IM GESPRÄCH: MARTIN KLUSMANN, FRESHFIELDS BRUCKHAUS DERINGER LLP

"Fusionen werden kartellrechtlich komplizierter"

Der Wettbewerbsexperte über länger dauernde Kontrollverfahren, die zunehmende Einbindung Dritter und Herausforderungen durch die Digitalisierung

"Fusionen werden kartellrechtlich komplizierter"

fed Frankfurt – Unternehmen müssen sich nach Einschätzung von Martin Klusmann, Partner im Kartellrecht bei Freshfields Bruckhaus Deringer, auf zunehmenden Aufwand einstellen, wenn sie in Zukunft die erforderlichen Genehmigungen für Fusionsvorhaben bei den Wettbewerbsbehörden einholen. “Fusionen werden kartellrechtlich komplizierter”, sagt der Wettbewerbsexperte im Gespräch mit der Börsen-Zeitung und verweist auf die Ergebnisse der aktuellen Studie seiner Kanzlei “Global antitrust in 2020″.”Die Wettbewerbsbehörden, insbesondere die EU-Kommission, prüfen viele Fusionsvorhaben zunehmend umfassender und detaillierter”, berichtet Klusmann. Die EU-Kommission setze dafür mehr Personal ein. “Case Teams mit bis zu zehn EU-Beamten, darunter auch Ökonomen, sind keine Seltenheit mehr.”Aus Sicht der Unternehmen sei der regulatorische Teil eines Fusionsvorhabens inzwischen oft in der Umsetzung deutlich aufwendiger als der gesellschaftsrechtliche Teil, also etwa die M&A-Verhandlungen oder die Due Diligence – zumal bei internationalen Transaktionen ja häufig parallel zahlreiche Genehmigungen unterschiedlicher Behörden eingeholt werden müssten. Allerdings werde die Qualität der Behörden-Entscheidungen “durch den höheren Aufwand nicht unbedingt gesteigert”, meint Klusmann.Der Freshfields-Partner beobachtet, dass Fusionskontrollverfahren immer länger dauern. “Unsere Studie zeigt, dass die durchschnittliche Dauer in komplexen Fällen in den vergangenen Jahren signifikant gestiegen ist, nämlich um 60 oder sogar mehr als 80 % – und zwar sowohl was die Untersuchung als auch die vorbereitenden informellen Kontakte mit den zuständigen Behörden vor der Einreichung von Anmeldungen angeht.” Das sei für viele Firmen durchaus ein Problem. Ausgang schwer vorhersagbar “Wenn ich zum Beispiel einem Manager aus der Strategieabteilung sagen muss, dass er wegen des Umfangs der vorzubereitenden Anmeldungen und zu erwartender vertiefter Fusionskontrollprüfungen gut beraten ist, 18 Monate einzukalkulieren, bis die erforderlichen Freigaben vorliegen, ist das für ihn oft unerwartet und ein Problem.” Denn vor Abschluss aller relevanten Fusionskontrollverfahren kann kein Closing erfolgen. Zudem merkt Klusmann an, dass die Ergebnisse von Fusionskontrollverfahren schwerer vorhersagbar werden. “Das bedeutet aus Sicht der Unternehmen, die Firmen übernehmen wollen: Die Transaktionssicherheit leidet.” Seit längerem steige die Zahl der Untersagungen respektive der Genehmigungen unter der Auflage sehr umfangreicher Zusagen.Was die Arbeitsweise der Wettbewerbsbehörden angeht, weist der Kartellfachmann auf das steigende Interesse an unternehmensinternen Unterlagen aus Zeiten, als die Fusion oder alternative Projekte geplant und vorbereitet worden sind, hin. So verlange etwa die EU-Kommission in Phase-2-Verfahren immer häufiger auch die elektronische Suche nach zurückliegenden internen Dokumenten der anmeldenden Unternehmen. “Dies können zum Beispiel alle auf bestimmte Suchworte anspringenden Mails bestimmter Personen sein, die mit der Fusionsplanung oder dem Vertrieb der betroffenen Produkte betraut waren.” Das bedeute, dass manchmal in sehr kurzer Zeit hunderttausende von Unterlagen elektronisch durchsucht, gesichtet und vorgelegt werden müssten. Groß angelegte UmfragenStärker als früher binde die EU-Kommission Dritte in ihre Untersuchungen ein. Sie starte regelmäßig per elektronischen Auskunftsersuchen groß angelegte Umfragen, an denen sie Wettbewerber, Zulieferer und Kunden – also quasi alle Stakeholder – beteiligt. Die Antworten flössen dann oft selektiv in Verfahren ein. “Kritische Rückmeldungen von Wettbewerbern werden gern genutzt, um kritische Bewertungen und Argumentationen der EU-Kommission zu belegen”, sagt Klusmann.Mit Blick auf die Digitalisierung der Wirtschaft ist das Wettbewerbsrecht nach seinen Worten vor sehr unterschiedliche Herausforderungen gestellt. So gebe es zum Beispiel das Thema des kartellrechtlichen Umgangs mit Algorithmen. “Die meisten Experten sehen keinen Bedarf, deshalb neue Instrumente im Wettbewerbsrecht zu schaffen, sondern sind überzeugt, dass das bisherige Instrumentarium ausreicht, um die neuen Fragen zu lösen.”Daneben werfe Big Data auch außerhalb des reinen Datenschutzes viele Fragen auf: Wem gehören welche Daten? Darf ein Dritter Zugang zu Daten verlangen, die beispielsweise ein Hersteller von technischen Geräten zu Zwecken der Ferndiagnose erhebt? Welche Daten darf man mit Wettbewerbern austauschen oder sogar abstimmen? Welche Daten muss man vielleicht sogar abstimmen, etwa bei der Kommunikation von autonom fahrenden Autos untereinander – und an welcher Stelle oder ab welchem Punkt verstoßen entsprechende Vereinbarungen gegen Kartellrecht? Klärungsbedarf gebe es zudem in Zusammenhang mit der Zulassung zu und Nutzung von Plattformen: Wer darf da mitmachen, wer darf ausgeschlossen werden – und inwieweit ist Plattform-Exklusivität aus Sicht der Betreiber oder von Herstellern, deren Produkte über Plattformen vertrieben werden, zulässig? “Killer acquisitions”Auch treibt Kartellrechtler um, dass Akquisitionen von Technologiefirmen mitunter nur deshalb angestrebt werden könnten, um neue Anbieter vom Markt zu nehmen. Wie sollen Behörden mit diesen “killer acquisitions” umgehen? Und ab welcher Größenordnung sollten Behörden eingreifen können, wenn das Zielunternehmen noch keine Marktaktivitäten entfaltet, also historisch noch keine Umsätze erzielt hat? Hier gibt es, wie Klusmann erinnert, als neuen Ansatz in einigen Ländern – auch in Deutschland – bereits eine Abkehr von der bloßen Konzentration auf Umsatzschwellen als Aufgreifkriterium für die Fusionskontrolle – hin zur alternativen Berücksichtigung der gezahlten Kaufpreise.