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Durchbruch in Grün

Bis zum Jahr 2050 will die Europäische Union klimaneutral werden. Für dieses Ziel ist grüner Wasserstoff unverzichtbar. Der neue Treibstoff soll in Zukunft die Rolle von Erdöl und Kohle übernehmen.

Durchbruch in Grün

Von Christoph Ruhkamp, FrankfurtDer Startschuss für eine der weltweit größten Produktionsanlagen für “grünen” Wasserstoff fällt im Emsland. Die Wasserstoff-Initiative “Get H2” will Deutschlands erstes Wasserstoff-Netzwerk mit 130 Kilometern Länge in Betrieb nehmen. Eingespeist werden soll der Öko-Energieträger ab 2023 in Lingen, das Netzwerk reicht bis nach Gelsenkirchen in Nordrhein-Westfalen. Der Energieriese RWE baut dazu in Lingen eine Elektrolyse-Anlage mit einer bisher weltweit einmaligen Leistung von 100 Megawatt für rund 100 Mill. Euro, die aus Wasser durch Aufspaltung mit Hilfe von Windenergie grünen Wasserstoff herstellt. Dieser wird durch stillgelegte Erdgasleitungen zu den Abnehmern gebracht. Der BP-Konzern nutzt ihn für seine Raffinerie in Lingen, der Chemieriese Evonik am Standort Marl. Ähnliches tut sich im Landkreis Dithmarschen: Zehn Partner investieren gemeinsam 89 Mill. Euro in das Projekt “Westküste 100” zum Aufbau einer regionalen Wasserstoffwirtschaft rund um den Raffineriestandort Heide. Von der Summe kommen 30 Mill. Euro aus Subventionen. Zu den Partnern im Konsortium gehören: der französische Stromkonzern EDF, der Zementhersteller Holcim, der Gasnetzbetreiber OGE, der dänische Windenergieerzeuger Orsted, die Raffinerie Heide, die Stadtwerke Heide, der Regionalversorger Thüga und Thyssenkrupp.Damit das Projekt später in großem Stil ausgebaut werden kann und es sich rentiert, haben die Unternehmen eine Befreiung von der EEG-Umlage durchgesetzt. “Unsere Rechnung geht nur auf, wenn wir vollständig und auf Dauer von der EEG-Umlage befreit sind”, sagt Jürgen Wollschläger, Geschäftsführer der Raffinerie Heide. Als nächster Meilenstein sind bis zu 700 Megawatt Elektrolyse bis 2030 geplant. Im ersten Schritt wird auf dem Gelände der Raffinerie Heide eine 30-Megawatt-Elektrolyse-Anlage errichtet, die mit Hilfe von Strom aus einem nahegelegenen Windpark grünen Wasserstoff im industriellen Maßstab erzeugt.Dieser wird dann vielfältig genutzt: zunächst in der Raffinerie selbst, wo er für klimafreundliches Flugbenzin zum Einsatz kommt. Hierzu gibt es eine Kooperation mit der Lufthansa und dem Flughafen Hamburg. Das Projekt soll aber auch unterschiedliche Stoffkreisläufe innerhalb einer bestehenden Infrastruktur der Partner miteinander verzahnen. So wird grüner Wasserstoff beispielsweise zur Beheizung eines nahen Stadtquartiers verwendet.Seit Jahrzehnten schon wird Wasserstoff – das leichteste und am häufigsten vorkommende Element im Universum – immer wieder als revolutionäre, saubere Energiequelle gepriesen, die Brennstoff für Hochöfen, Kraftstoff für Autos sowie Wärme für Häuser liefern und Strom speichern kann. Doch der Hype hat sich aus mehreren Gründen bisher nie erfüllt: die hohen Produktionskosten im Vergleich zur Verbrennung fossiler Brennstoffe, die Herausforderungen beim Transport des Brennstoffs, die mangelnde Nachfrage und die Unfähigkeit von Wasserstoff-Brennstoffzellen, mit Verbrennungsmotoren oder Lithium-Ionen-Batterien in Elektrofahrzeugen zu konkurrieren.Doch jetzt könnte sich das Blatt wenden – mit Hilfe der üppigen milliardenschweren staatlichen Subventionsprogramme, die in aller Welt auf den Weg gebracht werden – für den Klimaschutz. Wasserstoff ist einer der Hoffnungsträger der Energiewende, wenn durch größere Produktionsmengen die Durchschnittskosten sinken. Klimaneutral produziert kann er die CO2-Emissionen weit über den Stromsektor hinaus senken. Deshalb gilt er als Schlüssel, um die Wirtschaft dort unabhängiger von fossilen Energieträgern zu machen, wo erneuerbarer Strom nicht direkt eingesetzt werden kann.Allein die Bundesregierung will dafür bis dato 9 Mrd. Euro ausgeben. Deutschland plant eine Wasserstoff-Allianz für die Entwicklung einer europäischen Wertschöpfungskette für “grünen Wasserstoff” mit Investitionen in Milliardenhöhe. Beteiligt sind 22 EU-Staaten und Norwegen. Bis 2050 will die Europäische Union klimaneutral werden. Für dieses Ziel ist grüner Wasserstoff unverzichtbar und soll ab 2030 mit 40 Gigawatt Elektrolyseuren produziert werden. Der neue Treibstoff soll in Zukunft die Rolle übernehmen, die heute noch Erdöl, Kohle und Gas spielen. Um grünen Wasserstoff zu gewinnen, müssen Solar- und Windkraft ausgebaut werden. Deshalb investiert die EU bis 2050 rund 470 Mrd. Euro in grünen Wasserstoff. Dem Analysehaus Aurora Energy Research zufolge wird sich die Nachfrage bis 2050 auf das Achtfache erhöhen und dann 125 Mrd. Euro allein in Europa umfassen. Laut Bank of America wird die globale Wasserstoff-Ökonomie bis 2050 rund 11 Bill. Dollar auf die Waage bringen. Davon profitieren Unternehmen wie Linde, Thyssenkrupp und RWE, die bei ihrer Tochter RWE Generation gerade ein Vorstandsressort für Wasserstoff geschaffen hat.Die Vorteile von Wasserstoff in seiner reinen Form: Er verbrennt emissionsfrei, er kann transportiert werden über Pipelines und kann gespeichert werden, zum Beispiel in Salzkavernen. Das plant der Energieversorger EWE aus Oldenburg mit einer Anlage für 10 Mill. Euro im brandenburgischen Rüdersdorf. In 1 000 Meter Tiefe entsteht 2021 ein Kavernenspeicher – ein künstlich angelegter Hohlraum – im Salzgestein. EWE kooperiert dabei mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt.Auch für RWE hat grüner Wasserstoff enormes Potenzial. “Aus erneuerbaren Energien erzeugen wir in sogenannten Power-to-Gas-Anlagen grünen Wasserstoff basierend auf der Technologie Wasserelektrolyse”, sagt RWE-Ingenieurin Lisa Willnauer. “Das ist im kleinen Maßstab bereits erprobt und kommerziell verfügbar. Jetzt geht es darum, aus den kleineren Megawattbereichen in die großen Megawatt- und sogar in die Gigawatt-Bereiche zu kommen.”