Governance-Kodex: Ein großer Wurf ringt um Relevanz
Der am 6.11.2018 vorgestellte Entwurf des Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) ist der angekündigte “große Wurf” und bedarf daher einer intensiven Diskussion. Neben tiefgreifenden strukturellen Änderungen ist die Vorstandsvergütung inhaltlicher Schwerpunkt der Überarbeitung, ringt dabei aber um Relevanz bei Unternehmen wie Investoren.Das Gesetz zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie (ARUG II) verlagert die faktische Zuständigkeit zur Vorstandsvergütung vom Aufsichtsrat auf die Hauptversammlung. Sowohl das Vergütungssystem als auch ein jährlicher Vergütungsbericht müssen zwingend – allerdings nicht bindend – den Aktionären zur Abstimmung präsentiert werden. Dabei legen institutionelle Investoren eigene Maßstäbe an. Zur Illustration: Die drei in 2017 abgelehnten Vergütungssysteme bei Dax-Unternehmen hatten allen (sic) seinerzeit einschlägigen Empfehlungen des DCGK entsprochen.Die Vorgaben des DCGK gelten für alle 450 börsennotierten Unternehmen. Mit dem Vergütungsmodell entfernt sich die Kodex-Kommission jedoch deutlich von ihrem Auftrag, Standards guter Unternehmensführung aufzustellen bzw. international und national anerkannte Verhaltensstandards zu berücksichtigen. Jedenfalls mit Blick auf die börsennotierten Unternehmen in Deutschland kann das empfohlene Einheitsmodell sicherlich nicht als anerkannter Verhaltensstandard bezeichnet werden, müssten doch nach heutiger Marktpraxis nahezu 100 % der Unternehmen eine Abweichung erklären.Die kurzfristige variable Vergütung soll auf Zielen der operativen Jahresplanung basieren und in bar ausbezahlt werden; die Langfristvergütung ausschließlich aus einer Netto-Gewährung von vier Jahre lang gesperrten Aktien bestehen. Die Gewährung erfolgt basierend auf jährlichen Leistungsbeiträgen zur Erreichung einer längerfristigen Strategie. Sie hängt danach an keinen weiteren Erfolgsparametern und soll nur in begründeten Fällen zurückgefordert werden können. Kurzfristige ErfolgsmessungDer Kodex-Entwurf bricht mit dem weltweiten Konsens, Unternehmenslenker mehrheitlich auf den langfristigen Erfolg ihrer Unternehmen auszurichten. Der deutsche Gesetzgeber hat dies schon 2009 mit dem Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung erkannt und in § 87 (1) Aktiengesetz festgeschrieben, dass die Vergütungsstruktur auf eine nachhaltige Unternehmensentwicklung auszurichten sei und variable Vergütungsbestandteile daher eine mehrjährige Bemessungsgrundlage haben müssten. Der DCGK formuliert dazu neu in Punkt D.5, dass die Gewährungsbeträge aller variablen Vergütungsteile allein von der Erreichung der für die betreffende Periode jeweils vorher festgelegten Ziele abhängen, wobei Periode mit dem aktuellen Geschäftsjahr gleichzusetzen ist. Damit definiert der DCGK Nachhaltigkeit nun mehr ohne Langfristperspektive. Das DCGK-Vergütungsmodell geht davon aus, dass alle börsennotierten Unternehmen über eine zeitstabile strategische Planung verfügen, die auf “Jahresscheiben” heruntergebrochen und mit messbaren Erfolgsgrößen versehen ist. Diese Annahme trifft so apodiktisch nicht auf alle Unternehmen zu und muss es auch nicht. Es steht im Weiteren zu befürchten, dass die vorgeschlagene Performancemessung im Ergebnis zu einer ausschließlich kurzfristigen – sprich jährlichen – Erfolgsmessung führt. Die einzige langfristige Komponente ist der Aktienkurs einschließlich Dividende ohne weitere Bedingungen.Eine Analyse der Vorstandsvergütungen in Dax-Unternehmen der Jahre 2014 bis 2017 zeigt, dass die durchschnittliche jährliche Schwankung beim ausbezahlten Jahresbonus für den Vorstandsvorsitzenden 15 % beträgt, die Auszahlungen der Langfristvergütung aber mit 58 % deutlich volatiler sind. Das neue DCGK-Modell ersetzt genau diese erfolgsabhängige Komponente mit gesperrten “sichereren” Aktien. Es weicht damit von den Abstimmungsrichtlinien wesentlicher Kapitalmarktteilnehmer ab und führt aus Sicht des Vorstands zu deutlich verstetigten Auszahlungen – die, weil Aktien bereits in persönliches Eigentum übergegangen sind, nicht mehr im Vergütungsausweis aufscheinen werden. Folgerichtig braucht es damit auch keine Mustertabellen für den Vergütungsausweis.Im Weiteren lässt der neue DCGK klärende Aussagen zu wichtigen Themen mit Verbindung zur Vorstandsvergütung vermissen: zur Altersversorgung oder einer grundsätzlichen Neufassung der rechtlich nicht durchsetzbaren Abfindungsregelungen. Eine stärkere inhaltliche Synchronisierung mit dem ARUG II, zum Beispiel beim Ausweis der Relation zur Mitarbeitervergütung, wäre ebenso wünschenswert, wie eine sprachlich engere Anlehnung, beispielsweise beim zentralen Begriff der Vergütungspolitik.Kern des DCGK-Entwurfes zur Vorstandsvergütung ist das beschriebene Modell. Es erscheint auf den ersten Blick bestechend einfach: Nach einem Jahr wird abgerechnet und in Aktien ausgezahlt. Es gibt keine langfristigen Ausweise, keine langfristige Erfolgsmessung, alles gestaltet sich unkompliziert. Bei genauerer Betrachtung offenbaren sich jedoch die Schwachstellen – und diese sind gewichtig, auch wenn das Für und Wider von Einzelaspekten trefflich diskutiert werden kann. Keine Orientierung gebotenWas aktuell inhaltlicher Konsens unter verantwortlichen Investoren und Unternehmen ist, dokumentieren die Ende Juli 2018 vorgestellten Leitlinien für eine nachhaltige Vorstandsvergütung. Die Empfehlung eines einzigen, in der Praxis bisher kaum anzufindenden Vergütungssystems zählt nicht dazu. Sie wird die Unternehmen im Spannungsfeld zwischen Regulatorik und Anforderungen ihrer Investoren eher belasten als ihnen Orientierung bieten.—-Michael H. Kramarsch ist Managing Partner der Unternehmensberatung HKP Group. In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.—–Von Michael H. KramarschDer Kodex-Entwurf bricht mit dem weltweiten Konsens, Unternehmenslenker mehrheitlich auf den langfristigen Erfolg ihrer Unternehmen auszurichten.—–