Im Zweifel für den Patienten

Europäischer Gerichtshof verschärft Produkthaftung

Im Zweifel für den Patienten

swa Frankfurt – Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in einem Urteil die Rechte von Patienten bei Schädigungen durch Arzneimittel gestärkt. Aus Sicht des Gerichts muss ein Arzneimittelhersteller haften, auch wenn Mängel des Produkts nur durch hinreichende Indizien und nicht durch einen ursächlichen Zusammenhang nachgewiesen werden können (C – 621/15).In dem Verfahren aus Frankreich geht es um einen inzwischen verstorbenen Mann, der nach einer Impfung gegen Hepatitis B mit einem Produkt von Sanofi Pasteur an multipler Sklerose erkrankt war. Der Betroffene und seine Familie hatten eine Schadenersatzklage gegen das Unternehmen eingereicht. Das Berufungsgericht in Paris (Cour d’appel de Paris) hatte die Klage abgewiesen und dargelegt, dass es keinen wissenschaftlichen Konsens gebe, auf den ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Impfung und der Erkrankung gestützt werden könne.Im Berufungsverfahren hatten Richter an den EuGH die Frage gestellt, ob sich der Kläger auch auf ernsthafte Indizien stützen könnte, um einen Produktfehler zu beweisen. Dabei hatte das Gericht auf den ausgezeichneten früheren Gesundheitszustand des Betroffenen hingewiesen, auf fehlende Vorerkrankungen in seiner Familie sowie auf den zeitlichen Zusammenhang zwischen Impfung und Auftreten der Beschwerden. Aus Sicht des EuGH war damit der Beweislast Genüge getan. Es sei ausreichend, wenn man auf Grundlage eines Bündels an übereinstimmenden Indizien mit hoher Wahrscheinlichkeit auf einen Fehler des Impfstoffs schließen könne, heißt es in der Pressemitteilung.Aus Sicht von Juristen erleichtert das EuGH-Urteil Klägern die Beweisführung in besonders komplexen Sachverhalten. “Betroffen sind insbesondere Haftungsfälle in der Pharma- und Biotechindustrie. Trotz intensiver Studien ist es in diesem Bereich häufig nicht abschließend absehbar, welche Auswirkungen ein Produkt auf den Anwender hat”, erklärt Piet Weinreich von der Kanzlei Osborne Clarke. Der EuGH stelle sich auf die Seite der Verbraucher und weiche das Prinzip “im Zweifel für den Angeklagten” ein Stück weit auf. “Liegen Indizien vor, die eine hohe Wahrscheinlichkeit begründen, genügt dies künftig, um einen Produkthaftungsanspruch geltend zu machen”, so Weinreich. Die Folgen dieser Beweislasterleichterung seien noch nicht absehbar. Doch insbesondere Branchen wie die Pharmaindustrie könnten aufgrund des Urteils häufiger in die Haftung genommen werden, meint der Anwalt.