„Es war uns wichtig, ein Zeichen zu setzen“
Sabine Wadewitz
Herr Kirsch, Novartis hat als erstes Pharmaunternehmen eine an Nachhaltigkeitsziele gekoppelte Anleihe begeben. Wollten Sie damit neue Investorenkreise gewinnen?
Wir sind im gesamten Konzern darum bemüht, ESG-Zielsetzungen zu operationalisieren. Wir beschränken Nachhaltigkeit nicht auf Power-Point-Präsentationen und Ziele in der fernen Zukunft, sondern versuchen ESG mit operativen Zielen zu verknüpfen und jährlich gute Fortschritte zu erreichen. ESG ist insgesamt ein zentrales Thema für einen Pharmakonzern.
Und nun haben Sie es in die Finanzierung integriert?
Die International Capital Markets Association hat im Juni vergangenen Jahres Sustainability-Linked Bonds Principles verabschiedet. Dadurch war es uns möglich, eine mit Nachhaltigkeitszielen verknüpfte Anleihe zu begeben. Vorher gab es nur Green Bonds, wo die aufgenommenen Mittel direkt und vollständig für Umweltschutz eingesetzt werden müssen. Solch eine Anleihe macht für uns aber wenig Sinn, weil wir einen relativ geringen ökologischen Fußabdruck haben. Wir brauchen nicht 1 bis 2 Milliarden, um in Umweltschutz zu investieren. Das tun wir permanent, wenn wir unsere Werke modernisieren oder neue Anlagen bauen, aber das bedarf nicht solcher Summen. Somit folgen wir sowieso immer den höchsten Umweltstandards.
Sie haben die Anleihe dann an soziale Ziele geknüpft?
Als Pharmaunternehmen können wir beim „social business“ den größten ESG-Beitrag leisten. Wir können sehr viel tun, indem wir immer mehr Menschen einen Zugang zu Medikamenten und zu medizinischer Versorgung verschaffen. Es gibt ja weltweit leider immer noch sehr viele Menschen, vor allem in armen Ländern, für deren Gesundheit nichts oder kaum etwas getan wird. Deshalb haben wir unsere ESG-Anleihe mit diesem Anspruch verknüpft. Das sollte nach außen auch ein Signal geben, dass es uns ernst ist, unsere Social-Business-Ziele zu erreichen.
Der Bond wird zunächst mit 0% verzinst. Welche sozialen Ziele müssen Sie erfüllen, damit es dabei bleibt?
Es geht uns darum, den Zugang von Patienten in ärmeren Ländern zu innovativen Therapien bis 2025 um 200% und zu klassischen Novartis-„Flagship-Programmen“ wie Malaria- oder Lepra-Behandlungen um 50% zu erhöhen. Wenn wir die beiden Ziele verfehlen, müssen wir von 2026 an bis zur Fälligkeit 2028 einen Aufschlag von 0,25% zahlen.
Ist die Finanzierung damit günstiger für das Unternehmen im Vergleich zu einer normalen Anleihe?
Wir hätten vermutlich ähnliche Konditionen für einen Bond bekommen, der nicht mit Nachhaltigkeitszielen verbunden ist. Positiv für uns war es, dass es mehr Interesse von ESG-Investoren für die Finanzierung gab. Ein Nachteil ist es, dass die Europäische Zentralbank nicht einsteigen durfte, weil der ESG-Bond als strukturiertes Papier eingestuft wurde. Man hatte also mehr ESG- und weniger ECB-Nachfrage. Im Vergleich mit anderen Bonds, die nicht Sustainability-Linked waren, ist es ein gutes Pricing – das haben wir aufgrund unseres starken Credit-Ratings eigentlich immer.
Es ging also mehr um das Image als um Konditionen?
Es war uns wichtig, ein Zeichen zu setzen. Es ist eine Motivation für unsere Mitarbeiter und zeigt unseren Anspruch in den ESG-Themen. Es ist trotzdem immer ein Risiko, wenn man das erste Mal so einen Bond begibt, deshalb sind wir sehr froh über das attraktive Pricing.
Kann man die Erreichung dieser sozialen Ziele denn überhaupt valide überprüfen?
In beiden Bereichen ist die Anzahl der erreichten Patienten die Messgröße, die unseren Fortschritt in Richtung unserer erklärten Ziele am besten zeigen kann. Darüber hinaus haben wir bereits Strukturen eingerichtet, um diese Zahlen systematisch zu messen. Wir verfolgen die Patientenzahlen in unseren Geschäftsbereichen. Ebenfalls rapportieren wir die relevanten Zahlen in unserem ESG-Bericht „Novartis in Society“. Sowohl die Zielsetzungen als auch die Resultate wurden und werden von unabhängigen Drittparteien begutachtet und überprüft.
Ist eine weitere ESG-gekoppelte Finanzierung geplant?
Aktuell bestehen keine weiteren Finanzierungspläne dieser Art. Aber wir werden diese Art von Anleihen immer im Auge behalten und wieder berücksichtigen, sollte es für uns Sinn machen.
Hat Novartis mit Blick auf die Corona-Pandemie besondere Schritte zur Liquiditätssicherung und Finanzierung unternommen, um sich für Risiken zu wappnen?
Wir sind immer vorsichtig und managen permanent unsere Wertschöpfungskette und mögliche Risiken. Als die Pandemie vor gut einem Jahr ausgebrochen ist, haben wir uns zunächst vor allem um unsere Supply Chain und Produktion gekümmert, um weltweit lieferfähig zu bleiben. Das ist Novartis Technical Operations sehr gut gelungen, wir hatten und haben die gleichen hohen Customer Service Levels wie vor der Pandemie, das finde ich schon enorm.
Es dürfte aber auch um finanzielle Absicherung gegangen sein?
Selbstverständlich. Unsere Länderorganisationen haben sich noch intensiver als sonst die Zahlungseingänge und das Forderungsmanagement angesehen. Wir hatten Erfahrung aus den Zeiten der Finanzkrise in den Jahren 2008 und 2009. Damals haben wir auch schon verstärkt auf Cash Collection geachtet. Dieses Mal gab es hier keine Probleme. Während der Finanzkrise hatten vor allem die Mittelmeeranrainerstaaten Schwierigkeiten, das ist jetzt nicht wieder aufgetreten. Aus unserer Sicht haben alle Länder sehr stark aus der Finanzmarktkrise gelernt und wir sehen praktisch keine Ausfälle. Es ist extrem stabil.
Viele Behandlungen sind wegen der Pandemie verschoben. Zeigt sich das nicht in einer höheren Kapitalbindung?
Für uns steht es im Vordergrund, jederzeit lieferfähig zu sein. Es ist ja schwer vorherzusehen, wann und wo Behandlungen verschoben werden. Deshalb nehmen wir im Working Capital derzeit in Kauf, beim Inventar nicht die Benchmark zu übertreffen, was in normalen Zeiten unser Ziel ist. Wir sind außerdem dabei, unser Produktionsnetzwerk umzubauen, was temporär auch mit höheren Vorräten verbunden ist. Als Finanzer sage ich immer: Working Capital so gering wie möglich, aber in der Pharmaindustrie sollte man aus ethischen Gründen und auch rein finanziell niemals Lieferengpässe haben.
Novartis hat 2020 den Gewinn um ein Fünftel ausgebaut, die Dividende steigt im Vergleich dazu vergleichsweise moderat um gerade mal 1,7%. Der CEO begründete die Zurückhaltung mit dem Kapitalbedarf. Wofür braucht der Konzern mehr Geld?
Lassen Sie mich mit der Dividende beginnen. Unsere Ausschüttungspolitik ist darauf ausgerichtet, die Dividende in Schweizer Franken in jedem Jahr zu erhöhen. Diesmal gehen wir von 2,95 auf 3,00 sfr und schütten in Summe ungefähr 7 Mrd. sfr aus. Die Dividendenrendite von 3,6% ist auch nicht gerade schlecht.
Die Aktionäre können also zufrieden sein?
Die Dividende wird von unseren Aktionären generell sehr geschätzt. Man sollte auch berücksichtigen, dass wir nach dem Spin-off unserer Augenheilkundesparte Alcon die Dividende nicht angetastet haben – mit der Abspaltung ist ja etwas Cash-flow verloren gegangen. Wir haben auch in Jahren, in denen Medikamente mit Milliarden-Umsatz ihren Patentschutz verloren haben und es dann wachstumsmäßig nicht so gut aussah, trotzdem die Dividende erhöht. Das Ganze muss man über längere Zeiträume hinweg betrachten und nicht an einem Jahr allein festmachen.
Es gibt somit keinen höheren Kapitalbedarf?
In der Kapitalallokation setzen wir unterschiedliche Prioritäten: An erster Stelle steht die Unterstützung des organischen Wachstums, wir investieren 9 Mrd. sfr pro Jahr in Forschung und Entwicklung. Dann folgt das Ziel, die Dividende in Schweizer Franken pro Aktie zu erhöhen. Das Dritte sind „Bolt-on“-M&A-Transaktionen im Volumen von bis zu 5% unserer Marktkapitalisierung pro Jahr, also grob bis 10 Mrd. Dollar. Das ist keine Formel, in manchem Jahr finden wir keine passende Akquisition, in anderen Jahren finden wir etwas mehr. So haben wir 2015 für 16 Mrd. Dollar die Onkologieprodukte der GSK erworben.
Darunter fällt dann auch der jüngste Zukauf in den USA?
Ja. Zuletzt haben wir für knapp 10 Mrd. Dollar die Medicines Company gekauft und erwarten, mit dem Cholesterolsenker Leqvio© vielen Patienten zu helfen und hohe Umsatzziele in der Zukunft zu erreichen und damit auch eine sehr gute Rendite dieser Investition für unsere Aktionäre. Die vierte Priorität in der Kapitalallokation sind Aktienrückkäufe, wenn wir der Meinung sind, dass die Aktie unterbewertet ist und wir nicht genug Akquisitionsziele gefunden haben.
Sind auch große Akquisitionen denkbar?
Größere Akquisitionen können sehr disruptiv sein und die erwartete Wertschöpfung wird häufig nicht realisiert. Unsere Strategie fokussiert sich deshalb auf arrondierende M&A-Ziele und ist sehr opportunistisch ausgerichtet.
Der Free Cash-flow lag 2020 mit 11,7 Mrd. Dollar um 10% unter Vorjahr. Gibt es eine Benchmark?
Der Free Cash-flow war im vergangenen Jahr durch einige Zahlungen zur Beilegung von Rechtsstreitigkeiten beeinflusst. Im Jahr davor hatte der Konzern schon 13 Mrd. Dollar erreicht, und wir erwarten weitere Steigerungen des operativen Cash-flow. Wir sehen uns im Vergleich zum Wettbewerb im mittleren bis oberen Bereich. Das ist ein vernünftiges Level und für unsere Aktionäre sehr attraktiv.
Das Interview führte
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