IM GESPRÄCH: WILFRIED VERSTRAETE

"Es gibt immer Gewinner und Verlierer"

Der Vorstandsvorsitzende von Euler Hermes ermutigt Exporteure zu Geschäften mit schwächelnden BRICS-Staaten

"Es gibt immer Gewinner und Verlierer"

Von Joachim Herr, MünchenDas Zauberwort BRICS hat an Reiz verloren. Brasilien und Russland verharren in der Rezession, China wächst nur noch gebremst. Wilfried Verstraete macht Exporteuren dennoch Mut. “Es gibt immer Gewinner und Verlierer”, sagt der Vorstandsvorsitzende von Euler Hermes, des größten Kreditversicherers der Welt. Auch in Ländern oder Branchen, die mit Turbulenzen zu kämpfen hätten, fänden sich erfolgreiche und attraktive Geschäftspartner. Verstraetes Botschaft: “Entscheidend ist, diese Gewinner zu identifizieren und die Verlierer zu meiden.” Exporteure müssten sich die Lage und die Aussichten einzelner Kunden genau anschauen. Euler Hermes, börsennotierte Tochtergesellschaft der Allianz, helfe dabei. “Man kann auch heute gute Geschäfte in China oder in Russland machen.”Vorsicht ist allerdings geboten. In China etwa werden Zahlungsziele immer weiter verschoben, seit 2007 im Durchschnitt um 27 Tage. Zudem rechnet Euler Hermes dort mit einem Anstieg der Insolvenzen um ein Viertel in diesem Jahr und um ein Fünftel im nächsten. Brasilien folgt in der Prognose für 2016 mit einem Anstieg um 18 %. Dort entwickle sich der private Konsum relativ positiv, alles, was mit Infrastruktur zu tun habe, aber eher negativ, berichtet Verstraete. Das Investitionsvolumen gehe stark zurück. “Von den BRICS-Staaten hält als einziger Indien Widrigkeiten relativ gut stand.” Ein wichtiger Grund: Das stark vom Ölimport abhängige Land profitiere vom niedrigen Preis des Rohstoffs.Nicht erfüllt haben sich die hohen Erwartungen von Euler Hermes an die Türkei. Dort verschlechtere sich die Wirtschaftslage, die Zahl der Insolvenzen werde im nächsten Jahr um 6 % steigen. Das relativ hohe Länderrisiko der Türkei begründet Verstraete mit der Verschuldung. Das Staatsdefizit sei zwar mit 34 % des Bruttoinlandsprodukts relativ gering, aber der überwiegende Teil der staatlichen und privaten Schulden sei in Fremdwährungen und kurzfristig finanziert. “Wir erwarten, dass die Lira bis Ende des nächsten Jahres zum Dollar 10 % verlieren wird”, warnt er. Zudem dürften die Zinsen in den USA steigen. “Das kann eine gefährliche Spirale in Gang setzen.” Boom in Iran erwartetSolche Risiken einzuschätzen, von Staaten wie von Branchen und Firmen, ist das Fundament von Euler Hermes. “In unserer Datenbank haben wir rund 40 Millionen Unternehmen”, berichtet Verstraete. Risikoanalysten von Euler Hermes in 56 Ländern sammeln Daten und Bilanzen von Unternehmen sowie makroökonomische Fakten und analysieren die Fülle von Informationen. “Ergebnis ist die Insolvenz-Wahrscheinlichkeit eines bestimmten Unternehmens”, sagt Verstraete. “Das ist entscheidend für das Kreditlimit und wird in die Versicherungspolice für unsere Kunden verpackt.” Das Wissen von Euler Hermes ist gefragt, vor allem bei Exporteuren. “Pro Tag bekommen wir 15 000 konkrete Anfragen zu Geschäften, die Kunden über uns absichern wollen.”Beispiel Iran: Deutsche Unternehmen stehen in den Startlöchern, um nach Aufhebung der Sanktionen am Persischen Golf wieder Geschäfte zu machen. “Wir erhalten schon jetzt relativ viele Anfragen zur Wirtschaftslage”, berichtet Verstraete. “Noch dürfen wir keine Versicherung für Iran anbieten, aber wir bereiten uns vor.” Er rechnet mit einem Boom wegen des großen Nachholbedarfs an Investitions- und Konsumgütern. “Der Appetit der deutschen Exporteure ist sehr groß.”Der Chef von Euler Hermes hält es für wahrscheinlich, dass es in der zweiten Hälfte des nächsten Jahres in Iran losgeht. Die Sanktionen würden nach und nach aufgehoben. “Oft sind die Finanzdienstleistungen leider als Letzte dran”, sagt er. “Und erst, wenn es den Amerikanern passt.” Trotz der vielversprechenden Perspektiven für Exporteure rät Verstraete zur Vorsicht: “Die juristische Grundlage ist relativ unsicher, zum Beispiel für Insolvenzverfahren.” Positiv stimmen ihn die Erfahrungen mit Iran vor dem Embargo. “Die Zahlungsmoral war gut.” “Man gewöhnt sich an alles”Aktuell blickt Verstraete auf die Folgen der Terroranschläge in Paris, nicht nur weil die Zentrale von Euler Hermes in Frankreichs Hauptstadt liegt. Die schrecklichen Ereignisse vor zweieinhalb Wochen wirken sich auf die Wirtschaft aus: “So kurz vor Weihnachten gibt es sehr große negative Konsequenzen”, sagt Verstraete. Er weist auf die Reservierungen in Pariser Hotels hin, die um die Hälfte gesunken sind, auf weniger Flugpassagiere und weniger Besucher in Restaurants und Kinos.Aber die Folgen sind weitgehend auf die Metropole an der Seine begrenzt – und nach Ansicht von Verstraete auf zwei bis drei “schwarze Monate”. Das sei nach dem 11. September und nach den Terroranschlägen in Madrid und London nicht anders gewesen. “Es klingt zynisch, aber man gewöhnt sich an alles”, meint Verstraete. Das Geschäft von Euler Hermes treffe allenfalls eine kurzfristig etwas steigende Zahl von Insolvenzen wegen der Nachfrageausfälle in und um Paris. “Auf das Länderrisiko von Frankreich hat die Terrorgefahr aber keinen Einfluss.”