RECHT UND KAPITALMARKT

Erbschaftsteuerreform legt Fallstricke

Verfassungsfragen und kein Ende - Begünstigte müssen sich auf rückwirkende Besteuerung einrichten

Erbschaftsteuerreform legt Fallstricke

Von Achim Dannecker *)Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Dezember 2014 schien alles klar: Nach dem Richterspruch ist die Privilegierung für Betriebsvermögen bei der Erbschaftsteuer im Grunde mit der Verfassung vereinbar und war nur an einigen wenigen Stellen zu korrigieren. Der Gesetzgeber reagierte prompt, Bundesfinanzminister Schäuble versprach eine schnelle, minimalinvasive Reform. Diese ist nun allerdings im Parteien-Hickhack und Kompetenzgerangel kräftig ins Stocken geraten. Und zwar so sehr, dass die vom Verfassungsgericht gesetzte Frist für die Reform am 30. Juni 2016 abgelaufen ist, ohne dass es eine gesetzliche Neuregelung gibt. Das Vorgehen bei der Reparatur des verfassungswidrigen Gesetzes wirft nun selbst verschiedene Verfassungsfragen auf.Der Steuerbürger reibt sich die Augen und fragt: Welches Recht gilt für Erbschaften eigentlich derzeit? Ist ein auf den 1. Juli 2016 rückwirkendes Erbschaftsteuergesetz überhaupt möglich? Was wird der Gesetzgeber in dem jetzt anstehenden Vermittlungsverfahren tun? Und was hat das Bundesverfassungsgericht vor, wenn es sich wie angekündigt im September wieder mit der Erbschaftsteuer befassen will? Derzeit ist lediglich die Ungewissheit gewiss. Welches Recht gilt?Das Bundesverfassungsgericht (namentlich dessen im Erbschaftsteuerverfahren zuständiger Richter Michael Eichberger) hat mehrfach zu erkennen gegeben, dass es aufgrund des Tenors der Entscheidung davon ausgeht, dass das aktuelle Erbschaftsteuerrecht bis zur Neuregelung weiter gilt. Die Finanzverwaltung hat sich diese Auffassung erwartungsgemäß per Erlass zu eigen gemacht. In der heftig geführten Fachdebatte wird genau dies aber von der ganz herrschenden Meinung in Frage gestellt. Immerhin spricht das Bundesverfassungsgericht selbst in der Begründung des Urteils von einer “begrenzten” Weitergeltung des Rechts. Dabei muss man davon ausgehen, dass das bestehende Gesetz insgesamt nicht mehr anwendbar ist. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass lediglich die Begünstigungsnormen für Betriebsvermögen außer Kraft treten. Rückwirkung möglich?Doch auch wenn man sich der gut begründeten Literaturmeinung anschließt, ist längst noch nicht ausgemacht, dass derzeit mangels Gesetz unternehmerisches oder auch nicht-unternehmerisches Vermögen völlig erbschaftsteuerfrei übertragen werden kann. Denkbar ist nämlich, dass der Gesetzgeber mit Rückwirkung auf den 1. Juli 2016 eine Neuregelung in Kraft setzt. So jedenfalls hat es der Bundestag Ende Juni beschlossen. Ein rückwirkendes Inkraftsetzen wäre unter dem Aspekt des Vertrauensschutzes zwar problematisch. Per se unzulässig ist eine Rückwirkung belastender Steuerfolgen indessen nicht, wenn sie etwa durch zwingende Gründe des Allgemeinwohls gerechtfertigt ist oder dazu führt, dass eine verworrene oder verfassungswidrige Rechtslage beseitigt wird.Wie weit der Gesetzgeber im Fall der Erbschaftsteuer gehen kann, ist nicht ganz klar. Kritisch wäre es wohl, wenn das schließlich in Kraft tretende Gesetz gegenüber der vom Bundestag ursprünglich vor dem 1. Juli verabschiedeten Fassung grundlegend zu Ungunsten der Steuerpflichtigen abweichen würde.Bekanntlich hat der Bundesrat am 8. Juli 2016 dem Gesetzesbeschluss des Bundestags nicht zugestimmt, sondern den Vermittlungsausschuss angerufen. Es ist allgemein anerkannt, dass der Vermittlungsausschuss sich lediglich im Rahmen des im bisherigen Verfahren ernsthaft Diskutierten bewegen kann. Der Ausschuss soll Meinungsverschiedenheiten zwischen Bundestag und Bundesrat über den konkreten Gesetzesentwurf ausgleichen. In seinen Vermittlungsvorschlag gehören damit keine neuen Regelungsalternativen, die grundlegend von den bisher im Gesetzgebungsverfahren erörterten Konzepten abweichen.Wie weit der Vermittlungsausschuss in seinen Vorschlägen konkret gehen kann, ist unklar. Immerhin scheint es ein politisches Verständnis zu geben, dass kein vollkommen neues Erbschaftsteuersystem auf den Weg gebracht wird, sondern lediglich auf der Basis des Bundestagsbeschlusses einzelne Punkte nochmals diskutiert und gegebenenfalls angepasst werden.Unabhängig davon, dass derzeit nicht klar ist, ob das vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärte derzeitige Erbschaftsteuerrecht für Unternehmen weiterhin gilt oder nicht, muss damit gerechnet werden, dass der Gesetzgeber rückwirkend zum 1. Juli 2016 ein neues, modifiziertes Unternehmenserbschaftsteuerrecht erlässt. Auch wenn es derzeit gute Argumente für eine erbschaftsteuerfreie Zeit gibt (was man zum Beispiel zu Schenkungen unter Widerrufsvorbehalt ausnutzen könnte), ist dies nicht mehr als eine Chance.Angesichts der Äußerungen von Verfassungsgericht und Gesetzgeber müssen sich Erben und Beschenkte auf eine rückwirkende Besteuerung einrichten. Sofern alternative Konzepte wie etwa eine auch für Betriebsvermögen geltende “flat tax” politisch diskutiert werden, müsste für diese allerdings ein vollkommen neues Gesetzgebungsverfahren angestoßen werden, das dann nicht mit Rückwirkung beschlossen werden dürfte. So wie sich die Grünen derzeit positionieren, dürfte jedenfalls mit einem längeren Verfahren im Vermittlungsausschuss zu rechnen sein. Die Grünen waren bei der Kompromisssuche auf Bundesebene nicht einbezogen, sind aber an zehn Landesregierungen beteiligt.Parallel zu der politischen Debatte hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Pressemitteilung vom 14. Juli angekündigt, Ende September wieder in Sachen Erbschaftsteuer aktiv zu werden. Im Raum steht, dass das Bundesverfassungsgericht eine Vollstreckungsanordnung nach § 35 Bundesverfassungsgerichtsgesetz erlässt. Was das bedeutet, ist offen.Bereits in der Vergangenheit hat das Gericht seine Möglichkeiten, “gesetzesvertretendes Übergangsrecht zu schaffen” relativ weit interpretiert. Sein ursprüngliches Urteil darf es jedoch dadurch nicht ändern, modifizieren, ergänzen oder erweitern. Deshalb scheint es kaum möglich, dass das Gericht im Wege der Vollstreckungsanordnung die Befreiungsvorschriften für Betriebsvermögen selektiv außer Kraft setzt. Denkbar ist indessen, dass es eigene Befreiungsregeln erlässt. Ob sich ein Verfassungsgericht allerdings derart in die aktuelle, hitzig geführte gesetzgeberische Debatte einmischen sollte und vor allem ob es dies will, scheint zweifelhaft und wirft Fragen nach der Kompetenzabgrenzung zur gesetzgebenden Gewalt auf. Das Gericht könnte stattdessen auch eine weitere und letzte Fristverlängerung für die Weitergeltung des derzeitigen Rechts erlassen. Angesichts der Untätigkeit des Gesetzgebers über eineinhalb Jahre hinweg ist das indessen eher unwahrscheinlich. Was im September tatsächlich passiert, sei es von Seiten des Gesetzgebers oder des Verfassungsgerichts, ist damit insgesamt offen. Rechtsklarheit notwendigWenn es nicht um Verfassungsrecht und das elementare Recht der Bürger auf Rechtssicherheit ginge, könnte man das Hin und Her zwischen den Verfassungsorganen gelassener betrachten. Doch Steuergesetze stellen massive Eingriffe des Staates in die Freiheitssphäre seiner Bürger dar. Die Bürger haben einen Anspruch darauf zu wissen, welche Regeln für sie gelten. Genau dies ist im Bereich der Erbschaftsteuer derzeit nicht der Fall.Es bleibt zu hoffen, dass der Gesetzgeber zu einer schnellen Einigung im Vermittlungsausschuss kommt. Im Interesse eines möglichst verfassungskonformen Vorgehens wäre es dabei geboten, die Begünstigung betrieblichen Vermögens auf der Linie der Vorgaben des Gesetzesbeschlusses des Bundestags umzusetzen. Das würde bedeuten, dass nicht nur die vom Bundesverfassungsgericht geforderten Reparaturen vorgenommen werden wie beispielsweise Absenkung der Mitarbeiterzahl für Lohnsummenprüfung, eingeschränkte Begünstigung von Groß-Betriebsvermögen, konsolidierte Betriebsvermögensbetrachtung oder Vermeidung der Begünstigung von Verwaltungsvermögen. Sondern dass auch die dringend gebotenen Korrekturen bei der (derzeit zu hohen) Betriebsvermögensbewertung und zur Begünstigung von Deckungsvermögen für Pensionszusagen umgesetzt werden.—-*) Dr. Achim Dannecker ist Partner der Kanzlei Gleiss Lutz in Stuttgart.