Europa kauft so viel russisches Gas wie noch nie

Erstmals in der Geschichte wird sogar Erzfeind USA beliefert

Europa kauft so viel russisches Gas wie noch nie

est Moskau – Politische Spannungen hin, Diversifizierungspläne her: Europa kaufte im Vorjahr bei Gazprom ein, was das Zeug hält. Damit nicht genug: Zum ersten Mal in der Geschichte beliefert Russland derzeit sogar den Erzfeind USA. Wie sehr die EU die Abhängigkeit von russischem Gas auch beschränken will und daher auch gegen den Ausbau der Ostseepipeline Nord Stream (Nord Stream 2) opponiert, in Wirklichkeit markierte der Import 2017 abermals einen Rekord. Das geht aus den operativen Exportdaten des Gaskonzerns Gazprom hervor.Ihnen zufolge hat das Unternehmen 2017 ganze 193,9 Mrd. Kubikmeter in die mittel- und westeuropäischen Länder plus Türkei geliefert. Das ist um 8,1 % mehr als im Jahr 2016, in dem der Zuwachs 12,44 % auf das damalige Rekordvolumen von 178,3 Mrd. Kubikmeter betragen hatte. Mit dem neuen Rekord 2017 dürfte auch Russlands Marktanteil in Europa gestiegen sein. Die EU-Verbrauchsdaten dazu fehlen zwar noch. Der britische Branchendienst ICIS aber beziffert ihn auf 36 %. Im Vorjahr waren es knapp 34 %. Der relativ geringe Zuwachs bei den Marktanteilen erklärt sich damit, dass auch Europas zweitgrößter Lieferant, Norwegen, den Export in die EU 2017 erhöht hat.Größter Abnehmer russischen Gases bleibt Deutschland, das im Vorjahr 53,4 Mrd. Kubikmeter bei Gazprom gekauft hat – um 7,2 % mehr als 2016 und damit so viel wie noch nie. Auch die Türkei, zweitgrößter Abnehmer, importierte aus Russland ein historisches Spitzenvolumen: konkret 29 Mrd. Kubikmeter. Den weitaus größten prozentuellen Anstieg aber wies Österreich auf – und zwar um 39 % auf 8,5 Mrd. Kubikmeter, was mehr ist, als Österreich pro Jahr verbraucht. Die größere Importmenge erklärt sich auch mit dem höheren Bedarf für die dortigen unterirdischen Gasspeicher, die nach dem strengen vorigen Winter weitgehend geleert gewesen waren und aus denen dann auch umliegende Länder wie Deutschland bedient werden.Dass Russland trotz aller Spannungen mit Brüssel Rekordvolumina in Europa absetzt, hat aber nicht nur mit dem kalten vorigen Winter zu tun. Es liegt auch an den im Vergleich zu Flüssiggas (LNG) niedrigeren Preisen für das über Pipelines gelieferte Gazprom-Gas. Gazprom habe sich gerade bei jenen Ländern preislich flexibler gegeben, die mit der geplanten Schwarzmeerpipeline Turkish Stream und Nord Stream 2 in Zusammenhang stehen, meint Dmitri Marintschenko, Gasanalyst der Ratingagentur Fitch.Tatsächlich kauften gerade diese Länder 2017 am meisten bei Gazprom ein bzw. zeigten die stärksten Importsteigerungen. Nord Stream 2 aber wird von Brüssel mit immer neuen Winkelzügen blockiert. Besonders Polen und die baltischen Staaten lobbyieren gegen den Bau. Allemal bezeichnend, dass Polen in den ersten drei Quartalen 2017 (die Zahlen für das Gesamtjahr liegen noch nicht vor) seinen Gasimport aus Russland reduziert hat. Stattdessen hat Polen 2017 zum ersten Mal LNG aus den USA erhalten. Von Jamal an die OstküsteUnd hier schließt sich der Kreis. Denn auch die USA opponieren gegen Nord Stream 2 und wollen künftig selber vermehrt LNG nach Europa liefern. Umso seltsamer nimmt sich aus, dass in diesen Tagen der erste LNG-Tanker mit russischem Gas in die USA unterwegs ist, weil dort ein Schneesturm für starke Preisanstiege an der Ostküste gesorgt hat. Viele Jahre hatte Russland vom Export in die USA geträumt, den Traum aber vor knapp zehn Jahren aufgegeben, weil sich gezeigt hatte, dass die USA mit ihrer Förderung aus Schiefergestein schon bald unabhängig von Importen sein würden. Experten gehen daher auch nicht davon aus, dass sich der jetzige Export in die USA zu einer anhaltenden Tendenz entwickelt.Das Gas, das mit dem Tanker Richtung USA unterwegs ist, kommt vom LNG-Terminal auf der Polarhalbinsel Jamal. Geliefert wird es von Russlands Novatek, die auf der US-Sanktionsliste steht. Ein zweiter Tanker von Jamal ist derzeit nach Spanien unterwegs. Dabei waren die dortigen und andere europäische LNG-Empfangsterminals errichtet worden, um unabhängiger von russischem Gas zu werden.