Eine große Dosis Zuversicht
Von Sabine Wadewitz, FrankfurtDie Erwartungen sind hoch gesteckt. Impfstoffen gegen die weltweit grassierende Infektionskrankheit Covid-19 wird eine zentrale Rolle in der Pandemiebekämpfung und der erhofften Rückkehr zur Normalität zugesprochen. Im historisch beispiellosen Rennen um die Entwicklung eines wirksamen Vakzins haben sich jüngere Biotechunternehmen an die Spitze gesetzt, die mit einer genbasierten neuen Technologie ermutigende Studienerfolge präsentieren und für großes Aufsehen sorgen. Die Mainzer Biontech und der US-Wettbewerber Moderna haben die Nase vorn, obwohl beide zuvor nicht auf Impfstoffe fokussiert waren, sondern auf Immuntherapien gegen Krebserkrankungen. Renommierte Partner Als Anfang des Jahres 2020 der Ausbruch eines neuen Virus in China bekannt wurde, hat Biontech-Gründer Ugur Sahin schon Mitte Januar reagiert und das globale Projekt “Lightspeed” gestartet, um so schnell wie möglich einen potenten Impfstoff gegen das Sars-CoV-2-Virus zu entwickeln. Das Unternehmen hatte wie andere, die an der neuartigen Technologie der “messenger RNA” forschen, zuvor noch kein Pharmaprodukt zur Marktreife gebracht. In einem klugen Schachzug hat Biontech, seit Oktober 2019 an der US-Technologiebörse Nasdaq notiert, sich rasch in Allianzen zwei versierte Partner an Bord geholt – den US-Pharmakonzern Pfizer und das chinesische Konglomerat Fosun.Mit Pfizer, nicht nur einer der führenden Pharmakonzerne, sondern auch Nummer 4 im herkömmlichen Impfstoffmarkt, sicherte sich Biontech nicht nur ein weltweites Vertriebsnetz, sondern zudem herausragende regulatorische Expertise für die Zulassungsverfahren. Powerhäuser wie Pfizer verfügen zudem über das nötige Know-how, um Herstellung und Abfüllkapazitäten schnell auf große Volumina hochzufahren. Das dürfte den Vorsprung von Biontech enorm unterstützt haben.Mit der Pandemiebekämpfung sind Impfstoffe unverhofft ins Rampenlicht gerückt. Ein Segment, dem zwar ein entscheidender Beitrag für Gesundheit und Lebenserwartung der Bevölkerung zuerkannt wird, das aber in der Aufmerksamkeit nicht mit Medikamenten gegen schwere Krankheiten mithalten kann. “Das Geschäft führte ein Schattendasein, weil Impfen von vielen Menschen fast als Selbstverständlichkeit betrachtet wurde”, sagt Alexander Nuyken, Pharmaexperte der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY.Eine entscheidende Rolle spielt das betriebswirtschaftliche Kalkül. “Das Impfstoffgeschäft war in der Vergangenheit zugleich spannend und unspektakulär, gehörte in der Regel aber nicht zu den ertragreichsten Segmenten eines Pharmaunternehmens”, erklärt Bernd Ziegler, Pharmaexperte der Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG). Hohe Eintrittsbarrieren angesichts der Komplexität von Produktentwicklung und Regulatorik, hohe Herstellungskosten und relativ lange Vorlaufzeiten bis zur Markteinführung eines Vakzins prägen das Geschäft. “Wer sich als großer Spieler etabliert hat, kommt mit diesen Rahmenbedingungen klar, es motiviert aber nicht zum Einstieg in dieses Marktsegment”, ergänzt Ziegler. Es gibt indes auch Vorzüge: “Es ist ein relativ robustes Geschäft. Die Nachfrage von Impfstoffen ist in der Regel gut vorhersehbar und liefert planbar stabilen Cash-flow”, so Ziegler. Insofern hält mancher große Konzern wie GSK, Merck & Co, Sanofi oder Pfizer neben einem zwar ertragreicheren, aber auch mit höheren Risiken behafteten Therapeutikageschäft am Impfstoffportfolio fest. Andere Spieler haben sich in dem Szenario auf Onkologie, Kardiologie oder weitere große Indikationen fokussiert, “in denen der Innovationsdrang größer ist”, sagt Nuyken.Der britische Pharmakonzern GSK hält sich zugute, elfmal im Verlauf der Geschichte den weltweit ersten Impfstoff seiner Art entwickelt zu haben – von Masern bis zuletzt Gürtelrose. Den Umsatz mit Impfstoffen hat der Weltmarktführer 2019 währungsbereinigt um fast ein Fünftel auf 9,5 Mrd. Dollar ausgebaut. Das Unternehmen hatte sich mit dem Kauf des Vakzingeschäfts des Schweizer Rivalen Novartis 2014 global an die Spitze gesetzt mit einem Marktanteil von 25 %. GSK zählt mit ihren Standorten in Dresden und Marburg (ehemalige Behring-Werke) zu den wichtigsten Impfstoffherstellern in Deutschland. In Dresden errichtete der Konzern aus dem 1911 gegründeten ehemaligen Sächsischen Serumwerk das europäische Zentrum für Grippe-Impfstoffe, von dort liefert GSK in 75 Länder – bis in die USA. Investoren schauen hinNoch lässt sich nicht absehen, ob der Erfolg der neuen Spieler aus der Biotechszene mit Corona-Impfstoffen dauerhaft den Markt auf den Kopf stellen wird. “Mit Corona rücken Impfstoffe wieder stärker in den Fokus von Investoren”, ist Ziegler überzeugt. Für Biontech, Moderna & Co wird es entscheidend sein, ob sich ihre Lösungsansätze als nachhaltig effektiv und sicher herausstellen. “Wenn sich die neue mRNA-Technologie als wirksam erweist und eine schnelle Entwicklung von Impfstoffen ermöglicht, wird sie sich zukünftig etablieren”, meint Nuyken. Nach Einschätzung des Branchenexperten von EY dürfte das Thema Impfstoffe jedoch auf ein gewisses Normalmaß zurückgeführt werden, sobald die Medizin die Covid-19-Pandemie in den Griff bekommt.Für die mRNA-Technologie könnte es gleichwohl der Durchbruch werden. Sie wurde schon lange als “sehr innovatives zukunftsträchtiges Forschungsgebiet eingestuft, primär in der Onkologie”, erinnert BCG-Geschäftsführer Ziegler. Nun stelle sich die Frage, ob die neue Technologieplattform in Zukunft einen großen Teil der klassischen Impfstoffe ersetzen wird. Bei dauerhaftem Erfolg dieses Forschungsansatzes könnten Impfstoffhersteller ohne lange Vorlaufzeit schnell auf medizinische Notwendigkeiten reagieren. Für Ziegler steht fest: “Die mRNA-Plattform hat das Potenzial zur disruptiven Technologie.”