RECHT UND KAPITALMARKT - IM INTERVIEW: HANS-CHRISTOPH IHRIG UND HANS-PETER LÖW

Diversity in der Europa AG: Unklare Regelungen bergen Sprengstoff

Große Rechtsunsicherheit in der Besetzung des Aufsichtsrats in der SE

Diversity in der Europa AG: Unklare Regelungen bergen Sprengstoff

– Herr Dr. Ihrig, Herr Dr. Löw, seit Anfang dieses Jahres gilt die feste Geschlechterquote von 30 % im Aufsichtsrat. Betrifft dies auch die Europäische Aktiengesellschaft, die SE?Ihrig:Die Quote gilt für alle börsennotierten Aktiengesellschaften, deren Aufsichtsrat nach den Mitbestimmungsgesetzen paritätisch aus Anteilseiger- und Arbeitnehmervertretern zu bilden ist. Die SE war ursprünglich nicht erfasst, weil sie nicht der Mitbestimmung unterliegt. Zwischenzeitlich wurde die SE deshalb als Königsweg zur Vermeidung der Quote gehandelt. Erst ganz am Ende des Gesetzgebungsverfahrens ist die Lücke geschlossen worden. Ist eine SE börsennotiert und ihr Aufsichtsrat gleichmäßig aus Anteilseigner- und Arbeitnehmervertretern zu bilden, müssen beide Geschlechter mit mindestens 30 % vertreten sein. Bei allen Wahlen seit Beginn dieses Jahres muss der Sitz dem Geschlecht zufallen, das die 30-Prozent-Quote noch nicht erreicht hat. Mandate, die zum Jahresbeginn bereits bestanden haben, können bis zum Ende der Amtszeit wahrgenommen werden.- Wie wird die Quote auf die beiden Bänke verteilt?Löw: Nach dem gesetzlichen Grundprinzip gilt der Grundsatz der Gesamterfüllung. Danach kommt es darauf an, dass mindestens 30 % aller Aufsichtsratsmitglieder insgesamt dem unterrepräsentierten Geschlecht angehören – unabhängig davon, in welchem Umfang Arbeitnehmer- und Anteilseignerseite hierzu beitragen. Jede Seite hat die Möglichkeit, der Gesamterfüllung zu widersprechen. Dann gilt Getrennterfüllung und die Quote wird jeweils separat berechnet. Diese Option für die Getrennterfüllung ist deshalb so wichtig, weil eine Wahl unter Verstoß gegen die Mindestquote nichtig ist und der für das unterpräsentierte Geschlecht vorgesehene Platz unbesetzt bleibt.- Gilt das auch in der SE?Ihrig: Leider hat der Gesetzgeber für die SE zwar die zwingende Quote angeordnet, es aber versäumt, für die SE zugleich die differenzierten Regelungen zur Art und Weise der Quotenerfüllung zu implementieren. Das betrifft insbesondere auch die Möglichkeit, der Gesamterfüllung zu widersprechen. Ob insoweit eine entsprechende Anwendung der aktienrechtlichen Regelungen in Betracht kommt, ist sehr zweifelhaft. Solange der Gesetzgeber nicht nachbessert, ist davon auszugehen, dass es in der SE nur die Gesamterfüllung gibt.- Welche Konsequenzen hat das?Ihrig: Auch in der SE gilt bei Verfehlung der gesetzlichen Quote die Rechtsfolge des leeren Stuhls. Weil die Möglichkeit der Aufsichtsratsbänke, durch Widerspruch gegen die Gesamterfüllung die Getrennterfüllung durchzusetzen, für die SE nicht vorgesehen ist, kann dies für die Anteilseignerseite missliche Folgen haben. In aller Regel folgt nämlich die Wahl der Anteilseignervertreter derjenigen der Arbeitnehmervertreter nach. Die Anzahl der von der Anteilseignerseite zu bestellenden Aufsichtsratsmitglieder des unterpräsentierten Geschlechts ist deshalb von dem häufig ungewissen Ausgang der Arbeitnehmervertreterwahlen abhängig. Im Extremfall, wenn die Arbeitnehmerbank ausschließlich mit Männern besetzt wird, muss die Anteilseignerseite allein für die Erfüllung der Quote sorgen und die für den Aufsichtsrat insgesamt zu berechnende Zahl an weiblichen Mitgliedern stellen.- Was kann man tun?Löw: Es empfiehlt sich eine Anpassung der Beteiligungsvereinbarung. Der Widerspruch gegen die Gesamterfüllung sollte vorgesehen werden. Außerdem sind Regelungen aufzunehmen, wie die Erfüllung der Quote im Wahlverfahren der Arbeitnehmer sichergestellt werden kann. Diese Anforderung muss harmonisiert werden mit der Verpflichtung, Belegschaftsvertreter aus verschiedenen Ländern bei der Besetzung der Arbeitnehmerbank zu berücksichtigen.- Welche Risiken ergeben sich?Löw: Die Beteiligungsvereinbarung in der SE ist häufig das Ergebnis langwieriger Verhandlungen und der Ausgleich vieler widerstreitender Interessen. Durch die Einführung der Geschlechterquote potenziert sich die Komplexität der Sitzverteilung. Die Beteiligungsvereinbarung anzupassen, heißt daher auch, ein sorgsam geschnürtes Verteilungspaket wieder aufzuschnüren. Das wird bei allen Beteiligten neue Erwartungen wecken. Die Gesellschaften sind daher gut beraten, Verhandlungsziele- und -strategien sorgsam und frühzeitig vor den nächsten Wahlen zum Aufsichtsrat zu planen.—-Dr. Hans-Christoph Ihrig und Dr. Hans-Peter Löw sind Partner von Allen & Overy. Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.