RECHT UND KAPITALMARKT

EU-Kommission treibt Beihilferecht voran

Erste Erfolge bei Reform des Regelwerks - Aber nicht nur zum Vorteil der Unternehmen - Weitere Machtverschiebung nach Brüssel

EU-Kommission treibt Beihilferecht voran

Von Ulrich Soltész *)Die jüngste Initiative der EU-Kommission zur Modernisierung des EU-Beihilferechts, das SAM-Paket (“State Aid Modernisation”), ist ein ehrgeiziges Projekt. Es steht unter den Leitmotiven Verfahrensbeschleunigung sowie Fokussierung und sieht eine ganze Reihe von Maßnahmen vor, mit denen die Kommission die aus ihrer Sicht antiquierten europäischen Beihilferegeln überarbeiten will. Ähnlich ambitionierten Reformplänen war in der Vergangenheit nur wenig Erfolg beschieden. Daher waren die meisten Beobachter skeptisch, ob der Kommission diesmal der Durchbruch gelingen würde. Der jüngste Anlauf zeigt jedoch – fast etwas überraschend – durchaus weitreichende Ergebnisse.Die radikalste und zunächst umstrittene Änderung betrifft die Ermittlungsbefugnisse der Kommission. Beihilfeverfahren dauern nicht selten viele Jahre und sind oft ineffizient. Dies ist nach Einschätzung der Kommission auch durch die unzeitgemäße Form der Sachverhaltsermittlung bedingt, die sich im Wesentlichen auf Eingaben des jeweiligen Mitgliedstaates stützt. Nach dem von 1958 stammenden Modell spielt sich das Verfahren zwischen dem beteiligten Mitgliedstaat und der Kommission ab. Die tatsächlich betroffenen Wirtschaftssubjekte – vor allem Beihilfeempfänger und ihre Konkurrenten – sind nur Randfiguren.Es war also geradezu ein Tabubruch, als die Kommission im vergangenen Jahr vorschlug, ihr die Möglichkeit einzuräumen, direkt Fragen an Dritte zu richten, sprich an Wettbewerber, Verbände, Beihilfeempfänger oder Kunden. Ähnliche Befugnisse stehen ihr in anderen Bereichen des Wettbewerbsrechts schon lange zu, etwa in Kartellverfahren und in der Fusionskontrolle. Dieses Anliegen traf anfänglich noch auf Widerstände einiger Regierungen, die den bilateralen Charakter des Verfahrens zwischen Kommission und Mitgliedstaat bedroht sahen. Umso bemerkenswerter ist es, dass sich die Kommission in diesem Punkt zumindest teilweise durchsetzen konnte: Die Kommission hat das von ihr eingeforderte Fragerecht letztlich erhalten; dies wurde allerdings an enge Voraussetzungen geknüpft. Bei Nichtbeantwortung oder unrichtigen Angaben können im Ernstfall sogar Geldbußen und Zwangsgelder verhängt werden. Und die Ressourcen?Hinzugetreten sind die Sektoruntersuchungen, nach denen die Kommission besonders verdächtige Wirtschaftszweige oder Beihilfeinstrumente von Amts wegen untersuchen kann. Unklar ist allerdings, ob die Kommission angesichts der von ihr selbst beklagten hohen Arbeitsbelastung überhaupt über ausreichende Ressourcen hierzu verfügt.Die betroffenen Unternehmen sind von erweiterten Untersuchungsmöglichkeiten der Kommission verständlicherweise nicht gerade begeistert. Wettbewerbsrechtliche Auskunftsersuchen der Kommission sorgen bereits heute regelmäßig für Unmut und werden von den Adressaten oft eher als Schikane wahrgenommen denn als Mittel zur Informationsbeschaffung. Häufig können die Unternehmen die abgefragten Daten nur mit hohem Personal- und Zeitaufwand beschaffen. So ist die Einschätzung, die Kommission neige gelegentlich zum “Overkill” (manche nennen es auch Missbrauch), weit verbreitet.In einem anderen Punkt konnte die Kommission ihre Vorstellungen nicht vollständig durchsetzen. Damit die Wettbewerbshüter ihre knappen Ressourcen auf diejenigen Fälle konzentrieren, die wirklich Einfluss auf den Wettbewerb in der EU haben, wollten sie sich ursprünglich ein weitgehendes Auswahlrecht bei der Behandlung von Beschwerden einräumen. Nach Auffassung der Kommission sind zahlreiche Beschwerden nicht wirklich wettbewerblich motiviert und tragen teilweise sogar querulatorische Züge.Ein solches Ermessen im Sinne eines “Cherry picking” in der Frage, ob die Kommission ein Verfahren einleitet oder nicht, hätte jedoch zu einem Rechtsschutzvakuum für Wettbewerber führen können. Denn die Kommission ist als unabhängige Aufsichtsbehörde oft die einzige Anlaufstelle für Konkurrenten, die sich durch wettbewerbsverzerrende Subventionen benachteiligt fühlen.Die geforderte Wahlfreiheit bei der Verfolgung von Beihilferechtsverstößen wäre auch unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten problematisch. Bereits heute räumt sich die Kommission ein weites Ermessen bei der Behandlung von Beschwerden ein. So bleiben zahlreiche Fälle jahrelang liegen, obwohl sie von verschiedenen Beschwerdeführern mit Informationen versorgt wird. Umgekehrt greift die Kommission Fälle auf, bei denen es überhaupt keinen Beschwerdeführer gibt, weil sie diese als grundsätzlich wichtig empfindet. Wie sie ihre Prioritäten setzt, ist nicht immer nachvollziehbar und teilweise wohl auch politisch motiviert.Zu Recht sind die Mitgliedstaaten der Kommission nicht uneingeschränkt gefolgt und haben ihr die gewünschte Freiheit zur Rosinenpickerei nicht eingeräumt. Um die Beschwerdeflut einzudämmen, hat man jedoch einen stärkeren Filter vorgeschaltet und die Begründungsanforderungen erhöht. In Zukunft muss der Beschwerdeführer ausführlich nachweisen, dass er betroffen ist, und seine Vorwürfe mit Nachweisen untermauern. Ob es allein hierdurch zu einem Rückgang der Beschwerdeflut kommen wird, ist allerdings fraglich. Mehr GruppenfreistellungenWeniger kontrovers war die durch die Ermächtigungsverordnung geschaffene Möglichkeit, weitere Beihilfetypen von der Anmeldepflicht freizustellen. Zu den neuen Kategorien zählen unter anderem Beihilfen für Innovation, Kultur, Naturkatastrophen, Sport und Infrastrukturen. Solche “Safe harbours” gibt es bereits seit über zehn Jahren. Aufgrund der positiven Erfahrungen hat der Rat jetzt eine Ausweitung um weitere unproblematische Bereiche beschlossen.Deutlich schmerzhafter für Unternehmen werden die Einschnitte bei der Förderung benachteiligter Regionen, die vor allem die ostdeutschen Bundesländer betreffen. Nach zähen Verhandlungen hat sich die Kommission jetzt mit den Mitgliedstaaten auf neue Regionalbeihilfeleitlinien geeinigt, die am 1. Juli 2014 in Kraft treten. Für deutsche Beihilfeempfänger bedeutet dies eine drastische Senkung der Förderintensitäten. Gleichzeitig werden die Anforderungen an einen Nachweis des “Anreizeffekts” von Beihilfen stark erhöht, damit Mitnahmeeffekte (“Windfall profits”) unterbunden werden. Es soll damit angeblich verhindert werden, dass Investitionen subventioniert werden, die das Unternehmen ohnehin, das heißt auch ohne Subventionen, getätigt hätte. Der administrative Aufwand bei der Beantragung von Fördergeldern steigt damit erheblich. Auch dies ist keine gute Nachricht für die Unternehmen. Brüsseler MachtfülleEines wird sich jedenfalls nicht ändern: der signifikante Einfluss, den Brüssel über den Hebel des Beihilferechts ausübt. Es wäre naiv zu glauben, dass die ehrgeizige Behörde die neuen Instrumente nicht auch nutzen wird, um die nationale Wirtschaftspolitik weiter zu beeinflussen. Dazu mangelt es ihr weder an Selbstbewusstsein noch an Konfliktbereitschaft.Gerade die jüngere Diskussion über das Erneuerbare-Energien-Gesetz zeigt, dass die Kommission über die Hintertür des Beihilferechts in praktisch allen wichtigen Wirtschaftsbereichen mitreden will – und zwar auch dort, wo die Verträge ihr eigentlich keine explizite Zuständigkeit geben. Daher befassen sich die Brüsseler Beihilfebeamten sowohl mit der Rettung von Großbanken als auch mit der öffentlichen Finanzierung von Fußballklubs oder Steuervorteilen für Zahnärzte.Wie geht es weiter? Auf der Reformagenda stehen für die nächsten Monate weitere wichtige Themen, wie zum Beispiel die Neufassung der Regelwerke für Rettungs- und Umstrukturierungsbeihilfen, Forschung und Entwicklung, Flughäfen und Airlines, Risikokapital, Breitbandfinanzierung, das Dauerthema Banken in der Finanzkrise sowie der ganze Bereich Umwelt und Energie. Es wäre jedenfalls keine Überraschung, wenn die “State Aid Modernisation” zu einer weiteren Machtverschiebung nach Brüssel führt.—-Dr. Ulrich Soltész ist Partner der Kanzlei Gleiss Lutz in Brüssel.