Im Interview:Siemens-Treasurer Peter Rathgeb

„Geld muss eine Art intrinsische Intelligenz haben“

Siemens arbeitet seit Jahren daran, dem Geld eine intrinsische Intelligenz zu verleihen. Im September emittierte der Konzern gleich zwei digitale Anleihen. Treasurer Peter Rathgeb ist ein gefragter Experte. Im Interview der Börsen-Zeitung erläutert er die Siemens-Strategie in diesem Feld.

„Geld muss eine Art intrinsische Intelligenz haben“

Herr Rathgeb, Siemens hat in den vergangenen Wochen zwei digitale Anleihen begeben. Zahlt sich eine Digitalisierung von Bonds überhaupt aus?

Wir begeben traditionell nur ein- oder zweimal im Jahr Anleihen. Im Tagesgeschäft spielen diese Transaktionen eher eine untergeordnete Rolle. Sie sind aber ein wichtiger Baustein auf dem Weg zu echter Innovation mit sich ständig erweiternden Handlungsspielräumen und damit auch Wegbereiter für neue, sich dynamisch entwickelnde digitale Geschäftsmodelle. Es ist wie mit der Produktforschung und -entwicklung: Im Heute sind diese vermeintlich entbehrlich, aber sie sichern die Zukunft.

Trotzdem erprobt Siemens seit Jahren digitale Bonds.

Dies ist für uns ein Teil eines Zahlungsverkehrsökosystems, das wir bauen. Wir verbinden damit Kunden, Lieferanten, Siemens und die Finanzmärkte. Innerhalb dieses Ökosystems sollen die Gelder hochautomatisiert in höchster Frequenz fließen können, auch zur Bezahlung von Dienstleistungen im Wert von Bruchteilen eines Cents. Künftig werden nicht nur Menschen, sondern auch Maschinen miteinander im Austausch stehen.

Was hat Siemens davon?

Wenn die Zahlungsinfrastruktur im Gleichlauf mit dem Austausch von Services und Produkten funktioniert, können wir unseren Kunden völlig neue Geschäftsmodelle anbieten: die direkte Abrechnung unserer Dienstleistung. Dafür muss das Geld – ich übertreibe jetzt – eine Art intrinsische Intelligenz haben. Es muss wissen, wohin es geht, ohne dass wir ihm das sagen.

Wie kann dies funktionieren?

Sie haben zwei Möglichkeiten. Man kann dem Geld diese Intelligenz geben, dies kann man als „Money Token“ bezeichnen. Die zweite Möglichkeit: Sie statten ein Accountsystem mit dieser Intelligenz aus. Darüber hinaus sehe ich keinen Mehrwert darin, vom zweischichtigen System des Fiatgeldes der Zentralbanken und Geschäftsbanken, ob digital oder nicht, zu anderen Kryptowährungen zu wechseln.

Können Sie bitte ein Beispiel für ein Accountsystem nennen?

Die einfachste Anwendung, die wir bereits implementiert haben, ist das Auffüllen von Konten mit Geld. Erhält ein Konto die Aufforderung, einen bestimmten Betrag beispielsweise an einen Lieferanten zu überweisen, kann es sich den entsprechenden Betrag zeitgleich von einem zentralen Cashpool-Konto holen.

Wie fügt sich die Refinanzierung in dieses Ökosystem ein?

Theoretisch, wenn auch vorerst nur als Vision, wäre Folgendes denkbar: Bei Siemens gibt es überhaupt kein Geld mehr. Wenn eine Rechnung bezahlt werden muss, ziehen wir externes Geld beispielsweise über eine Mini-Anleihe oder per Bankkredit. Dann leiten wir es sofort an den Rechnungssteller weiter. Von diesem Prozess sind wir noch meilenweit entfernt. Als Zwischenschritt werden wir die Puffer auf den zahlreichen Konten massiv reduzieren.

Was kostet es Siemens heute, dass das Geld ungenutzt auf Konten liegt?

Das sind komplizierte Kalkulationen. Das Ergebnis ist auf jeden Fall ein relevanter Betrag.

Wie funktioniert eine digitale Anleihe?

Der Kern ist ein Blockchain-Konzept. In diesem Rahmen haben wir viele Ansätze erprobt: Wir haben sowohl mit privaten als auch mit öffentlichen Blockchain-Modellen gearbeitet, es wurden Kryptoregister eingesetzt, und teils haben wir eine Test-Lösung der Deutschen Bundesbank verwendet.

Diese kam beim bisher größten Emissionsvolumen zum Einsatz.

So ist es. Im September haben wir 300 Mill. Euro mit einer Laufzeit von einem Jahr aufgenommen. Dabei wurde die private Blockchain von Swiat mit der „Trigger Solution“ der Deutschen Bundesbank verbunden. Swiat hat das Wertpapier geliefert, und die Trigger-Lösung hat die Zahlung ausgelöst, und zwar mit Zentralbankgeld.

Wie beurteilen Sie dieses System?

Es ist richtig gut und wäre sehr schnell umsetzbar. Man muss keinen digitalen Euro kreieren, sondern kann die Konten direkt in die sogenannte Distributed Ledger Technologie einbinden. Die Blockchains können privat oder öffentlich sein.

Eigentlich hört sich dies nicht so sensationell an.

Die Folgen sind allerdings eindrucksvoll. Früher dauerte es sieben Tage nach der Lieferung des Wertpapiers, bis gezahlt wurde. Bei der 300 Mill.-Anleihe waren es nur noch 15 Minuten. Fast alles lief vollautomatisch ab. Bei einer weiteren Siemens-Commercial-Paper-Transaktion über 100.000 Euro Ende September waren es sogar nur 93 Sekunden.

Wieso sind Sie auf diesen niedrigen Betrag zurückgegangen?

Wir bedienen uns laufend auf dem Commercial Paper Markt in den USA. Daher haben wir ausprobiert, inwieweit wir auch dort mit einer digitalen Emission aktiv werden können. Sie hatte eine Laufzeit von nur drei Tagen. Zahlung und Lieferung wurden auf der privaten Blockchain Swiat und einer von J.P. Morgan bereit gestellten Blockchain abgewickelt. Die DekaBank hat das Kryptoregister geführt. Diesen Ansatz eines dezentralen Registers haben wir bewusst gewählt, weil er disruptiver ist als ein elektronisches Zentralregister.

Damit spielte eine zentrale Clearingstelle als Abwickler keine Rolle mehr.

Die zentrale Clearingstelle wird tatsächlich in diesem System nicht mehr benötigt.

Sind derlei Verschiebungen ein Menetekel für die Bankenbranche?

Die Frage, wer gewinnt und wer vielleicht auch verliert, ist nicht so einfach zu beantworten. Aber der Bankensektor erkennt sehr wohl, dass in diesem Wandel auch Potenzial steckt. Sie können bestimmte Funktionen übernehmen wie beispielsweise das Führen eines Kryptoregisters. Ich gehe daher davon aus, dass die Banken neue Felder finden, wo sie sich etablieren können.

Schielt Siemens auf die Einsparung von Kosten?

Es geht nicht vorwiegend um irgendwelche Kostenaspekte, sondern um ein viel größeres Ziel. Wir wollen ein Ökosystem aufbauen, das im Idealfall vollautomatisiert Geldströme organisiert. Wer immer das zur Verfügung stellt, ist willkommen.

Welche Rahmenbedingungen braucht Siemens hierfür?

Unsere erste Transaktion mussten wir noch nach luxemburgischem Recht durchführen. Inzwischen gibt es das Gesetz über elektronische Wertpapiere, wofür wir dem Bundesfinanzministerium dankbar sind.

Was fehlt noch?

Digitale Wertpapiere müssen auch börsenfähig gemacht werden. Außerdem sollten Banken die Papiere bei der Zentralbank als Sicherheit hinterlegen können. All dies ist wichtig, damit ein Sekundärmarkt für den Handel mit diesen Wertpapieren überhaupt entstehen kann.

Wann werden sich digitale Anleihen durchgesetzt haben?

Ich gehe davon aus, dass sich diese Art der Emission in rund zehn Jahren voll etabliert haben wird. Dann wird niemand mehr physische Wertpapiere emittieren.

Wie müssen die Banken sich verändern?

Sie sollten in Ökosystemen denken und arbeiten. Wenn jede Bank nur ihr eigenes Süppchen kocht, indem ausschließlich die eigene Plattform vermarktet wird, kommt die Digitalisierung nicht in Schwung. Diese Veränderung ist wahrscheinlich die eigentliche Hürde auf dem Weg zu digitalen Wertpapieren.

Was konkret müssen die Banken leisten?

Die Institute sollten ihre Systeme vollständig mit anderen Systemen verknüpfen. Bei der von uns gemeinsam mit J.P. Morgan etablierten Zahlungsverkehrslösung scheinen aktuell weitere Großbanken bereit zu sein, sich dort einzubringen.

Siemens hat viele Ansätze getestet. Für welche Variante entscheiden Sie sich?

In diesem Markt ist viel Bewegung. Es ist noch nicht an der Zeit, dass man sich festlegen sollte. Im Prinzip sind wir agnostisch, was das System anbelangt. Wir haben gezeigt: Siemens kann mit privaten und öffentlichen Blockchains umgehen, auch mit unterschiedlichen Register-Typen. Wichtig ist für uns, dass es interoperable Ökosysteme gibt, die miteinander harmonieren und den Geldfluss möglichst nahtlos organisieren können.

Sollten sich andere Unternehmen einbringen?

Der Wunsch wäre natürlich, dass wir uns zusammenschließen. Die großen Unternehmen könnten das Thema vorantreiben, weil wir den Business Case darstellen können. Die monetären Transaktionen müssen einen realwirtschaftlichen Vorteil für uns alle haben. Diesen Vorteil kann nicht die Finanzwelt aufzeigen, dies müssen die Unternehmen tun.

Im Interview: Peter Rathgeb

„Geld muss eine Art intrinsische Intelligenz haben“

Der Group Treasurer von Siemens über die künftige Gestaltung von monetären Transfers. Der Konzern fordert eine Börsenfähigkeit digitaler Wertpapiere.

Nun also auch die Förderbank von Baden-Württemberg: Die L-Bank verkündete am Freitag, sie habe die Digitalisierung ihres Emissionsgeschäfts gestartet. Die Welle beginnt zu rollen. Siemens arbeitet daran seit Jahren. Group Treasurer Peter Rathgeb ist gefragt, jüngst referierte er bei der Börsensachverständigenkommission.

Das Interview führte Michael Flämig.

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