Existenzangst in Innenstädten

Handelsverband: Nach Lockdown-light-Verlängerung noch größere Verschiebung zu Online-Anbietern

Existenzangst in Innenstädten

Nach der Entscheidung zur Verlängerung des Lockdown light und der Verschärfung einiger Regeln sieht der Handelsverband Deutschland die Existenz vieler innerstädtischer Händler bedroht. Denn die Beschlüsse dürften die Verschiebung von Umsätzen aus dem stationären in den Online-Handel forcieren.Von Martin Dunzendorfer, FrankfurtDer Handelsverband Deutschland (HDE) schlägt Alarm. Nach der Entscheidung zur Verlängerung des Lockdown light und der Verschärfung der Vorgaben, die für die Höchstzahl an Personen in größeren Geschäften beschlossen wurden, sagt der Verband eine verstärkte Verschiebung der Einkäufe vom stationären in den Online-Handel voraus und warnt deshalb vor Pleiten vieler innerstädtischer Non-Food-Händler. Zudem könnten sich in den nächsten Wochen Warteschlangen insbesondere vor Supermärkten und Kaufhäusern bilden. Diese schafften “neue Gelegenheiten für Ansteckungen”, so HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth. Anstehende Kunden verstärkten außerdem das Gefühl, Waren könnten knapp werden. Die Konsequenz könnten erneut Hamsterkäufe im Lebensmittelhandel sein.Bund und Länder hatten entschieden, dass der Teil-Lockdown mit der Schließung u. a. von Restaurants bis zum 20. Dezember verlängert wird. Darüber hinaus wurde eine Verschärfung für den Einzelhandel beschlossen: In Geschäften mit mehr als 800 Quadratmetern (m2) Verkaufsfläche – also auch in fast allen Supermärkten – ist pro 20 m2 nur noch eine Person zugelassen. In diesen Läden dürfen damit deutlich weniger Kunden gleichzeitig einkaufen als bisher.Diese Neuregelung könnte “kontraproduktiv” sein, warnt Genth. Sie stünde auch juristisch auf sehr unsicherem Boden. Es gebe keinen sachlichen Grund, unterschiedliche Regelungen für Verkaufsflächen über und unter 800 Quadratmetern zu erlassen. Die Hygienekonzepte im Einzelhandel hätten sich in kleinen wie in größeren Räumlichkeiten bewährt. Erwartungen modifiziertNach den Entscheidungen, die beim Gipfel der Bundeskanzlerin und der Ministerpräsidenten beschlossen wurden, modifizierte der HDE seine Prognose für das Weihnachtsgeschäft. Zwar geht der Verband nach wie vor von einem Gesamtumsatz im Einzelhandel von knapp 104 Mrd. Euro für November und Dezember aus, was einem Zuwachs von 1,2 % im Vergleich zum Vorjahr entspräche, doch “verschieben sich viele Einkäufe in den Online-Handel”.Die Verlängerung des Lockdown light in den Dezember hinein treffe den Innenstadthandel deshalb massiv. Schon in den ersten drei Wochen gingen hier die Umsätze nach Angaben des HDE um durchschnittlich 30 % im Vergleich zum Vorjahr zurück. Im Bekleidungshandel habe es sogar ein Minus von 40 % gegeben.Für das Weihnachtsgeschäft (Umsätze im November und Dezember) geht der HDE in einem mittleren Szenario nun davon aus, dass sich noch wesentlich mehr Umsätze in den Online-Handel verlagern. “Am Ende könnte hier das zusätzliche Plus bei 2 Mrd. Euro liegen, was dann zu einem Gesamtvolumen für das Jahr 2020 für das Online-Geschäft von 70 Mrd. Euro führt.” Neben dem Online-Handel werde sich der Lebensmittelhandel weiter positiv entwickeln.Ganz so gravierend, wie der HDE seine Neueinschätzungen verkauft, sind die Änderungen für den stationären Handel aber nicht. Anfang des Monats hatte der Verband einen Online-Jahresumsatz von 68 Mrd. Euro – davon 17,5 Mrd. im Weihnachtsgeschäft – prognostiziert. Wenn sich diese Werte wegen der jüngsten Coronabeschlüsse um etwa 2 Mrd. erhöhen, dann springt zwar die erwartete Wachstumsrate der Online-Erlöse im November und Dezember von 19 auf 33 %, doch die entsprechende Umsatzveränderung im stationären Einzelhandel läge bei minus 5,4 % nach zuvor minus 4,0 %.Hinzu kommt, dass es auch gegenteilige Meinungen zum Käuferverhalten gibt. Gemäß einer repräsentativen Studie durch das Beratungsunternehmen Deloitte, die allerdings schon Anfang des Monats abgeschlossen wurde, beabsichtigt ein Großteil der Befragten, trotz Pandemie und hoher Infektionszahlen Weihnachtsgeschenke in stationären Geschäften zu besorgen.Im Weihnachtsgeschäft 2019 setzte sich laut Deloitte erstmals das Internet als bevorzugter Einkaufsort durch. Dieses Jahr zeigten Konsumenten Solidarität mit dem Einzelhandel und unterstützten lokale Geschäfte. “Zudem sehen viele aufgrund der Einschränkungen des Privatlebens Shoppen als neue bzw. wiederentdeckte Freizeitbeschäftigung”, sagt Egbert Wege, Partner bei Deloitte. Beunruhigender aus Händlersicht ist, dass eine Mehrheit der deutschen Verbraucher (57 %) ihr Weihnachtsbudget 2020 stark reduzieren will. Aufgrund der derzeitigen Abstriche bei Reisen, Freizeitaktivitäten und Restaurantbesuchen habe sich der Kostenrahmen mit 343 Euro im Vergleich zum Vorjahr (642 Euro) fast halbiert, teilt Deloitte mit. Auch beim Kauf von Geschenken werde gespart: Die Befragten wollen dieses Jahr nur noch 168 Euro (i.V. 194) ausgeben. Vielen droht die Insolvenz HDE-Hauptgeschäftsführer Genth bangt um die Zukunft einer ganz bestimmten Händlergruppe: “Der große Verlierer sind viele innerstädtische Händler, denen unter den Coronabedingungen die Kunden und die Umsätze wegbrechen.” Der stationäre Nonfoodhandel könnte nach HDE-Berechnungen durch den verlängerten Lockdown light zusätzlich rund 6 Mrd. Euro verlieren. Im Gesamtjahr läge das Umsatzminus der Innenstadthändler dann bei 25 Mrd. Euro. Genth zufolge stehen viel nun vor der Insolvenz. “Jetzt bricht auch noch das normalerweise umsatzstarke Weihnachtsgeschäft weg. Das ist ohne staatliche Unterstützung nicht mehr zu stemmen”, so Genth. Der HDE fordert deshalb dringend die zeitnahe Aufnahme des Handels in die Nothilfen der Bundesregierung. Die Überbrückungshilfen müssten angepasst werden, damit der Einzelhandel eine Chance habe, diese in Anspruch zu nehmen.