Ehrgeizige Ziele bei nachhaltigem Kerosin
Von Lisa Schmelzer, Frankfurt
450 Mrd. Liter Kerosin haben die Fluggesellschaften 2019 weltweit verbraucht; nur ein Bruchteil dieser Menge wird bisher in umweltfreundlichen Verfahren hergestellt. Das kann so nicht bleiben, hat sich die Airline-Branche doch vorgenommen, im Jahr 2050 klimaneutral zu fliegen. Der bisher aussichtsreichste Weg dorthin scheint der verstärkte Einsatz von nachhaltig produzierten Treibstoffen zu sein, da die Entwicklung klimafreundlicherer Antriebe für Flugzeuge noch viele Jahre dauern dürfte. Mit einem Wasserstoff-Flieger beispielsweise, wie ihn Airbus für 2035 angekündigt hat, rechnet in der Airline-Branche in den nächsten zwanzig Jahren keiner – und schon gar nicht auf Langstreckenflügen. Dagegen gibt es für nachhaltig hergestellte Kraftstoffe bereits die nötigen Verfahren, allerdings keine Produktion im industriellen Maßstab.
Verband rechnet es durch
Auch mittel- und langfristig setzt die Branche bei ihrem Ziel, Klimaneutralität zu erreichen, vor allem auf nachhaltig erzeugtes Kerosin. „Wir haben einen Plan“, so der Chef des Airline-Verbandes IATA, Willie Walsh, vor wenigen Tagen in Boston. Die erwartete Größe der Industrie im Jahr 2050 werde es nötig machen, 1,8 Gigatonnen Kohlenstoff aus dem Kreislauf zu nehmen. „Ein mögliches Szenario sieht vor, dass 65% davon durch nachhaltige Flugkraftstoffe gemindert werden. Wir gehen davon aus, dass neue Antriebstechnologien wie Wasserstoff für weitere 13% sorgen werden. Weitere 3% entfallen auf Effizienzsteigerungen. Der Rest könnte durch Kohlenstoffabscheidung und -speicherung (11%) und Kompensationen (8%) bewältigt werden.“ Die tatsächliche Aufteilung und der Weg dorthin werde davon abhängen, welche Lösungen zu einem bestimmten Zeitpunkt am kosteneffizientesten sind.
Dafür, dass den nachhaltig erzeugten Kraftstoffen schon bald eine derart große Bedeutung zukommen soll, steckt deren Entwicklung und Produktion noch in den Kinderschuhen. Kürzlich wurde im Emsland eine erste Pilotanlage für Kerosin aus Windstrom eröffnet. Der Regelbetrieb ist für das erste Quartal 2022 geplant, dann sollen dort pro Tag acht Fässer voll Rohkerosin produziert werden – die dann erzeugte Jahresmenge reicht gerade mal für einen Flug von Frankfurt nach Singapur.
5 Euro pro Liter statt 50 Cent
Ein Problem ist die Verfügbarkeit von erneuerbaren Energien. Alle Branchen und Sektoren versuchen, mit Hilfe von regenerativen Energien ihre Dekarbonisierung voranzutreiben. Längst ist ein Wettbewerb um diese Ressourcen ausgebrochen. Experten appellieren deshalb an die Politik, auch Verfahren unter Einbeziehung fossiler Energieträger zu akzeptieren, um beispielsweise den CO2-Ausstoß der Flugzeuge schrittweise zu reduzieren, anstatt sofort die Einsparungen von 80% anzustreben, die Schätzungen zufolge durch den Einsatz der alternativen Treibstoffe möglich sind. Zudem sind die neuen Flugbenzine noch sehr teuer; in Studien wird bisher von einem Kostenniveau für E-Kraftstoffe von rund 5 Euro pro Liter ausgegangen. Der Preis für herkömmliches Kerosin liegt unter 50 Cent pro Liter.
Allzu viel Zeit haben die Fluggesellschaften in Sachen nachhaltigem Treibstoff nicht mehr, denn der jüngst vorgelegte Klimaplan der EU sieht vor, dass es für Airlines eine verpflichtende, sukzessiv steigende Beimischungsquote für das nachhaltige Kerosin geben soll. Der Prozentsatz dafür steigt schrittweise von 2% im Jahr 2025 auf 63% im Jahr 2050. Derzeit ist die Beimischungsquote technisch mit 50% begrenzt, es laufen aber Versuche von Airbus, dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt DLR, Rolls-Royce und dem Treibstoffhersteller Neste mit 100% nachhaltigen Treibstoffen.
Die IATA spricht beim Thema nachhaltiges Kerosin von einer „enormen Herausforderung“, denn will man Klimaneutralität erreichen, müsste die Produktion von aktuell rund 100 Mill. Litern auf rund 449 Mrd. Liter im Jahr 2050 gesteigert werden. Diese Art der Steigerung sei nicht unmöglich, betont der Verband und verweist auf die Zunahme der Windenergieerzeugung in den vergangenen Jahren.
Wichtig ist es laut IATA auch, dass sich die Industrie weiterhin verpflichtet, nur Quellen für Sustainable Aviation Fuel (SAF) zu nutzen, die die biologische Vielfalt nicht beeinträchtigen und nicht mit Nahrungsmitteln konkurrieren. Das sieht auch die EU so, die Biokraftstoffe auf Pflanzenbasis nicht in ihre Berechnungen für SAF einbezogen sehen will – ausgenommen solche aus Non-Food-Biomasse, sogenannte „advanced biofuels“. Bisher haben die Fluglinien vor allem auf die Entwicklung von Agrarkerosin aus Biomasse gesetzt, das auf Basis hydrierter Pflanzenöle hergestellt wird. Die ökologische Nachhaltigkeit ist allerdings ebenfalls nicht unumstritten.
Mit „angemessener staatlicher Unterstützung“ halten es die Fluggesellschaften für möglich, die SAF-Produktion bis 2025 auf voraussichtlich knapp 8 Mrd. Liter (2% des gesamten Kraftstoffbedarfs) zu steigern. Schritt für Schritt soll die Herstellung ausgeweitet werden auf eine SAF-Produktion von 449 Mrd. Liter oder 65% des gesamten Kraftstoffbedarfs bis 2050. Für Zuversicht sorgte kürzlich die Ankündigung der USA, die Versorgung mit SAF bis 2030 auf 11 Mrd. Liter zu erhöhen. Zudem gibt es Willensbekundungen großer Energieversorger, „in naher Zukunft“ Milliarden von zusätzlichen Litern SAF zu produzieren. Die Airline-Branche fordert gebetsmühlenartig „wettbewerbsfähige Preise“ und sieht dabei staatliche Stellen in der Pflicht.
Einzelne Fluggesellschaften, vorrangig in den USA, sind bereits Partnerschaften eingegangen, um sich den Zugang zu den nachhaltigen Treibstoffen zu sichern. So arbeitet Delta Air Lines mit dem Ölriesen Chevron zusammen, der plant, testweise nachhaltiges Flugbenzin herzustellen und es an Delta zu verkaufen. Der Schritt ist Teil einer Partnerschaft, die die Unternehmen mit der Google-Mutter Alphabet angekündigt haben, um die Emissionsdaten der SAF-Testcharge mit Hilfe einer cloudbasierten Technologie zu verfolgen. Delta hat sich verpflichtet, bis 2030 rund 10% seines Flugzeugtreibstoffs durch SAF zu ersetzen.
Der Lufthansa-Partner United Airlines investiert zusammen mit Honeywell in das Biokerosin-Unternehmen Alder Fuels. Der Hersteller von nachhaltigem Kerosin (SAF) setzt auf Wald- und Pflanzenabfälle, United verpflichtet sich zur Abnahme von 5,6 Mrd. Litern SAF.
Lufthansa forciert
Die Deutsche Lufthansa, unter dem ehemaligen Vorstandschef Christoph Franz vor zehn Jahren Vorreiter in Sachen Biokraftstoffe, zeigte sich in jüngerer Vergangenheit eher zurückhaltend und wollte das Thema gerne vorrangig den großen Kerosinanbietern überlassen. Angesichts der auf sie zurollenden Welle aus EU-Nachhaltigkeitszielen forciert die deutsche Fluggesellschaft nun aber ihre Bemühungen. Zuletzt hat die Frachttochter Lufthansa Cargo mit Kühne+Nagel eine exklusive Partnerschaft zur Förderung und Nutzung von Power-to-Liquid-Flugkraftstoff vereinbart. Die Logistikdienstleister haben sich verpflichtet, die Pilotanlage für Kerosin aus Windenergie im Emsland durch den Kauf von 25000 Litern (20 Tonnen) jährlich zu unterstützen. „Wir sehen den Schlüssel zu einer nachhaltigen Reduktion unserer Emissionen im Flugbetrieb ganz klar in der Erforschung und Nutzung von synthetischen, nachhaltigen Flugkraftstoffen“, erklärte Dorothea von Boxberg, CEO von Lufthansa Cargo. 2019 hat die Lufthansa rund 10 Mill. Tonnen oder 12,5 Mrd. Liter Kerosin verflogen.