ANSICHTSSACHE

Ein Corporate Governance Kodex mit 20 Prinzipien reicht

Börsen-Zeitung, 29.9.2017 Es war für die meisten Beobachter eine faustdicke Überraschung, als Rolf Nonnenmacher vor einigen Wochen eine "grundlegende Überarbeitung" des Corporate Governance Kodex ankündigte. Ziel müsse unter anderem sein, sagte der...

Ein Corporate Governance Kodex mit 20 Prinzipien reicht

Es war für die meisten Beobachter eine faustdicke Überraschung, als Rolf Nonnenmacher vor einigen Wochen eine “grundlegende Überarbeitung” des Corporate Governance Kodex ankündigte. Ziel müsse unter anderem sein, sagte der neue Vorsitzende der Regierungskommission im Juni, dass der Kodex “eine breite Akzeptanz bei den Unternehmen findet”. Nach zwölf Kodex-Überarbeitungen in 15 Jahren, in deren Rahmen das Regelwerk kleinteilig ergänzt, überarbeitet und nachjustiert wurde, besteht damit endlich die Chance auf einen Befreiungsschlag – also auf eine Kodex-Reform, die diesen Namen verdient. Platz für QuerdenkerIch hoffe, dass die Diskussionen darüber nicht hinter verschlossenen Türen stattfinden. Um gemeinsam die beste Lösung für den Wirtschaftsstandort zu finden, sollte die Regie-rungskommission Vor- und Querdenker zu Rate ziehen und eine offene Debatte mit allen Stakeholdern führen, von den Investoren bis zu den Aufsichtsräten.Aus meiner Sicht gibt es vier Leitbilder, an denen sich eine zukunftsträchtige Lösung orientieren sollte und die ich hiermit zur Diskussion stellen möchte:Erstens: Zurück auf Los. Für einen klaren Blick in die Zukunft kann es hilfreich sein, sich vom Ballast der Gegenwart mit all ihrer Komplexität zu befreien. Wagen wir also ein Gedankenspiel: Was wäre eigentlich, wenn es keinen Kodex gäbe (wie etwa in den USA)? Braucht man überhaupt ein solches Regelwerk?Ich meine: Ja, ein Kodex macht Sinn. Denn wenn er aus klar formulierten Prinzipien besteht, ist er eine wichtige Schnittstelle zwischen Recht und Betriebswirtschaftslehre und damit eine wertvolle Orientierungshilfe für Unternehmen und Organe, sich im Sinne guter Governance zu organisieren.Diesen Anforderungen wird der aktuelle Kodex jedoch leider nicht gerecht. Statt bestehende Regeln auf abstrakter Ebene prägnant zusammenzufassen, enthält er zahlreiche Details; was lediglich Orientierung geben sollte, setzt damit enge Leitplanken, die Fragen nach der unternehmerischen Freiheit und der demokratischen Legitimation der Regierungskommission provozieren.Das enge Korsett widerspricht auch dem deutschen Governance-Verständnis, demzufolge jedes Unternehmen frei ist, seine Belange eigenständig zu regeln, solange es mit dem Regelwerk nicht kollidiert. Zudem fördert es einen Checklisten-Habitus: Viele Verantwortliche haken die einzelnen Empfehlungen ab, statt inhaltlich zu diskutieren.Zweitens: Eigenverantwortung stärken. Ich bin deshalb überzeugt, dass wir den Kodex entschlacken sollten, und zwar nicht nur, indem wir alles streichen, was lediglich gesetzliche Vorschriften wiedergibt. Das scheint mir inzwischen sowieso Konsens zu sein. Entscheidend ist aber ein weiterer Schritt: Wir sollten endlich unterscheiden zwischen Corporate und Personal Governance; Empfehlungen, die auf das persönliche Verhalten von Vorständen und Aufsichtsräten abzielen, haben in einem “Corporate” Governance Kodex nichts verloren. Der richtige Ort dafür sind Berufsgrundsätze, wie sie beispielsweise die Vereinigung der Aufsichtsräte in Deutschland (VARD) definiert hat.Denn machen wir uns nichts vor: Vorbildliches Verhalten Einzelner lässt sich nicht verordnen, weder vom Gesetzgeber noch von einer Kommission. Dass der Kodex Vorstände und Aufsichtsräte neuerdings ermahnt, sich am “Leitbild des Ehrbaren Kaufmanns” zu orientieren, wird deshalb nichts verändern.Wäre es nicht zielführender, darauf zu setzen, dass sich Vorstände und Aufsichtsräte intensiver mit Themen wie Ethik und Corporate Governance befassen? Für die Aufsichtsräte kann ich sagen: In den vergangenen Jahren ist hier ein “Berufsethos” entstanden, an dem sich viele orientieren. Deshalb bin ich überzeugt: Wenn wir die Personal Governance zur Angelegenheit jedes einzelnen Organmitglieds machen, wäre das ein starkes Signal, das die Entwicklung eines Berufsethos weiter vorantreiben würde und wesentlich effektiver wäre als jede Ermahnung oder Bevormundung via Corporate Governance Kodex. “Apply and Explain”Drittens: Internationalisierung. Zusätzlich zur Entschlackung sollten wir internationale Entwicklungen und Informationsbedürfnisse stärker berücksichtigen. So bin ich überzeugt, dass der Kodex insbesondere die Regeln zur deutschen Mitbestimmung prägnanter zusammenfassen muss, gerade im Hinblick auf Aufsichtsräte in globalen Konzernen. Die zweite Dimension der Internationalisierung des Kodex sollte ein internationales Benchmarking sein. Denn aktuelle Reformen im Ausland können die hiesige Debatte befruchten und interessante Optionen aufzeigen. So besteht der neue südafrikanische Kodex aus 16 allgemeinen Prinzipien (sowie einem weiteren für Finanzinstitute) und passt auf zwei DIN-A4-Seiten.Viertens: Apply and Explain. Nach meiner festen Überzeugung würden in Deutschland 20 Prinzipien ausreichen, um die Quintessenz der hiesigen Unternehmens- und Rechtskultur zu definieren – allerdings in Verbindung mit einem “Apply-and-Explain”- statt des bisherigen “Comply-or-Explain”-Prinzips. Unternehmen müssten dann transparent kommunizieren, welche Ziele sie sich setzen, um den Prinzipien zu entsprechen, und hierüber regelmäßig informieren. Ein solches “Corporate-Governance-Reporting” würde inhaltliche Diskussionen beflügeln und damit einen echten Mehrwert schaffen.Damit wären die Unternehmen weitaus besser gewappnet für aktuelle Herausforderungen. Und in einer Welt, die sich immer schneller verändert, sind starre Vorgaben und enge Korsette kontraproduktiv. Stattdessen brauchen wir Freiräume für schnelle und individuelle Lösungen auf Basis eines klar formulierten Werte-Fundaments.—-Peter H. Dehnen ist Rechtsanwalt und Vorstandsvorsitzender der Vereinigung der Aufsichtsräte in Deutschland e.V. (VARD).In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.——–Von Peter H. DehnenDie anstehende Reform des Corporate Governance Kodex bietet die Chance auf einen großen Wurf.——-