RECHT UND KAPITALMARKT

Grundlagenentscheidung in der Europäischen Bankenaufsicht

EuG klärt im Fall L-Bank Maßstäbe der Anwendung der Verordnungen

Grundlagenentscheidung in der Europäischen Bankenaufsicht

Von Simon Grieser *)In ihrer Ausgabe vom 3. April 2015 titelte die Börsen-Zeitung “L-Bank klagt gegen EZB-Aufsicht – Erstes Verfahren in Europa”. Sie setzte juristische Mittel gegen den Beschluss der Europäischen Zentralbank, das Institut der direkten EZB-Aufsicht zu unterstellen, ein. Die Förderbank von Baden-Württemberg argumentierte, dass die EZB große, komplexe und international tätige Institute nach einheitlichen Kriterien effektiver überwachen solle. Das Gericht der Europäischen Union (EuG) hat am 16. Mai 2017 (Az.: T-122/15) eine Grundlagenentscheidung getroffen und das Ansinnen der L-Bank abgewiesen. Besondere UmständeIm Kern geht um die Frage, ob “besondere Umstände” gemäß Art. 6 Absatz 4 der Verordnung (EU) Nr. 1024/2013 des Rates vom 15. Oktober 2013 (SSM-Verordnung) und Art. 70 der Verordnung (EU) Nr. 468/2014 der Europäischen Zentralbank (SSM-Rahmenverordnung) vorliegen, die es rechtfertigen könnten, die Aufsicht über die L-Bank bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht zu belassen und nicht der EZB zu übertragen. Der Gesamtwert der Aktiva der L-Bank übersteigt 30 Mrd. Euro, so dass nach den Kriterien der Verordnung eine Aufsicht der EZB zulässig ist. Damit kommt es entscheidend auf die Auslegung und Anwendung des Ausnahmetatbestandes der “besonderen Umstände” an. Diese sind gegeben, wenn spezifische und tatsächliche Umstände vorliegen, auf Grund derer die Einstufung eines beaufsichtigten Unternehmens als bedeutend unter Berücksichtigung der Ziele und Grundsätze der SSM-Verordnung und insbesondere des Erfordernisses der Sicherstellung der kohärenten Anwendung hoher Aufsichtsstandards unangemessen ist.Die Klägerin stützte ihre Klage unter anderem auf einen Verstoß gegen die Verordnungen bei der Wahl der von der EZB angewandten Kriterien und einen Ermessensmissbrauch der EZB durch Nichtausübung ihres Ermessens. Dem Urteil kommt eine erhebliche Bedeutung zu, da es die Rechtsanwendung der Möglichkeiten der EZB-Handlungsweise erstmalig gerichtlich überprüft hat. Es war bisher ungeklärt, welche Maßstäbe an Anwendung und Auslegung von Begrifflichkeiten der streitgegenständlichen Verordnung zu legen sind. Als streitentscheidend ist die Anwendung und Auslegung des Begriffes “bedeutend” gemäß SSM-Verordnung gewesen. Sofern ein Institut “bedeutend” ist, fällt es unter die EZB-Aufsicht.Auf Grund der fehlenden Rechtsprechung wurde mit Spannung erwartet, wie der EuG die Auslegung dieser Begrifflichkeit klärt. Der EuG stellte klar, dass der Begriff “besondere Umstände” als Ausnahme der Regel eng auszulegen ist. Darüber hinaus hält das Gericht fest, dass es nicht nur auf die wörtliche und historische Auslegung ankommt, sondern auch auf die Zielsetzung und die Systematik der Regelung. Damit wird deutlich, dass der bestehende Auslegungskanon auch für diese Verordnungen gilt.Unabhängig von der Klärung der konkreten Rechtsfrage ist das Urteil daher von großer Tragweite, da es bisher noch keinerlei Rechtsprechung zu den Befreiungstatbeständen der SSM-Verordnung bzw. der SSM-Rahmenverordnung gegeben hat. Im Rahmen der Ermessensprüfung hat der EuG festgestellt, dass ein Organ, wenn ihm Ermessen eingeräumt wird, dieses in vollem Umfang ausüben muss. Daher muss der Urheber des Rechtsaktes in der Lage sein, vor Gericht zu belegen, dass er beim Erlass des Rechtsaktes sein Ermessen tatsächlich ausgeübt hat. Dies setzt voraus, dass alle erheblichen Faktoren und Umstände, die mit dem angegriffenen Rechtsakt geregelt werden sollten, berücksichtigt worden sind. Der EuG hat somit klargestellt, dass er Rechtsakte auf Grund der Verordnungen auch einer gerichtlichen Ermessensüberprüfung unterzieht. Auf Grund des Vortrages der Parteien wurden offensichtlich keine detaillierten Ermessensfehler vorgetragen, so dass nicht entschieden wurde, wie detailliert künftig geprüft wird. Entscheidungskompetenz?Interessanterweise wurde nicht der Frage nachgegangen, ob die Klage nicht bereits deshalb begründet sei, da die EZB gar nicht für die angegriffene Entscheidung zuständig sein könnte. Insoweit gibt es Stimmen, die bereits die rechtliche Zuständigkeit der EZB anzweifeln. Diese Stimmen stützen sich darauf, dass es bereits an einer europäischen Rechtssetzungskompetenz für die SSM-Rahmenverordnung fehlen könnte und folglich der EZB auf Grund der fehlenden Rechtsgrundlage keine Entscheidungskompetenz zukommen kann.Gegen die Entscheidung des EuG kann zwar noch Rechtsmittel beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) eingelegt werden, dies wäre aber auf die bloße Überprüfung von Rechtsfragen beschränkt. Unabhängig, ob Rechtsmittel eingelegt wird, ist festzuhalten: Durch das Urteil wurden die Maßstäbe der Anwendung der Verordnungen und die auf dieser Grundlage ergangene Entscheidung gerichtlich eingeordnet und damit Zweifelsfragen geklärt.—-*) Dr. Simon Grieser ist Partner von Reed Smith in Frankfurt