Immobilienmarkt und Finanzierung
Der Immobilienmarkt kennt seit dem Jahr 2009 nur eine Richtung. Preise für Wohn- und Gewerbeimmobilien haben sich in den vergangenen acht Jahren rasant entwickelt und teilweise sogar verdoppelt. Gleichzeitig haben die Finanzierungszinsen ein historisch niedriges Niveau erreicht und erlauben es Investoren, auch hochpreisige Investitionen durch entsprechenden Fremdkapitaleinsatz noch so zu finanzieren, dass eine auf den ersten Blick ansprechende Verzinsung des eingesetzten Eigenkapitals erwirtschaftet werden kann.Allerdings stellt sich die Frage, ob diese so erwirtschaftete Eigenkapitalrendite tatsächlich nachhaltig sein kann und ob die mit einer Investitionsentscheidung verbundenen Risiken zurzeit angemessene Berücksichtigung finden. Hierzu werden zehn Thesen aufgestellt: 1. Dramatischer Liquiditätsüberhang im MarktDie Europäische Zentralbank “zerstört” mit ihrer langjährigen Niedrigzinspolitik sowie ihrem Aufkauf von Staats- und Unternehmensanleihen alternative Anlagemöglichkeiten außerhalb des Immobilienmarktes. Dies führt zu einem dramatischen Liquiditätsüberhang auf der Nachfrageseite, der die Immobilienpreise seit Jahren nach oben treibt.2. Immobilienwirtschaftliche Risiken nicht ausreichend verzinstDa Immobilieneigentümer mangels eigener alternativen Anlagemöglichkeiten ihrerseits immer weniger verkaufen, sinkt zudem das Angebot an qualitativ hochwertigen Investitionschancen. Die Immobilienpreise haben deshalb mittlerweile in weiten Teilen des Marktes ein Niveau erreicht, bei dem die immobilienwirtschaftlichen Risiken des einzelnen Investments keine ausreichende Berücksichtigung mehr finden. So werden beispielsweise Anschlussvermietungsrisiken, Kostenrisiken einer technischen und optischen Ertüchtigung von Mietflächen sowie Standortrisiken zur Legitimation einer Investitionsentscheidung in der ihr zugrunde liegenden Investitionsrechnung immer häufiger zu optimistisch betrachtet.Auch die faktisch seit Jahren rückläufigen wirtschaftlichen Nutzungsdauern der Objekte und damit einhergehende hohe Revitalisierungsanfordern werden tendenziell unterschätzt. 3. Korrelation von Immobilienwerten und Zinsniveau nimmt zuEs darf erwartet werden, dass im Fall steigender Zinsen die aktuell niedrigen Nettoanfangsrenditen eines Immobilieninvestments kaum mehr akzeptiert werden. Wenn und sobald der liquidere Anleihemarkt wieder Renditen von 2 % bis 3 % bei Staatsanleihen bzw. 3 % bis 5 % bei bonitätsstarken Unternehmensanleihen bieten wird, wird dies erheblichen Druck auf die Immobilienpreise entfalten – die aktuell hohe komparative Attraktivität von Immobilieninvestments wird rasch schwinden. Denn kein Investor kann bei geringerer Liquidität seines Immobilieninvestments eine schlechtere Verzinsung akzeptieren als bei einer liquideren Anlageoption, selbst wenn das der jeweiligen Anlage inhärente Risiko gleich sein sollte. Das allgemeine Preisniveau am Immobilienmarkt korreliert folglich immer stärker mit dem allgemeinen Niedrigzinsniveau. Negative Implikationen sind insbesondere ausgehend von Kursnotierungen praktisch aller Immobilien-AGs zu erwarten, da diese schneller auf Zinsschwankungen reagieren. 4. Rückzug alternativer Kapitalgeber im Fall der ZinswendeAuf der Nachfrageseite stehen aktuell nicht nur klassische Immobilieninvestoren, sondern in erheblichem Umfang Anleger, die sich nur zwangsweise dem Immobilienmarkt zuwenden, da sie mit anderen Zinsprodukten keine angemessene Rendite mehr erzielen. Diese Investorengruppen, – die nicht regelmäßig direkt in Immobilien investieren, sondern ihr Kapital via Immobilienfonds und Immobilienaktiengesellschaften allozieren – werden sich überwiegend aus dem Immobilienmarkt wieder zurückziehen, wenn eine renditeadäquate Investition in zinstragende Schuldtitel möglich sein wird. Neben dem durch eine Zinswende drohenden allgemeinen Druck auf die Immobilienwerte wird der Investmentmarkt durch den Rückzug alternativer Kapitalgeber belastet werden. 5. Der Theorie des “soft landing” fehlt wissenschaftliche GrundlageEinem in der Immobilienbranche immer wieder diskutierten “soft landing”, also einem bei verlangsamtem Zinsanstieg erst sukzessiven Abflauen des Investitionsklimas, fehlt jeder empirische Beweis. Fakt ist vielmehr, dass es zu keiner Phase des modernen Immobilienmarktes ein derart von makroökonomischen und makropolitischen Faktoren beeinflusstes Preisniveau gegeben hat. Da diese äußeren Faktoren die aktuellen Immobilienpreise stark subventionieren, kann nicht mit Sicherheit vorausgesagt werden, wie sich Investoren bei erkennbar nachhaltigem Zinsanstieg tatsächlich verhalten werden. Neben einem rationalen, das heißt bedachten und professionellen Rückzug aus dem Immobilienmarkt könnte es auch zu einer eher disruptiven Desinvestitionsphase kommen, die den Immobilienmarkt und seine Teilnehmer aufgrund sehr kurzfristig getroffener Verkaufsentscheidungen nachhaltig negativ beeinflusst. Wir wissen es nicht. 6. Notwendigkeit einer nachhaltigen FinanzierungsstrategieDie nachhaltige Sicherung eines Immobilieninvestments verlangt die Umsetzung einer vorausschauenden, die möglichen Folgen eines Zyklusendes bedenkenden Finanzierungsstrategie. Das bedeutet, dass ein zügiger Werteverfall der erworbenen Immobilien, ein schneller Zinsanstieg und eine Verknappung der Marktliquidität Berücksichtigung finden müssen, um auch nachhaltig handlungsfähig zu bleiben. Abhängig von der Bau-, Vermietungs- und Lagequalität des eigenen Immobilienportfolios müssen heutiger Verschuldungs- und Zinsdeckungsgrad entsprechend konservativ strukturiert sein, um den Anforderungen an eine vorausschauende Anlagestrategie zu genügen. Eine möglichst langfristige Fixzinsvereinbarung und starkes Assetmanagement zur Vermeidung von im Abschwung zu stark sinkenden Mieterlösen sind ebenfalls essenziell im aktuellen Marktumfeld. 7. Komplexität der Finanzierung verschärft den KrisenfallJe komplexer die Finanzierung im Einzelnen ausgestaltet ist, desto schwieriger ist deren Sanierung im Krisenfall. Investoren, die zur Finanzierung ihres Immobilienbestandes neben der klassischen Bankenfinanzierung das aktuell reichhaltige Angebot des Kapitalmarktes nutzen und diverse Anleihen mit eventuell noch unterschiedlichem Rang und ggf. unterschiedlichen Sicherheitenpools emittieren, müssen sich auf erhebliche Herausforderungen bei der Restrukturierung dieser komplexen Passivseite einstellen: Die Anonymität der Anleihegläubiger, komplexe rechtliche Vorgaben an die Änderung von Anleihebedingungen sowie bestimmte Investorengruppen, die es geradezu auf ein Scheitern der Sanierung anlegen, um im Wege der Insolvenz an das Vermögen der Gesellschaft zu gelangen, sind solche herausfordernden Faktoren. 8. Anleiheemission verlangt KapitalmarktfähigkeitDie Emission von Unternehmensanleihen verlangt den Unternehmen ein hohes Maß an Kapitalmarktorientierung ab. Rechnungslegung, Risikomanagement und Kapitalmarktkommunikation müssen den (internationalen) Anforderungen an den Kapitalmarkt genügen und ein hohes Maß an Transparenz aufweisen. Nicht börsennotierte Unternehmen sollten deshalb trotz vermeintlich guter Zinskonditionen den Kapitalmarkt via Emission von Unternehmensanleihen nur dann ansprechen, wenn sie bereit sind, sich entsprechend kapitalmarkttauglich aufzustellen. Professionelle Anleihegläubiger verzeihen im Umkehrschluss mangelnde Professionalität am Kapitalmarkt nicht, was den Druck auf das jeweilige Management erheblich erhöht. 9. Hohe Anforderungen an das RisikomanagementHistorisch hohe Immobilienpreise und entsprechend niedrige Refinanzierungszinsen verlangen ein vorausschauendes Risikomanagement. Unternehmen und deren Management müssen fortlaufend prüfen, welche zukünftigen Marktentwicklungen zu Verletzungen von Kreditverträgen oder Anleihebedingungen führen oder sogar zu einer bestandsgefährdenden Risikolage führen können. Dabei müssen die Inputdaten so gewählt werden, dass sie historische Immobilienpreise und historische Zinsniveaus zumindest als denkbares Szenario ebenfalls abbilden. Andernfalls verflacht der Aussagegehalt und bestätigt allenfalls den Status quo des aktuellen Immobilien- und Finanzierungsmarktes. In Zeiten eines sich fortlaufend verbessernden Marktumfeldes hatten die Risikomanagementsysteme der Unternehmen gegebenenfalls keine oder kaum Möglichkeiten, ihre Wirksamkeit unter Beweis zu stellen. Diese können und müssen sich in Zukunft in abkühlenden Märkten beweisen. 10. Das Geschäftsmodell muss krisenfest organisiert werdenMögliche Defizite des aktuellen Geschäftsmodells, die durch ein aussagekräftiges Risikomanagement identifiziert werden, müssen im aktuellen Marktumfeldes behoben werden. Denn der mit entsprechenden Adjustierungen verbundene “Anpassungsschmerz” wird mit einem sich eintrübenden Immobilien- und Finanzierungsumfeld exponentiell steigen. Insofern sollten heute die richtigen Antworten auf die richtigen Fragen gegeben werden, um nicht morgen Entschuldigungen für verpasste Chancen liefern zu müssen.—-Hans Volkert Volckens, Vorstand CA Immobilien Anlagen—-Sven Bienert, Geschäftsführer IREBS Institut für Immobilienwirtschaft, Universität Regensburg