"Es braucht mehr kritische Geister"
swa Frankfurt – Der Fall Wirecard führt in Aufsichtsräten zum Nachdenken, an welchen Stellen die Corporate Governance verbessert werden könnte. “Es wäre falsch, alle Unternehmen unter Generalverdacht zu stellen”, warnt Werner Brandt, Aufsichtsratschef von RWE und ProSieben im Interview der Börsen-Zeitung. Gleichwohl sollte der Betrugsskandal Anstöße geben, “die eigene Praxis zu hinterfragen”.Brandt verweist auf den Deutschen Corporate Governance Kodex, an dessen Weiterentwicklung er als Mitglied der dafür eingesetzten Regierungskommission seit April dieses Jahres mitarbeitet. Das Regelwerk enthalte eine Reihe von Empfehlungen hinsichtlich der Besetzung von Aufsichtsräten. Das Kompetenzprofil sei entscheidend für eine professionelle Tätigkeit. Für besonders bedeutsam hält Brandt aber auch die Persönlichkeit der Gremienmitglieder. Es komme vor allem auf die Fähigkeit an, einen kritisch konstruktiven Dialog mit dem Vorstand zu führen. “Es braucht mehr ,kritische Geister` in Aufsichtsräten”, meint er.Die Selbstregulierung über den Kodex hält er mit Blick auf den Wirecard-Fall nicht in allen Themen für ausreichend. So sollte ein Prüfungsausschuss aus seiner Sicht gesetzlich verlangt werden. “Ich halte es für vollkommen inakzeptabel, dass bei börsennotierten Unternehmen die Einrichtung eines Prüfungsausschusses nicht im Aktiengesetz verbindlich vorgeschrieben ist.” Der Aufsichtsrat von Wirecard bestand nach dem Börsengang im Jahr 2005 noch bis 2016 aus drei Mitgliedern und hatte erst Anfang 2019 einen Prüfungsausschuss eingerichtet, der zu Beginn anders als im Kodex empfohlen in Personalunion vom Vorsitzenden des Gremiums geleitet wurde. Eine gesetzliche Anpassung hält Brandt auch für notwendig, um allen am Kapitalmarkt aktiven Unternehmen ein Compliance-Management-System verbindlich vorzuschreiben.Am zweistufigen Enforcement-System in der Bilanzkontrolle will er festhalten – er hatte die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung selbst mit aus der Taufe gehoben. Eine Aufwertung der BaFin nach dem Vorbild der US-Börsenaufsicht SEC lehnt er ab, weil dies Betrugsfälle nicht verhindern könne. Die stärkeren Sanktionsmöglichkeiten der SEC hält er nicht für ein Importmodell: “Ich bezweifle, dass wir so etwas in Europa haben möchten.” – Interview Seite 9