„Flexibilisierung der Kostenstruktur ist Pflicht“
IM GESPRÄCH: MARC-SIMON SCHAAR
„Flexibilisierung der Kostenstruktur ist Pflicht“
Edelstahlhersteller Outokumpu setzt auf Nachhaltigkeit – Finanzchef ruft nach mehr Schutz vor Billigimporten aus Asien
Von Annette Becker, Krefeld
Thyssenkrupp ist nur das schillerndste Beispiel für den schleichenden Niedergang der europäischen Stahlindustrie. Auch die finnische Outokumpu, die sich 2012 mit dem Kauf der Edelstahlsparte von Thyssenkrupp im globalen Ranking an die Spitze schob, kämpft mit den widrigen Rahmenbedingungen. Für Finanzvorstand Marc-Simon Schaar liegt der Schlüssel zur Zukunft in der Nachhaltigkeit.
Die Edelstahlindustrie ist nicht eins zu eins mit der klassischen Stahlindustrie zu vergleichen. Dennoch herrscht auch dort kein eitel Sonnenschein. Outokumpu, der finnische Edelstahlproduzent, blickt beispielsweise auf vier Quartale in Folge zurück, in denen unter dem Strich rote Zahlen geschrieben wurden.
Zwar haben die Finnen, die sich 2013 das Edelstahlgeschäft von Thyssenkrupp einverleibten und damit zum größten Edelstahlhersteller in Europa aufstiegen, in der Vergangenheit schon Kapazitäten aus dem Markt genommen. „Doch was bringt das, wenn parallel in Asien das Fünffache an Kapazität aufgebaut wird?“, ärgert sich Marc-Simon Schaar, der im Juni dieses Jahres bei Outokumpu zum Finanzvorstand aufgestiegen ist.
Importschwemme
Die Importschwemme aus Asien, vor allem aus China und Indonesien, sorge für massiven Preisdruck. Zugleich seien für die europäischen Hersteller die Energiekosten gestiegen. „Wir haben inzwischen Strafzölle und auch die Transportkosten sind gestiegen – die Importquote ist dennoch stabil geblieben“, untermauert Schaar die Mutmaßung, dass die Importe subventioniert sind.
Indonesien beispielsweise – die dortigen Edelstahlhersteller sind Schaar zufolge primär chinesischer Herkunft – bringe es auf eine Schmelzkapazität von 5,5 Millionen Tonnen, die heimische Nachfrage liege dagegen nur bei 200 Kilotonnen. „Wir haben nichts gegen Wettbewerb, aber bitte unter Gleichen“, fordert der Stahlmanager.
In den USA sei das gleiche Phänomen zu beobachten. „Obwohl dort höhere Schutzzäune errichtet wurden, liegt die Importquote immer noch bei circa 30%.“ Erschwerend komme hinzu, dass die Kapazitäten in China weiter ausgebaut würden, derweil die heimische Nachfrage massiv eingebrochen sei. Damit erhöht sich nicht nur der Importdruck. Denn zugleich fällt China als Absatzmarkt zunehmend aus.
Vor Jahren hat Outokumpu die Schmelzen in Bochum und Krefeld geschlossen. In Krefeld, dem Deutschlandsitz von Outokumpu, wird der Edelstahl heute nur noch weiterverarbeitet. Zugleich geht die Konsolidierung weiter. Im Geschäftsfeld Advanced Materials wird die Produktion am Standort Dillenburg konzentriert.
Zur Person
Marc-Simon Schaar ist seit Juni im Vorstand der finnischen Outokumpu für Finanzen zuständig. Für den Edelstahlhersteller arbeitet der gebürtige Wuppertaler, der sich selbst als Kosmopolit bezeichnet, seit mehr als zwölf Jahren. Wenngleich er Ende 2012 mit dem Verkauf der Edelstahlsparte von Thyssenkrupp an Outokumpu zu den Finnen stieß, war der einstige EY-Berater nie ein Thyssenkrupp-Gewächs. Vielmehr kam er zu Thyssenkrupp, als der Verkauf des Edelstahlgeschäfts schon beschlossen war. Als wesentliche Meilensteine seiner Arbeit bei Outokumpu bezeichnet Schaar die von ihm geleitete Bilanzsanierung 2013/14 und die Entschuldung seit 2020.
„Um den Markt und unsere Position zu verteidigen, müssen wir kosteneffizienter produzieren“, sagt Schaar. Das kosteneffizienteste Werk steht im finnischen Tornio. Dort befindet sich auch die einzige Chrommine Europas. Sie gehört Outokumpu. „Das Werk ist voll integriert, das bringt Vorteile auf der Kostenseite“, schwärmt der Finanzchef.
Doch das nützt alles nichts, wenn die Nachfrage fehlt. „Unsere Aggregate sind derzeit nicht vollständig ausgelastet. In diesen Marktphasen müssen wir schauen, Tornio maximal auszulasten. Beide Werke arbeiten im engen Verbund. Im Umkehrschluss ist die Flexibilisierung der Kostenstruktur in Deutschland Pflicht.“
Bekenntnis zum Standort
Dabei geht es nicht um Stellenabbau, sondern um die variablen Kosten, wie Schaar betont. Diese seien hierzulande deutlich höher als in Finnland. „Dass wir uns in Deutschland mit Blick auf die Energiekosten einen Bärendienst erwiesen haben, muss man nicht explizit erwähnen“, sagt Schaar. Strom und Gas seien in Finnland etwa um die Hälfte günstiger als in Deutschland.
Dennoch will sich Schaar nicht in Schwarzmalerei ergehen: „Der deutsche Markt ist für uns sehr wichtig, wenn nicht gar der wichtigste Markt in Europa“, sagt Manager und setzt nach: „Ich glaube an die Zukunft des Standorts.“ Dennoch verkennt Schaar, der seit über zwölf Jahren für Outokumpu arbeitet, nicht, dass es ein strukturelles Problem gibt – Stichwort: Überkapazitäten.
Marc-Simon SchaarDer Kohlenstoffstahl sieht sich aufgrund der Transformation größeren Herausforderungen gegenüber.
Dem werde in der EU mit dem Grenzausgleichsmechanismus (CBAM) beizukommen versucht. „Das ist aus unserer Sicht der richtige Weg, zumindest ein Versuch“, sagt Schaar. Gleichwohl gebe es viele Ansatzpunkte für Verbesserungen. „Unseren Kunden hilft es nicht, wenn der klimaschädliche Edelstahl in weißer Ware verbaut ist und dann importiert wird“, verdeutlicht der Finanzvorstand. Die Klimazölle werden nämlich nur auf Zement, Eisen, Stahl, Aluminium, Düngemittel, Strom und Wasserstoff erhoben, nicht aber auf Endprodukte.
„Wir haben Strukturprobleme, doch der Kohlenstoffstahl sieht sich aufgrund der grünen Transformation größeren Herausforderungen gegenüber“, sagt Schaar und hebt hervor: „Outokumpu hat die grüne Transformation schon vor längerer Zeit auf den Weg gebracht. Darauf sind wir stolz.“ Der CO2-Fußabdruck pro Tonne Edelstahl von Outokumpu liege bei unter 1,5 Tonnen CO2.
Damit bewege sich das Unternehmen 75% unter dem globalen Branchendurchschnitt. Zum Vergleich: China und Indonesien kommen zusammen auf einen CO2-Ausstoß von 9 Tonnen pro produzierter Tonne Edelstahl. Zudem verfügen die Finnen mit über 95% über den höchsten Recycle-Anteil in der Produktion. „Die meisten CO2-Emissionen kommen nicht aus dem Schrott, sondern aus den Primärrohstoffen Nickel und Chrom. Da wollen wir künftig den Unterschied machen“, stellt Schaar heraus. „Nachhaltigkeit ist unsere Licence to Operate.“
Nachhaltige Produkte
Seit einem Jahr sind die Finnen mit einem zertifizierten grünen Produkt am Markt. „Circle Green hat im Vergleich zum Branchendurchschnitt einen um 93% niedrigeren CO2-Fußabdruck“, rührt Schaar die Werbetrommel. Das Produkt werde mit einem grünen Premium verkauft. Doch viele Kunden seien nicht gewillt, den höheren Preis zu zahlen. „Es gibt Nachfrage, aber reißender Absatz ist etwas anderes.“
Dennoch hält Outokumpu an der eingeschlagenen Richtung fest: „Wir hoffen, Vorbild für unsere Wettbewerber zu sein. Wichtig ist aber, gleiche Wettbewerbsbedingungen zu schaffen.“