IM BLICKFELD

Fracking - zwischen Euphorie und Panik

Von Carsten Steevens, Hamburg Börsen-Zeitung, 7.1.2014 Befindet sich Deutschland in einem Prozess der schleichenden Deindustrialisierung, wie der zum Jahreswechsel ausgeschiedene Vorstandsvorsitzende des Graphitspezialisten SGL Carbon, Robert...

Fracking - zwischen Euphorie und Panik

Von Carsten Steevens, HamburgBefindet sich Deutschland in einem Prozess der schleichenden Deindustrialisierung, wie der zum Jahreswechsel ausgeschiedene Vorstandsvorsitzende des Graphitspezialisten SGL Carbon, Robert Koehler, vor wenigen Wochen mit Blick auf den Fracking-Boom in den USA und den Umbruch auf dem globalen Energiemarkt warnte? Führen der deutliche Anstieg der Fördermengen von Öl und Erdgas aus unkonventionellen Lagerstätten (Schieferöl und Schiefergas) in Nordamerika und der damit einhergehende Rutsch der Preise für die fossilen Energieressourcen zu einer massiven Verlagerung von Produktionsstandorten und Arbeitsplätzen über den Atlantik, weil gerade deutsche Industrieunternehmen auf wettbewerbsfähige Energiepreise angewiesen sind? Wie realistisch und dramatisch ist der von Allianz-Vorstandschef Michael Diekmann befürchtete Verlust eines Teils der Wertschöpfung aus Deutschland, weil hierzulande ganze Industrien wie Gen-, Nukleartechnologie und eben Fracking stigmatisiert würden?Die Debatte um die Folgen des neuen Öl- und Gasrausches in den USA ist in vollem Gang, nicht nur in Deutschland. Sie spaltet in Europa – vernehmbarer als in anderen Regionen, was bislang dazu geführt hat, dass noch kein Land der EU mit der ernsthaften Ausbeutung von Schiefergasvorkommen begonnen hat. Befürwortern, die auf mögliche ökonomische und ökologische Fortschritte durch niedrigere Energiepreise und die Förderung von sauberem Gas aus unkonventionellen Lagerstätten verweisen, stehen im ungleich dichter besiedelten Europa Kritiker der Fracking-Technik gegenüber, die unsichere Schätzungen der rentabel ausschöpfbaren Vorkommen sowie Erdbeben-, Grundwasser- und Gesundheitsrisiken anführen, die mit dem “Herauspressen” der Ressourcen aus unterirdischen Gesteinsschichten durch große Mengen eines Gemischs aus Wasser, Sand und Chemikalien einhergingen.Wasser auf die Mühlen der Befürworter sind alarmierende Studien wie der jüngste Weltenergie-Ausblick der in Paris ansässigen Internationalen Energieagentur (IEA), die angesichts deutlich höherer Strompreise in den kommenden Jahren vor Marktanteilsverlusten für die Industrie in Europa – vor allem für energieintensive Branchen wie die Chemie- und Stahlindustrie – warnen. Im Chemiesektor sagen Branchenexperten bereits eine Kauf- und Übernahmewelle voraus, angefacht durch das amerikanische Fracking-Wunder. Der in London ansässige Branchenverband der internationalen Öl- und Gasproduzenten (OGP) rechnet vor, die Schiefergasförderung in Europa könne bis 2050 zu rund 1,1 Millionen neuen Arbeitsplätzen führen und die Abhängigkeit von Gasimporten deutlich reduzieren. Und die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) in Hannover lässt in einer Studie deutlich werden, dass zwei Drittel der mit rund 21 Bill. m 3 bezifferten Erdgasreserven in Europa (weltweite Reserven: 196 Bill. m 3) durch den Verzicht auf die umstrittenen Fracking-Techniken nicht erschlossen werden können.Solche Hinweise kommen für Teile der Industrie in Deutschland zur rechten Zeit, müssen doch vor allem Unternehmen mit hohem Energieverbrauch sinkende Wettbewerbsfähigkeit befürchten – nicht zuletzt im Zuge des vor Weihnachten angeschobenen Beihilfeverfahrens der EU-Kommission gegen Rabattregelungen im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) zur Förderung von Ökostrom. Zwar hat die neue Bundesregierung Widerstand gegen die Brüsseler Initiative angekündigt, doch der Ausgang des Verfahrens ist offen.Gemessen an Schiefergasplänen in Großbritannien und Polen zeigt sich die große Koalition hinsichtlich des Einsatzes der Fracking-Technik bei der unkonventionellen Erdgasgewinnung unaufgeregt. Die rot-grüne Regierung in Niedersachsen – dem Land sind 95 % des in Deutschland geförderten Erdgases zuzurechnen – geht mit der Anforderung einer Umweltverträglichkeitsprüfung für alle Fracking-Vorhaben noch über Formulierungen im Berliner Koalitionsvertrag hinaus: Der Einstieg in die kommerzielle Erdgasförderung aus unkonventionellen Lagerstätten sei derzeit nicht vertretbar. Boom ist nicht zu erwartenDoch selbst wenn EU und Bundesregierung die Schiefergasförderung zulassen sollten: Ein Fracking-Boom ist angesichts einer auf nur 1,3 Bill. m 3 geschätzten ausbeutbaren Schiefergasmenge in Deutschland und angesichts des Widerstands gegen diese Fördertechnik kaum zu erwarten. Zweifel an der Dauer des nordamerikanischen Öl- und Gaswunders und der Entwicklung der Öl- und Gaspreise führen zudem zu dem Eindruck, dass die Fracking-Debatte gegenwärtig allzu stark zwischen Euphorie und Panik schwankt: keine gute Grundlage für kluge Standortentscheidungen. Wichtig wäre, dass die Energiewende gelingt in Deutschland.