etwas Glück braucht. Zwar bremst der Halbleitermangel das Geschäft nach wie vor empfindlich, doch die Nachfrage sowohl nach Pkw als auch nach Lkw ist sehr hoch. Die Folgen des Kriegs von Russland gegen die Ukraine sind allerdings noch nicht abzusehen. Die Risiken für die Wirtschaft und die Unternehmen sind jedenfalls gestiegen.
Zuletzt erschienen: Übernahmekrimi am Wohnungsmarkt (22. April)