Enttäuschende Umsätze, gedämpfte Erwartungen

Einzelhandelsverband übt sich in Zweckoptimismus

Trotz der eher trüben Lage im Einzelhandel hält der Handelsverband Deutschland (HDE) an seiner Wachstumsprognose von 3,5% für 2024 fest. In dieser Erwartung steckt viel Optimismus.

Einzelhandelsverband übt sich in Zweckoptimismus

Einzelhandelsverband übt sich in Zweckoptimismus

Wachstumsprognose von 3,5 Prozent bestätigt – Januar bis April verfehlen die Erwartungen – Nur jeder fünfte Händler rechnet im Restjahr mit Erlössteigerung

md Frankfurt

Trotz der eher trüben Lage im Einzelhandel hält der Handelsverband Deutschland (HDE) an seiner Umsatzprognose für 2024 fest. Demnach sollen die Erlöse nominal um 3,5% auf fast 672 Mrd. Euro steigen, teilte der HDE am Montag mit. Inflationsbereinigt wäre das ein Wachstum von 1,0%. Das wäre eine Verbesserung im Vergleich zum Vorjahr, als der Umsatz (ohne Kraftfahrzeuge, Tankstellen, Brennstoffe und Apotheken) real um 3,4% nachgab.

Konsumintensive Zeit kommt noch

Die schwache Entwicklung des privaten Konsums zu Beginn des Jahres gebe dem Einzelhandel kaum Spielräume für ein stärkeres Umsatzwachstum, heißt es. Den Angaben zufolge lagen die Umsätze zwischen Januar und Ende April mit nominal plus 2,3% unter der HDE-Prognose für das Gesamtjahr. Der Branchenverband rechnet jedoch im Jahresverlauf mit einer deutlichen Belebung des Konsums.

Die Bestätigung der Jahresprognose durch den HDE hat etwas von Zweckoptimismus, wenn man die Ergebnisse der jüngsten Erhebung des Verbandes unter 800 Handelsunternehmen betrachtet: Danach gefragt, welche Umsatzentwicklung im zweiten Halbjahr erwartet wird, antworteten 42% mit „Stagnation“ im Vergleich zur Vorjahreszeit, und 36% rechnen sogar mit einem Erlösrückgang. Nur jeder Fünfte der Befragten geht von einer Umsatzsteigerung aus. HDE-Präsident Alexander von Preen wies in der Halbjahreskonferenz darauf hin, dass die konsumintensiven Monate im Herbst erst noch bevorstehen.

Signale für eine Rabattschlacht aufgrund der angespannten Lage in der Einzelhandelsbranche sieht HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth derzeit nicht. Ob der Handel von der Fußball-Europameisterschaft in Deutschland profitieren werde, könne man noch nicht abschließend sagen. Mitte Juni hatte der Verband mitgeteilt, dass man anlässlich der Fußball-EM (14. Juni bis 14. Juli) mit zusätzlichen Umsätzen im Einzelhandel von 3,8 Mrd. Euro rechne.

Margen im niedrigen einstelligen Bereich

Dem HDE-Präsidenten zufolge bewegen sich die Margen im Einzelhandel im niedrigen einstelligen Bereich. Angesichts der oft herausfordernden Lage werden nach HDE-Schätzung in diesem Jahr 5.000 Geschäfte ihre Türen für immer schließen. „Wir dürfen uns nicht an diese Negativentwicklung gewöhnen, denn in der Folge veröden ganze Stadtzentren“, sagte von Preen. „Um eine wirkliche Revitalisierung der Innenstädte zu erreichen, braucht es mehr Investitionen in neue Geschäfte und die Modernisierung bestehender Ladenlokale." So fordert der HDE die Bundesregierung auf, für Investitionen in Klimaschutz und Digitalisierung eine Förderung zu entwerfen, die bürokratiearm und effizient ist und außerdem die europäischen Vorgaben für solche Beihilfen einhält.

Von einem solchen Sonderabschreibungsprogramm für Investitionen in Innenstädten erhofft sich der Verband einen „entscheidenden Impuls für die Zukunft der Stadtzentren“. Es gebe hierzu bereits sehr gute Erfahrungen mit einem Investitionsprogramm Anfang der 1990er Jahre. Darüber hinaus regt der HDE eine Gründungsoffensive mit Zuschüssen für Neugründungen von Handelsunternehmen an.

Vorschläge zum Bürokratieabbau

Gemäß der HDE-Umfrage sind die beiden Topthemen der Einzelhändler die Kaufzurückhaltung der Verbraucher sowie die Belastungen für den Mittelstand, insbesondere durch Bürokratie. Um diese zu verringern, schlägt der Verband eine Verkürzung der Aufbewahrungsfristen von Buchungsbelegen von zehn auf fünf Jahre vor, die Abschaffung der Bonpflicht, die laut von Preen ohnehin nicht mehr zeitgemäß ist, die Gültigkeit digitaler Arbeitsverträge – auch für die Logistik – und die Verschlankung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes. Hier habe die Bundesregierung erste Schritte in die richtige Richtung gemacht, so von Preen, indem sie zusätzliche Auflagen für deutsche Unternehmen im Vergleich zu EU-Firmen zurückgenommen habe.

Wachstumsinitiative der Ampel-Koalition

Die Ampel-Koalition plant mit einer Wachstumsinitiative, die deutsche Wirtschaft fitter für die Zukunft zu machen. Die Regierung sei hier auf dem richtigen Weg, sagte von Preen. Er hoffe, dass die Pläne wegen der bevorstehenden Sommerpause „nicht zu lange brach liegen – jeder Monat zählt“. Das von der Regierung angepeilte zusätzliche Wachstum von 0,5% für 2025 sei eine Hürde, die nun genommen werden müsse. „Da bedarf es noch vieler Anstrengungen, um dieses Volumen dann auch tatsächlich zu realisieren.“

Steuerzahlende sollen zudem 2025 und 2026 um 23 Mrd. Euro entlastet werden. „Wir gehen davon aus, dass davon 10 bis 15% beim Handel ankommen“, sagte Genth. Das sei relativ wenig im Vergleich zum Jahresumsatz von über 670 Mrd. Euro. „Dennoch ist der Impuls richtig.“ Man hätte sich aber ein bisschen mehr vorstellen können, auch bei den Energiekosten.

1 Mrd. Euro für das Gemeinwohl

Von Preen thematisierte das gesellschaftliche Engagement der Branche. So bringen sich nach der HDE-Umfrage rund 80% der Händler außerhalb ihrer Unternehmen ein, etwa bei Vereinen, Festen oder Sport-Events. „Im Durchschnitt geht es hier um 150 Stunden und 8.000 Euro pro Jahr“, sagte von Preen. Rechne man das auf die gesamte Branche hoch, so schätzt der HDE das Gemeinwohl-Engagement des Einzelhandels in Deutschland auf etwa 1 Mrd. Euro pro Jahr.

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