„Es gibt Chancen für die deutsche Chemie“
Im Gespräch: Bernd Schneider
„Es gibt Chancen für die deutsche Chemie“
Der M&A-Banker von Stifel über die Sicht globaler Investoren auf Spezialchemie und umweltfreundliche Commodities
Von Sabine Wadewitz, Frankfurt
Die europäische Chemieindustrie hat mit der konjunkturellen Flaute und hohen Energiekosten zu kämpfen. Zugleich müssen die Unternehmen die ökologische Transformation bewältigen. Einschnitte sind unvermeidlich, aber daraus können sich durchaus Chancen für die Branche ergeben, meint M&A-Experte Bernd Schneider von der Investmentbank Stifel.
Schwache Nachfrage bei hohen Energie- und Rohstoffkosten hat die europäische Chemie in den vergangenen zwei Jahren ausgebremst. In den vergangenen Wochen zeigten sich zarte Pflänzchen der konjunkturellen Belebung, doch auf eine rasche Erholung wagt kaum ein Unternehmen zu hoffen. Die Position speziell deutscher Anbieter im globalen Wettbewerb bleibt angesichts der Energiepreisdifferenzen schwierig.
Der Umbau in den Chemieportfolien mit Blick auf nachhaltige Rentabilität und Dekarbonisierung läuft auf Hochtouren. M&A-Experte Bernd Schneider von der US-Investmentbank Stifel bescheinigt der Chemiebranche Fortschritte in der Transformation. Das sorge aus Sicht globaler Investoren für eine Neubewertung einzelner Subsektoren der Branche, erklärt Schneider im Gespräch.
Stärke dank Globalisierung
„Es gibt Chancen für die deutsche Chemie“, macht Schneider Mut. Die Konzerne seien gezwungen, sich in ihrem Geschäft zu fokussieren. Der Trend gehe „ganz klar“ in Richtung Spezialisierung. Das eröffne in der Spezialchemie die Möglichkeit, sich international zu verbreitern. Das sei angesichts geopolitischer Krisen derzeit „zwar etwas schwierig, aber Globalisierung hat die deutsche Chemie stark gemacht“, sagt Schneider, der bei Stifel die globale M&A-Beratung von Chemieunternehmen leitet.
Punkten können nach Einschätzung des Branchenexperten aber auch die Anbieter von Commodities, sofern sie in der Umstellung auf nachwachsende Rohstoffe vorankommen. Die industrielle Biotechnologie habe Möglichkeiten geschaffen, bestimmte Chemikalien, die bislang rein fossil erzeugt wurden, nachhaltig erzeugen zu können. Schneider verweist als Beispiele auf PVC und Phenolharze, nennt aber auch Ammoniak.
Dabei werden neue Synthesewege beschritten − fern der Erdölverarbeitung in den klassischen Chemiecrackern. So sind inzwischen viele Bioraffinerien entstanden und im Aufbau, um aus natürlichen Rohstoffen umweltverträglich Plattformchemikalien herzustellen, mit deren Hilfe eine Vielzahl weiterer nachhaltiger Stoffe zugänglich werden.
Schneider hebt neue Herstellverfahren für PVC hervor − ein Kunststoff, der seit Jahrzehnten im Markt und in sehr vielen Anwendungen gesucht ist. Das thermoplastische Polymer gilt aber als ökologisch bedenklich, weil es aus rein fossilen Rohstoffen wie Ethylen und wenig nachhaltig produziertem Chlor aus der Chloralkalielektrolyse hergestellt und zudem bei der Verbrennung Dioxin freigesetzt wird.
Ökologische Alternative für PVC
Die Chemie hat inzwischen Wege gefunden, pflanzliche Rohstoffe für die Produktion von PVC einzusetzen. So kann Ethylen zum Beispiel aus Bioethanol hergestellt werden. „Das ist in Deutschland noch nicht wettbewerbsfähig, in Ländern wie Südamerika sieht es aber schon anders aus“, sagt Schneider. Brasilien etwa gehört zu den weltweit größten Produzenten von Bioethanol.
„Auch die für die Elektrolyse benötigte Energie kann zunehmend aus nachhaltigen Quellen wie Solar oder Wasserkraft bezogen werden, was das Nachhaltigkeitsprofil des in zahlreichen Anwendungen etablierten Kunststoffs weiter verstärkt. Das grüne PVC ist noch teurer als das fossile PVC, aber es besteht eine ökologische Alternative für den Kunststoff“, fasst es Schneider zusammen.
Grünes Ammoniak
Als weiteres Beispiel für grüne Transformation nennt der M&A-Banker Ammoniak, eine der weltweit meistproduzierten Chemikalien. Auch dieses Produkt ist in der Herstellung sehr energieintensiv und besteht traditionell aus fossilen Rohstoffen. Inzwischen ist es aber möglich, klimafreundliches grünes Ammoniak zu synthetisieren. Dieses könne zukünftig nicht nur als grüner Dünger, sondern vor allem auch als Energieträger und Treibstoff eingesetzt werden. Länder, die kostengünstig grünen Strom aus Solar- oder Wasserkraft produzieren, haben hier einen Wettbewerbsvorteil.
Ein Beispiel für die Dekarbonisierung von Ammoniak ist der spanische Düngemittelproduzent Fertiberia, den der Finanzinvestor Triton 2019 übernommen hat. Das Unternehmen hat jüngst den Anlagenbauer Thyssenkrupp Uhde damit beauftragt, ihm bei der Reduzierung des Kohlenstoff-Fußabdrucks seiner bestehenden Ammoniakanlage im spanischen Puertollano zu helfen − die ursprüngliche Anlage wurde 1969 auch von Thyssenkrupp Uhde gebaut. Sie ist nach Angaben der Firmen seitdem in Betrieb und verwendete ursprünglich Rohbenzin (Naphtha) als Rohstoff. In einer späteren Modernisierung wurde auf Erdgas als Rohstoff umgestellt. Im Jahr 2022 dann habe Fertiberia am Standort Puertollano im Rahmen ihrer „Net-Zero-By-2035“-Strategie mit der Produktion von grünem Wasserstoff und grünem Ammoniak begonnen. Das spanische Unternehmen wolle zu einem globalen Vorreiter der Energiewende im Düngemittelsektor werden.
Möbelindustrie macht Druck
In der grünen Transformation stecken auch Phenolharze, die als Bindemittel oder Kleber eingesetzt werden – unter anderem in Spanplatten. Auch hier gibt es aus Sicht von Schneider vielversprechende Ansätze, auf die fossilen Ausgangsstoffe Phenol und Formaldehyd zu verzichten und sie durch nachhaltig erzeugte Produkte aus Pflanzen zu ersetzen. Möbelhersteller und -händler machen Druck, auf biobasierte Rohstoffe umzustellen.
Bei Phenol- und Melaminharzen zählt die in Brandenburg ansässige Prefere Resins zu den führenden Anbietern. Auch das 2022 vom Finanzinvestor Silverfleet an One Rock Capital Partners weitergereichte Unternehmen hat sich der Nachhaltigkeit verschrieben und ist dabei, die Produktion langfristig auf biobasierte Rohstoffe umzustellen.
Risiko der Abwanderung
Mit der grünen Transformation rechne sich die Chemieindustrie Chancen aus, „die Commodity-Industrie in Europa wieder attraktiver zu machen und Marktanteile zu stabilisieren“, sagt Schneider. „Wenn man es nicht schafft, über Innovationen die Commodity-Chemie hochzuhalten, wird sie in andere Länder abwandern“, warnt er.
Investoren wüssten die Bemühungen zum ökologischen Wandel zu schätzen. „Im Private-M&A-Bereich ist das sehr weit fortgeschritten“, sagt Schneider. „Ich kenne keine Auktion für Unternehmensverkäufe, in der Nachhaltigkeit keine mitentscheidende Rolle spielt. Es geht nicht mehr allein um klassische Attribute wie Wachstum, Profitabilität, Marktanteil und Kundenstamm, sondern um die Chancen mit Zukunftstechnologie.“ Damit kämen auch Anbieter grüner Chemieprodukte ins Spiel.
Mit Innovationen punkten
Der Standort wird insgesamt auf Investorenseite kritisch beäugt, ist vielerorts zu hören. „Man braucht gute Argumente, wenn man in Europa akquiriert“, unterstreicht Schneider. Im Fokus stünden neue Technologien. „Wenn man in Europa kauft, dann vor allem auch wegen Innovationen. Die sind in vielen Bereichen noch führend“, so seine Einschätzung.
Die Transformation weg von fossilen Rohstoffen vollziehe sich in einem Szenario, in dem zuletzt zunehmend kritisch auf Chemietransaktionen geblickt wurde. In der Vergangenheit seien Finanzinvestoren „immer eine sichere Bank“ gewesen, wenn es um den Verkauf von Chemieunternehmen gegangen sei.
„Das hat sich deutlich geändert. Nicht nur, weil die Finanzierung schwieriger wurde. Damit haben auch andere Sektoren zu kämpfen. Sondern deshalb, weil Chemie als zu zyklisch angesehen wird und zum Teil zu wenig auf Nachhaltigkeitsanforderungen vorbereitet war. Nach zehn Jahren Boom sehen Finanzinvestoren intensiver auf die Risiken und Herausforderungen der Branche. Viele Investoren, die früher gerne in die Chemie investiert haben, sind inzwischen ausschließlich auf Sektoren wie Pharma fokussiert, da diese als resilienter angesehen werden“, fasst Schneider zusammen.
Fossile Assets weiter gefragt
Bei aller Zurückhaltung gegenüber umweltschädlichen Produkten gebe es aber immer auch noch einen Markt für M&A von fossilen Chemikalien, weiß Schneider. „Börsennotierte Chemieunternehmen trennen sich zunehmend von Geschäften, deren Nachhaltigkeitsprofil als wenig ausgeprägt gilt, zum Beispiel Chemikalien für die Förderung von Öl und Gas.“ Ziel sei es vor allem, die Einnahmen aus dem Verkauf in nachhaltigere und resilientere Aktivitäten durch gezielte Zukäufe zu reinvestieren und so attraktiver für den Kapitalmarkt zu werden.
Investoren, die nicht von Nachhaltigkeitsgedanken getrieben würden, kauften sich aber gerade jetzt hier ein − wohl wissend, dass diese Produkte noch eine lange Lebenszeit haben. „Dazu gehören opportunistische Finanzinvestoren wie auch ausgewählte strategische Investoren vor allem aus Asien in der Hoffnung auf einen guten Einstiegspreis und lange ausreichend attraktive Cashflows“, sagt Schneider.