E-Commerce eröffnet Zulieferern neue Märkte
igo Stuttgart – Lebensmittel werden vom Supermarkt ins Haus geliefert, Klamotten können bei Nichtgefallen oder der falschen Größe schnell zurückgesendet werden: Das starke Wachstum des E-Commerce-Geschäfts hält unvermindert an. Während der weltweite Umsatz mit online bestellten Waren im vergangenen Jahr bei gut 2 000 Mrd. Dollar lag, erwarten Experten bis 2021 nahezu eine Verdoppelung dieser Erlöse (siehe Grafik). E-Commerce transformiert dabei auch immer mehr sonstige Bereiche der Wirtschaft. Der strukturelle Wandel stellt traditionelle Handelsmodelle in Frage und setzt die dem Handel vorgeschaltete industrielle Wertschöpfungskette unter Zeit- und Kostendruck. Das verleiht einer Studie der LBBW zufolge automatisierten Intralogistiksystemen in den nächsten Jahren einen Schub.Die “Amazonisierung” der Wirtschaft, wie die LBBW es nennt, führt dazu, dass Kunden ihre bestellte Ware unverzüglich erhalten wollen. Schließlich hat es der Marktführer vorgemacht. Daraus folge, dass die Intralogistik an Bedeutung gewinne und in vielen Geschäftsmodellen zu einem erfolgskritischen Faktor werde. Die Branche liefert Anlagen und Systeme für den innerbetrieblichen Materialfluss. Die Anwendungen, so die LBBW, seien in vielen Endkundenbranchen ein integraler Bestandteil der Wertschöpfungskette und damit ein wesentlicher Faktor für die Digitalisierung und Optimierung von Prozessabläufen mit Konzepten und Methoden der Industrie 4.0.Die LBBW schätzt das Weltmarktvolumen in den beiden wesentlichen Teilbereichen der Intralogistik – Flurförderzeuge und Lagersystemgeschäft – auf insgesamt rund 50 Mrd. Euro, 34 Mrd. Euro davon entfallen auf Flurförderfahrzeuge wie Gabelstapler. Damit ist die Intralogistik eines der größten Maschinenbausegmente. Der Bereich wird dominiert von deutschen und japanischen Anbietern wie Toyota Industries, Kion oder Jungheinrich. Sie alle haben in den vergangenen Jahren strategische Zukäufe getätigt, um sich von Produktanbietern zu Systemanbietern zu wandeln. Jungheinrich etwa übernahm bereits 2012 die Isa GmbH aus Graz, einen Anbieter von Automationssoftware, die zwei Jahre später in Jungheinrich Systemlösungen umbenannt wurde. 2015 folgte die Münchner Mias Group, die Regalbediengeräte und Lastaufnahmemittel herstellt. Kion verstärkte sich 2015 (Egemin) sowie 2016 (Retrotech und Dematic) jeweils im Bereich Logistiksysteme. Kuka erwarb 2015 die Swisslog Logistiksysteme sowie das Softwarehaus Forte Industrie und 2016 die Firma Power Automation Systems. Toyota Industries verstärkte sich im vergangenen Jahr mit dem Logistiksystemanbieter Vanderlande und Bastian Solutions, die im Bereich Software und Systemintegration tätig sind.Bei den Flurförderfahrzeugen sieht die LBBW die Marktkonsolidierung als sehr weit fortgeschritten an. Im stärker fragmentierten Lagersystemgeschäft rechnet die Bank mit weiteren Übernahmen. Auch hier ist der Wandel zum Systemanbieter ein Treiber. Allerdings bietet die Entwicklung nicht nur klassischen Anbietern Chancen. Auch Automobilzulieferer wie Bosch oder ZF Friedrichshafen sind in diesem Bereich aktiv. Sie setzen vor allem auf ihre Expertise bei Sensorik und Kameratechnologie, um Logistikprozesse zu vernetzen. Wie die etablierten Anbieter von Flurförderfahrzeugen selbst haben sie den Vorteil, automatisierte Logistik zunächst in den eigenen Werken testen zu können, um sie dann als vernetztes System auch externen Kunden anzubieten. Zwar werden die Zulieferer nicht in die Produktion von Gabelstaplern einsteigen, aber sie haben das Ziel, sich als Ausrüster vernetzter Logistikprozesse zu positionieren. Die Autozulieferer können in diesem Zusammenhang nicht zuletzt auf ihre Entwicklungen für das autonome Fahren zurückgreifen. ZF Friedrichshafen wie auch Bosch gehen davon aus, dass sich die Technologie zuerst im Nutzfahrzeugbereich durchsetzt. Allein aus rechtlichen und versicherungstechnischen Gründen, da vollautonomes Fahren in abgegrenzten Betriebshöfen oder Lagern bereits heute kein Problem ist. Hinzu kommt, dass es im Nutzfahrzeugbereich und in der Logistik, anders als bei privaten Autokäufern, auf jeden Cent Ersparnis ankommt, der durch automatisierte Prozesse zu erreichen ist. Das gilt ganz besonders im Warentransport. 69 % des Maschinenstundensatzes entfallen laut LBBW auf Personalkosten. ZF orientiert sich bei der Ausweitung des Marktes für autonome und elektrische Fahrsysteme wie auch Bosch entlang der eigenen Produktpalette. Logistikprozesse werden über Sensoren und Kameras vernetzt und die dabei gesammelten Daten so ausgewertet, dass sie Optimierungspotenzial aufzeigen, das dann wiederum umgesetzt wird. Wie ZF in der vergangenen Woche bei einer Technologieveranstaltung zeigte, überwacht der Konzern so beispielsweise die eigenen Getriebe beim Versand. Sensoren messen die Luftfeuchtigkeit oder wann es zu empfindlichen Stößen kommt, die die Ware beschädigen könnten. Entsprechend der Auswertung wird der Logistikprozess angepasst.Auch einen Gabelstapler hat ZF mit Sensoren und Kameras bestückt. Er soll so selbständig, ohne Programmierung, Führschienen oder RFID-System, den Weg zum Warenbahnhof in einem Betrieb finden, die benötigte Ware abholen und diese autonom und angetrieben von einer elektrischen Achse zum Ziel transportieren. Bis in zwei Jahren will der Konzern in Friedrichshafen eine komplett vernetzte Modellfabrik vorweisen können. Der Gabelstapler wird bereits 2019 in Einsatz gehen.