Energiekonzerne kaufen sich vom Atommüll frei
Für die Finanzierung des Atomausstiegs zeichnet sich die Lösung ab. Eon, RWE, EnBW und Vattenfall können sich von der Haftung für den Atommüll gegen Zahlung eines Milliardenbetrags freikaufen, wie aus Kreisen der Atomkommission KFK verlautet. Für den staatlichen Fonds, der künftig die Endlagerung verantworten soll, bedeutet das ein hohes finanzielles Risiko.Von Christoph Ruhkamp, DüsseldorfDie vier großen Energiekonzerne in Deutschland haben sich in aller Stille mit der Bundesregierung auf die Finanzierung der Ewigkeitslasten des Atomausstiegs im Jahr 2022 geeinigt. Über die wesentlichen Eckpunkte des politisch umkämpften und letztlich gut 170 Mrd. Euro teuren Projekts haben beide Seiten in den vergangenen Wochen einen Konsens erzielt. Das hat die Börsen-Zeitung aus Kreisen der Konzerne sowie aus Kreisen der von der Bundesregierung eingesetzten Atomkommission KFK erfahren, die von Ole von Beust (CDU), Matthias Platzeck (SPD) und Jürgen Trittin (Grüne) geleitet wird.Die Energiekonzerne bleiben der Einigung zufolge für den Rückbau der Kernkraftwerke und die Verpackung des Atommülls rundum verantwortlich. Sie können sich aber für einen zusätzlich zu ihren bisherigen Rückstellungen einmalig zu zahlenden einstelligen Milliardenbetrag aus der Haftung für unerwartete zusätzliche Kosten aus der Zwischen- und Endlagerung des Atommülls freikaufen. Die Zwischen- und Endlagerung wird dann künftig vom Staat nicht mehr nur durchgeführt und verantwortet, sondern durch einen neu eingerichteten staatlichen Fonds neuerdings auch finanziert. Entwurf Anfang SeptemberDa einige bedeutende Punkte der hinter den Kulissen bei regelmäßigen Treffen erarbeiteten Grundsatzeinigung jedoch noch umstritten sind, wird der Referentenentwurf für ein “Gesetz zur Sicherstellung der Finanzierung des Kernenergieausstiegs” erst Anfang September im Kabinett vorgelegt, wie es aus Kreisen der Konzerne und der KFK übereinstimmend heißt. Das ist zwar einen Monat später als bisher geplant, aber gerade noch rechtzeitig, um das politisch brisante Vorhaben vor der Bundestagswahl und der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im kommenden Jahr abzuschließen. Zusätzlich zum Gesetz streben die Konzerne auch zivilrechtlich einklagbare Verträge mit der Regierung an. Solche Verträge bieten mehr Sicherheit als nur ein Gesetz, damit die Konzerne nicht abermals zum Spielball neuer Entscheidungen künftiger Regierungen werden.Für die Zwischen- und Endlagerung des Atommülls haben Eon, RWE, EnBW und Vattenfall im Laufe der Jahre bereits Rückstellungen in Höhe von gut 17 Mrd. Euro gebildet, die sie an den Staat übertragen. Um sich von allen Risiken der Nachhaftung für die Atommüll-Entsorgung zu befreien, sollen sie nach dem Willen der Kommission, die im April ihren Abschlussbericht mit Empfehlungen vorgelegt hatte, zusätzlich einen sogenannten Risikoaufschlag in Höhe von gut 6 Mrd. Euro zahlen, was einem Aufschlag von 35 % auf die Rückstellungen entspricht. Einig über AufschlagDiesem Betrag haben die Konzerne in den Verhandlungen jetzt grundsätzlich zugestimmt, wie aus Kreisen der Konzerne und der KFK verlautet. Offen ist noch, wann genau er gezahlt wird. Während Eon, EnBW und Vattenfall die Summe bald aufzubringen bereit sind, könnte RWE dem Vernehmen nach die Option wählen, die Zahlung über mehrere Jahre zu strecken, weil der Konzern Finanzierungsschwierigkeiten hat. Brächte RWE das Geld über Anleihen oder Kredite auf, könnten die Ratingagenturen die Bonitätsnote des Konzerns auf Ramschniveau absenken. Eine Stundung würde den Gesamtbetrag aber wegen der hohen dann fälligen Verzinsung von jährlich 4,6 % am Ende deutlich erhöhen. Außerdem wäre RWE während der Zeit des Aufschubs weiter anteilig haftbar für unerwartete zusätzliche Kosten aus der Endlagerung.Für die Energiekonzerne ist die Einigung auf den Risikoaufschlag eine vergleichsweise preiswerte und vor allem sichere Lösung. Eon und RWE haben bereits Tochtergesellschaften abgespalten, die sie noch in diesem Jahr an die Börse bringen wollen. Aus Sicht von Großinvestoren würde ein rechtlich abgesicherter Freikauf von der Haftung für Zusatzkosten der Atommüll-Entsorgung eine verlässliche Kalkulationsgrundlage bieten. Die beiden geplanten Börsengänge hätten damit bessere Chancen auf Erfolg. Während Eon die konventionelle Stromerzeugung mit Gas- und Kohlekraftwerken in die Tochtergesellschaft Uniper ausgelagert hat, spaltet RWE mit der Tochtergesellschaft Innogy ihre Ökostromaktivitäten und die Netze ab.Für den Staat könnte der Atommüll noch sehr teuer werden. Die Feststellung aus dem Gutachten der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Warth & Klein für die KFK, dass “… die Entsorgungskosten und auch die Nettoeinnahmen (der Konzerne) mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 % zu niedrig, aber ebenso mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 % zu hoch angesetzt worden sind” belegt aus Sicht der KFK, “dass wir es mit schwer einschätzbaren Entwicklungen zu tun haben”. So kurz und bündig beschreibt der KFK-Bericht die Risiken für den Steuerzahler. Hohes Risiko für den StaatLaut Stresstest der Wirtschaftsprüfer von Warth & Klein kalkulieren die Betreiber bei der Bildung der Rückstellungen für die Entsorgung mit einer Inflationsrate sowie Zinsen und Kostensteigerungen von addiert jährlich 4,6 %. “Unter diesen Annahmen werden die (bisher) von den Betreibern zu tragenden Kosten auf 169,8 Mrd. Euro in den jeweils aktuellen Preisen bis zum Jahre 2099 geschätzt”, heißt es im KFK-Bericht. Wird dieser Betrag mit 4,6 % pro Jahr abgezinst, so ergibt sich der aktuelle Rückstellungsbetrag von 38,3 Mrd. Euro für Abriss, Verpackung und Lagerung.Der Stresstest von Warth & Klein variiert jedoch noch unterschiedliche Zinssätze und Inflationserwartungen. “Im Ergebnis resultiert aus dieser alternativen Berechnung eine Bewertungsbandbreite von rund 32,4 Mrd. Euro bis 68,9 Mrd. Euro.” Im Klartext: Die tatsächlich erfolgten Rückstellungen liegen mit 38,3 Mrd. Euro nur im unteren Drittel dieser Bandbreite – und könnten sich somit als weitaus zu niedrig erweisen, um die künftig vom Staat zu tragenden Risiken abzudecken. Zum Vergleich: In der Schweiz und in Schweden werden in vergleichbarer Situation höhere Rückstellungen gebildet. Ein BefreiungsschlagFür die Energiekonzerne ist die dauerhafte Enthaftung von unerwarteten zusätzlichen Entsorgungskosten – unabhängig vom exakt zu zahlenden Betrag – ein wichtiger Befreiungsschlag. Unter anderem weil sich diese Erkenntnis unter Großinvestoren herumgesprochen hat, steigen nach einer langen Durststrecke in jüngster Zeit die Aktienkurse.Offen ist noch, in welcher Form der Staat die Zwischen- und Endlagerung sowie deren Finanzierung durchführt. Eine Möglichkeit wäre ein öffentlich-rechtlicher Fonds in der Rechtsform eines Sondervermögens des Bundes. Ein Beispiel dafür ist der Energie- und Klimafonds. Die Atom-Kommission hat jedoch die Rechtsform einer öffentlich-rechtlichen Stiftung empfohlen. Vorbild für eine solche Lösung ist die Schweiz. Diese Variante unterscheidet sich vom reinen Sondervermögen dadurch, dass die Verwaltung des Fonds nicht durch eine bereits vorhandene Bundesbehörde, sondern durch eine neu zu errichtende öffentlich-rechtliche Stiftung erfolgt. Der Vorteil: Das Geld für den Atommüll wäre so – anders als im Fall des Energie- und Klimafonds – sicherer vor künftigen Begehrlichkeiten des Finanzministers.