Eigensinn in der Governance

Einige Unternehmen lehnen Kodex-Regeln zu Vergütungsgrenzen ab

Eigensinn in der Governance

Von Sabine Wadewitz, FrankfurtDer Deutsche Corporate Governance Kodex findet seit vielen Jahren eine hohe Akzeptanz in großen Unternehmen. Gleichwohl gibt es immer noch einzelne Empfehlungen, denen zahlreiche Konzerne nicht folgen wollen. Nach einer Auswertung des Center for Corporate Governance an der Handelshochschule Leipzig lehnen Dax- und MDax-Unternehmen einige spezifische Regelungen aus den Kapiteln zu Vorstand und Aufsichtsrat ab.Unter die Lupe genommen wurden für die Analyse die jüngsten Entsprechenserklärungen, in denen sich die Firmen zur Einhaltung der Regeln äußern. Der Kodex wird derzeit grundlegend überarbeitet. Ein erster Entwurf liegt vor, ein zweiter soll nach heftiger Kritik an der ersten Fassung am 22. Mai veröffentlicht werden.Kritische Punkte sind für zahlreiche Unternehmen Kodex-Empfehlungen zur Struktur der Vorstandsvergütung, zur Offenlegung und Begrenzung der Vergütungsbestandteile, zur Besetzung des Prüfungsausschusses, zur Zusammensetzung des Aufsichtsrats sowie zur Aufsichtsratsvergütung. Die Struktur der Vorstandsvergütung (Kodexziffer 4.2.3) und die Zusammensetzung des Aufsichtsrats (5.4.1) zeigen die höchsten Abweichungsquoten und werden nur von gut der Hälfte bzw. zwei Drittel der Firmen anerkannt. Frage der GrößeAbgelehnt wird zum Beispiel die Verwendung von Mustertabellen zur Offenlegung der Vorstandsgehälter oder das Festlegen von betragsmäßigen Höchstgrenzen für variable Vergütungskomponenten. Beim Thema Aufsichtsrat sehen es zahlreiche Firmen kritisch, Ziele zur Zusammensetzung des Kontrollgremiums zu nennen, eine Altersgrenze zu setzen und für Vielfalt in der Besetzung zu sorgen. Einige der neuralgischen Punkte könnten sich mit der laufenden Anpassung des Kodex erübrigen. So lehnen zahlreiche Unternehmen einen Selbstbehalt in der D&O-Versicherung für Vorstände und Aufsichtsräte ab. Dieser Passus ist im neuen Kodex-Entwurf gestrichen worden.Die Akzeptanz des Kodex nimmt wie in den Vorjahren mit der Unternehmensgröße zu. So erfüllt knapp ein Drittel der Dax-Konzerne den Kodex voll und ganz, während es im MDax nur ein Fünftel der Emittenten sind. Schlusslicht im Dax ist der Studie zufolge Fresenius, im MDax hat Rocket Internet diese Position – allerdings bei hohen Entsprechensquoten, denn Fresenius akzeptiert 92 % des Kodex und Rocket Internet 82 %. Spezifische MusterAuch in der Anerkennung der Regeln zur Vorstandsvergütung gibt es spezifische Muster abhängig von der Größe des Konzerns und der Eigentümerstruktur. So hat sich manches von einem Mehrheitsaktionär gehaltene Unternehmen auf der Hauptversammlung die Genehmigung eingeholt, die Vorstandsgehälter nicht individuell zu veröffentlichen – dazu gehören zum Beispiel Axel Springer, Hella und Rocket Internet. Diese Opt-out-Beschlüsse werden nach Umsetzung der EU-Aktionärsrechterichtlinie allerdings nicht mehr möglich sein.Mit Blick auf die Managergehälter können sich zahlreiche Unternehmen nicht damit anfreunden, die Vergütung nicht nur insgesamt betragsmäßig zu begrenzen, sondern auch alle variablen Elemente für sich, wie es im Kodex bislang verlangt wird. Auf eine Höchstgrenze für variable Teile wird oft verzichtet, wenn diese Komponenten aus Aktienoptionen bestehen.Es gibt auch Unternehmen, die zwar Höchstgrenzen festlegen, diese mögliche Maximalvergütung aber nicht veröffentlichen wollen. So befürchtet Freenet, dass durch die Angabe von Maximalbeträgen im Hinblick auf aktienbasierte Bestandteile “ein Bild erzeugt wird, das nicht den tatsächlichen Annahmen hinsichtlich der Entwicklung des Aktienkurses entspricht”. Zalando dagegen traut sich, eine Maximalvergütung von 170 Mill. Euro transparent zu machen. Black BoxAuch in der Aufsichtsratsvergütung will manches Unternehmen keine Transparenz zeigen. Axel Springer weist die Bezahlung nicht individualisiert aus, weil die Satzung des Medienkonzerns vorsieht, dass der Aufsichtsrat selbst über die Verteilung der Summe entscheidet. Auch Hugo Boss verweigert den Einblick und hält auch die den Gremienmitgliedern gewährten Vorteile für “persönlich erbrachte Leistungen, insbesondere Beratungs- und Vermittlungsleistungen” unter Verschluss.In der Besetzung von Aufsichtsrat und Ausschüssen wollen einige Unternehmen nicht von der Doppelfunktion Vorsitz im Aufsichtsrat und im Prüfungsausschuss lassen. Bechtle, Infineon und auch Wirecard sehen von der Trennung der Ämter ab. Wirecard begründet das mit der “besonderen Expertise und Erfahrungen” des Aufsichtsratsvorsitzenden. Der Dax-Konzern hat erst nach Vergrößerung des Aufsichtsrats auf sechs Mitglieder im Sommer 2018 Ausschüsse gebildet, so dass es seit dem ersten Quartal 2019 einen Prüfungsausschuss gibt.