Generative KI macht Legal-Tech-Investoren Mut
Generative KI macht Legal-Tech-Investoren Mut
Robin AI und Harvey starten mit frischem Funding ins neue Jahr – Technologie hebt Digitalisierung im Rechtswesen aufs nächste Level
Die Rechtsbranche gilt in Sachen Digitalisierung nicht gerade als Vorreiter. Mit den Fähigkeiten von generativer künstlicher Intelligenz wetten Start-up-Investoren dennoch auf eine beschleunigte Transformation in dem Sektor. Zwei darauf spezialisierte Jungunternehmen haben nun frisches Wachstumskapital erhalten.
kro Frankfurt
Für das Londoner Legal-Tech-Unternehmen Robin AI hat das Jahr gut angefangen. Das 2019 von einem ehemaligen Clifford-Chance-Anwalt und einem Wissenschaftler für maschinelles Lernen gegründete Start-up hat in einer Series-B-Finanzierungsrunde 26 Mill. Dollar an Wagniskapital erhalten, wie es direkt am ersten Werktag mitteilte. Hauptinvestor war Temasek, der Staatsfonds aus Singapur. Daneben haben sich unter anderem die vom Revolut-Gründer Nik Storonsky gestartete VC-Gesellschaft Quantumlight, Plural Platform aus London und AFG Partners aus Hongkong beteiligt.
Konkurrent aus dem Silicon Valley
Robin AI hat einen auf generativer künstlicher Intelligenz (GKI) basierenden "Kopiloten" für Rechtsfirmen entwickelt, der Anwälte und Anwältinnen bei verschiedenen Aufgaben wie der Erstellung von Rechtsdokumenten, bei der Recherche oder bei der Überprüfung von Verträgen unterstützen soll. Nach Angaben des Start-ups könne das Tool die benötigte Zeit bei der Durchsicht von Dokumenten um 85% reduzieren. Dies treibe denn auch besonders die Nachfrage aus dem Private-Equity-Sektor, in dem "die Geschwindigkeit beim Abschluss von Deals kritisch ist und die Dokumentation von Verpflichtungen gegenüber Investoren komplex sein kann", so das Unternehmen.
Mit den frischen Mitteln will Robin AI die Expansion in die USA vorantreiben. Dort trifft das Unternehmen auf einen Konkurrenten, der zwar noch jünger, aber dafür schon jetzt mit deutlich mehr Kapital ausgestattet ist. Das Start-up mit dem Namen Harvey wurde 2022 gegründet und bietet Kanzleien ebenfalls einen GKI-Kopiloten, der Anwälten die Arbeit erleichtern soll. Vor wenigen Tagen hat die Firma aus dem Silicon Valley ihre eigene Series-B-Finanzierungsrunde unter Dach und Fach gebracht und dabei 80 Mill. Dollar eingesammelt. Investoren waren unter anderem die VC-Firma Kleiner Perkins, der Start-up Fund vom ChatGPT-Entwickler OpenAI und der Wagniskapitalriese Sequoia.
Noch herrscht Zurückhaltung
Dass die Rechtsberatung als besonders aussichtsreiches Einsatzgebiet für generative künstliche Intelligenz gilt, dürfte jeder nachvollziehen, der die Technologie schon einmal selbst ausprobiert hat. Die oft sehr zeitintensive juristische Recherche, beispielsweise von relevanten Gesetzestexten oder Präzedenzfällen, die Erstellung sowie die Analyse oder Zusammenfassung diverser Schriftsätze können mithilfe von Chatbots wie ChatGPT massiv beschleunigt werden.
Und dennoch: In der weltweiten Betrachtung sind Wagniskapitalgeber beim Thema Legal Tech zuletzt eher zögerlich aufgetreten. Laut einer Prognose des Datendienstes Crunchbase vom Oktober dürften die Investitionen in die Digitalisierung der Rechtsbranche im Jahr 2023 global um 65% eingebrochen sein.
Gefahr von Halluzinationen
Das wird nur zum Teil mit der allgemeinen VC-Flaute erklärt. Zu einem anderen Teil sehen Beobachter das Problem aber auch bei den Rechtsfirmen sowie bei der Technologie selbst. "Anwälte standen der Einführung von Software immer skeptisch gegenüber", schreibt Lisa Han, Partnerin bei der VC-Gesellschaft Lightspeed. Dafür gebe es verschiedene Gründe. So stehe bei der Arbeit von Anwälten oft viel auf dem Spiel, weshalb es dort kaum Raum für Fehler gebe. Gerade die GKI-Technologie ist aber noch bekannt für sogenannte "Halluzinationen", also die Generierung von irreführenden oder sogar falschen Informationen. Daneben gibt es auch ethische Bedenken, da heutige Sprachmodelle bestehende gesellschaftliche Unterschiede und Vorurteile oft einfach perpetuieren.
Das Problem liegt laut Han aber auch bei den "billable hours", also den geleisteten abrechenbaren Stunden, mit denen Kanzleien ihre Umsätze erzielen. Mit solchen Zeithonoraren habe die Branche schlicht keinen wirklichen Anreiz, effizienter zu arbeiten. "In der (Legal Tech-)Branche herrscht die allgemeine Ansicht, dass es leichter ist, Software zu verkaufen, die Anwälte weniger produktiv macht, als Software, die sie effizienter macht", schreibt Han. Vor dem Hintergrund könne nur ein verstärkter Druck vonseiten der Mandanten zu einer beschleunigten Implementierung zeitsparender Technologien führen.
Es geht um Wettbewerbsfähigkeit
In der Rechtsbranche selbst scheinen die Akteure dem Thema GKI jedenfalls noch zwiegespalten gegenüberzustehen. In einer von Mai bis Juni durchgeführten Umfrage des Datenbankanbieters LexisNexis wurden mehr als 1.000 britische Juristen und Juristinnen zu ihren Gefühlen hinsichtlich der Auswirkungen von GKI auf das Rechtswesen befragt. Zwei Drittel gaben dabei an, "gemischte Gefühle" zu haben und sowohl Vor- als auch Nachteile zu sehen. 14% hatten ein rein positives Gefühl und 8% ein rein negatives Gefühl.
Um wettbewerbsfähig zu bleiben und den Erwartungen von Mandanten gerecht zu werden, ist der Branche aber auch bewusst, dass sich das Thema nicht umschiffen lässt. So haben fast drei Viertel der befragten Juristen der Aussage zugestimmt, dass Kanzleien modernste Technologien inklusive GKI-Tools nutzen sollten. Allerdings geht weniger als die Hälfte der Befragten davon aus, dass das in ihrer jeweiligen Kanzlei schon in den kommenden zwölf Monaten der Fall sein wird.