„Immofinanz ist stark aus der Krise gekommen“
Herr Schönauer, die Akquisition des österreichischen Immobilienkonzerns S Immo ist abermals gescheitert. Was nun?
Vor zwei Jahren haben wir lange mit S Immo über einen Zusammenschluss verhandelt und machten Ende 2019 den Vorschlag, auf Basis des Nettovermögenswerts zu fusionieren, aber es kam keine Einigung zustande. Nach der Pandemie haben wir beschlossen, es erneut zu versuchen, und zwar auf dem Weg eines Übernahmeangebots. Die Reaktionen aus dem Markt waren sehr gut. Das Besondere in diesem Fall war und ist die in der Satzung von S Immo verankerte Höchststimmrechtsschwelle, die das Stimmrecht eines Aktionärs auf 15% beschränkt. Für deren Aufhebung ist eine Mehrheit von 75% des Aktienkapitals erforderlich – also mehr als für eine Übernahme. Bei dieser Abstimmung haben wir leider nur 61% erreicht. Daraufhin haben Vorstand und Aufsichtsrat beschlossen, das Übernahmeangebot nicht weiter zu verfolgen. Wir wollten keine stimmrechtslosen Aktien erwerben.
Wurden taktische Fehler gemacht? Schließlich lag der gebotene Preis um 9% unter dem Nettovermögenswert von S Immo.
Nein. Der Aktienmarkt ist davon ausgegangen, dass die Übernahmeofferte erfolgreich sein wird. Ansonsten wäre der Börsenkurs über den Angebotspreis von 22,25 Euro gestiegen, und es hätte Spekulationen gegeben, dass wir nachbessern müssen. Mehr als 60% des Aktienkapitals waren auf unserer Seite. Ohne Höchststimmrecht wäre das Übernahmeangebot locker durchgegangen.
Was soll nun mit dem Aktienpaket von 26,5% an S Immo geschehen?
Kurzfristig gibt es keinen Handlungsbedarf. Wir halten uns alle Optionen offen. S Immo ist eine ertragreiche Beteiligung, mit der wir sehr zufrieden sind. Das Unternehmen zahlt eine wunderbare Dividende. Ich vergleiche die Beteiligung gern mit dem Warsaw Spire, einem Bürohochhaus in Warschau, das wir 2019 erworben haben. Beide Assets haben etwa 390 Mill. Euro gekostet. Sie weisen ein ähnliches Ertragsprofil nach Steuern auf. Mit den S-Immo-Aktien erzielen wir eine Rendite wie mit einer Büroimmobilie. Insofern ist es kein großes Thema, Anteilseigner zu bleiben. Aktuell halten wir an dem Aktienpaket fest.
Warum ist das Interesse an S Immo so riesig?
Zwischen Immofinanz und S Immo gibt es große Überlappungen. Beide Unternehmen sind in den Assetklassen Büro und Einzelhandel investiert, und die geografische Verteilung überschneidet sich. Eine Zusammenführung brächte große Synergiepotenziale. Das hat S Immo in der Vergangenheit auch immer bestätigt. Zudem sind beide Gesellschaften auf der Kapitalseite bereits miteinander verflochten. Nicht nur ist Immofinanz größter S-Immo-Aktionär, sondern S Immo ist auch unser größter Anteilseigner mit 13,4%. Diese wechselseitige Verschränkung unterstützt die Wertschaffung, die bei einer Zusammenführung möglich wäre.
S Immo hat aber angekündigt, ihren Anteil an Immofinanz zu verkaufen.
Das ist korrekt. S Immo hat allerdings von einer wechselseitigen Entflechtung gesprochen. Dazu gehören immer zwei.
Hat Immofinanz Einfluss darauf, wo die von S Immo gehaltenen Aktien landen?
Nein. Das ist Entscheidung von S Immo.
Die Verantwortlichen beider Seiten haben sich während des Übernahmeringens ziemlich behackt. Wie ist momentan das Verhältnis?
Es gibt eine gute Gesprächsbasis. Auch während des Übernahmeangebots sind keine verhärteten Fronten entstanden. Selbstverständlich war es Aufgabe des S-Immo-Managements, für seine Aktionäre den Preis zu maximieren. Auf der anderen Seite müssen wir bestmöglich die Interessen unserer Anteilseigner vertreten. Das haben beide Seiten professionell gemacht. Daher wurde keinerlei Porzellan zerbrochen.
Eine andere Baustelle ist der Vorstand: Der CEO-Posten ist seit dem Rücktritt von Ronny Pecik Ende Juni vakant. Strebt Immofinanz eine Wiederbesetzung an?
Darauf kann ich keine Antwort geben. Das ist Angelegenheit des Aufsichtsrats.
Haben Sie Interesse?
Auch dazu sage ich nichts. Chief Operating Officer Dietmar Reindl und ich arbeiten seit Jahren zusammen. Wir sind ein eingespieltes Vorstandsteam. Wir haben das Unternehmen erfolgreich durch die Coronakrise geführt. Immofinanz verfügt über hohe Liquidität und kann kurzfristig stark wachsen. Im ersten Halbjahr hat das Unternehmen die besten Ergebnisse seit mehr als zehn Jahren erzielt. Trotz der Pandemie sind die Funds from Operations, der operative Ertrag aus der Vermietung, um fast 8% auf 64,4 Mill. Euro gestiegen. Immofinanz hat sogar bessere Ergebnisse erreicht als im Vorkrisenjahr 2019. Das unterstreicht die Managementleistung.
Das klingt so, als sollte man es bei dem jetzigen Vorstandsduo belassen.
Wie gesagt, das wird der Aufsichtsrat entscheiden.
Etwa 35% des Immobilienbestands entfallen auf den Einzelhandel, eine Branche, die seit Jahren an Boden verliert, weil immer mehr Menschen online bestellen. Wie trägt Immofinanz diesem Trend Rechnung?
Wir besetzen im Retail eine besondere Nische. Immofinanz ist mit dem Fachmarktkonzept Stop Shop Marktführer in Zentral- und Osteuropa. Die Retail Parks sind der tägliche Nahversorger in Sekundär- und Tertiärstädten. Diese Märkte sind kaum der Online-Konkurrenz ausgesetzt. In der Lehman-Krise und jetzt in der Pandemie haben sich die Fachmarktzentren als extrem krisenresistent erwiesen, ähnlich dem Segment Wohnimmobilien. Sie sind nicht vergleichbar mit High-Street-Retail oder großen Shoppingcentern in städtischen Metropolen. Die Fachmarktzentren haben schon jetzt das Niveau von 2019 wieder erreicht. Das Produkt wirft eine sehr attraktive Rendite von 8 bis 9% ab. Wo kann man das sonst erwirtschaften? Jetzt rollen wir das Konzept weiter aus, und unsere Mieter folgen uns dabei. Derzeit hat Immofinanz knapp 100 Fachmarktzentren in Zentral- und Osteuropa. Mittelfristig sollen es 140 werden. Momentan befinden sich einige größere Transaktionen in der Prüfung.
Wie hoch sind Pachtausfälle und -rückstände?
Immofinanz hat in der Krise partnerschaftliche Lösungen mit den Mietern gesucht. Für Zeiten der behördlichen Ladenschließung haben wir Reduktionen gewährt. Im ersten Halbjahr wurden die Mietforderungsabschreibungen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum aber bereits auf 9,4 Mill. Euro halbiert. Unmittelbar nach Wiedereröffnung sind Ladenumsätze und Besucherfrequenz der Fachmarktzentren wieder zurückgekommen.
Fließen die Mieten also wieder in voller Höhe?
Wir gehen davon aus, dass im Retailsegment nahezu keine Langfristauswirkungen der Pandemie zurückbleiben werden. Im zweiten Quartal wurden 82% der Vertragsmieten vereinnahmt. Es wurden etwa 9% an Nachlässen gewährt und weitere 9% gestundet.
Gibt es Leerstände durch Mieterinsolvenzen?
Nein. 98% der Stop-Shop-Flächen sind vermietet. Bei unserem zweiten Retailkonzept, den Vivo-Einkaufszentren, sind es 96%. Das entspricht nahezu einer Vollvermietung im Einzelhandelsbereich.
Wie sieht es bei Büroimmobilien aus?
Hier gibt es infolge der pandemiebedingten Rezession mit 10% mehr Leerstand. Der Vermietungsgrad liegt bei 90,3%, bis Jahresende erwarten wir eine Verbesserung auf 93%. Die Bürovermietung folgt dem allgemeinen Wirtschaftstrend, und zwar mit einem Zeitverzug. Daher dürfte die Pandemie den Gesamtmarkt in den nächsten eineinhalb, zwei Jahren noch beeinträchtigen. Immofinanz verfügt mit Myhive über ein modernes, flexibles Office-Konzept. Wir bieten den Kunden ein voll ausgestattetes Büro, das er schlüsselfertig beziehen kann. Myhive ist modular ausgelegt, so dass wir uns schnell auf Mieterbedürfnisse einstellen können. Gerade nach der Pandemie wollen viele Büromieter keine langfristigen Mietverträge eingehen. Die Kunden wollen Flexibilität.
Und sie benötigen weniger Fläche, weil viele Mitarbeiter zuhause arbeiten.
Aufgrund der Pandemie hat Homeoffice stark zugenommen. Je mehr die Mitarbeiter aber daheim sitzen, desto klarer wird, dass man über Videokonferenzen nicht kreativ arbeiten kann, dass der Teamspirit fehlt und dass man im Homeoffice keine jungen Mitarbeiter ausbilden kann. Homeoffice gab es schon vor Corona. Es wird immer Teil einer modernen Arbeitswelt sein, der Trend wird aber überbewertet.
Gibt es Synergien zwischen Büro- und Einzelhandelssegment?
Nein. Es geht um Diversifikation. Die zyklischen Profile unterscheiden sich – Office ist volatiler als Retail. Vorteile gibt es allenfalls insofern, als dass die Handelsketten auch den ein oder anderen Büro-Mietvertrag mit uns abschließen und wir in etlichen Bürogebäuden auch Retail im Erdgeschoss anbieten.
Immofinanz hat angekündigt, 1 Mrd. Euro in Projektentwicklung und Akquisitionen zu stecken. Was ist geplant?
Der Fokus liegt auf zwei Bereichen. Zum einen wollen wir das Myhive-Office-Konzept erweitern und in den Hauptstädten unserer Kernländer weitere Bürogebäude ankaufen. Diese Objekte sollten mindestens 10000 Quadratmeter groß sein, in guten zentralen Lagen liegen und für unser Konzept geeignet sein. Derzeit analysieren wir den Markt und bereiten Transaktionen vor. Zum anderen werden die Stop-Shop-Fachmarktzentren ausgebaut. Hier arbeiten wir an größeren Portfoliotransaktionen, um in den Kernmärkten weiter zu wachsen. Im Juli hat Immofinanz das erste Fachmarktzentrum in Italien gestartet, mittelfristig sollen es bis zu zehn in dem Land werden.
In welchem Zeitraum wird die Milliarde investiert?
Der größte Teil des geplanten Wachstums soll in den nächsten 24 Monaten umgesetzt werden. Diesen Zeitrahmen haben wir schon einmal geschafft, nämlich nach dem Verkauf der Beteiligung am Büroimmobilienkonzern CA Immo im Jahr 2018. Im Folgejahr wurde das Immobilienvermögen um mehr als 1 Mrd. Euro vergrößert.
Wie ist die Marktlage? Stößt man auf Schnäppchen?
Nein. Es gibt derzeit keine Notverkäufe, auch nicht bei Büroimmobilien.
Wie soll die Expansion finanziert werden?
Immofinanz ist stark aus der Krise gekommen und verfügt derzeit über 1 Mrd. Euro Cash. Daher werden die ersten Expansionsschritte mit Eigenmitteln finanziert. Später könnte Fremdkapital hinzukommen, was den Leverage erhöhen würde. Derzeit liegt die Netto-Verschuldung bei lediglich 38% des Immobilienvermögens.
Entspricht der Verschuldungsgrad dem angestrebten Niveau?
In einem normalen Marktumfeld, also ohne Pandemie, läge der Zielwert für den Netto-Loan-to-Value bei 45%. In den vergangenen Quartalen sind wir bewusst konservativer gefahren.
Das Rating bewegt sich mit „BBB−“ im untersten Investmentgrade. Strebt Immofinanz eine Hochstufung an?
Absolut. 2019 waren wir nah dran. Dann kam leider Corona in die Quere. Der nächste Schritt wäre „BBB“.
Bis wann soll die Hochstufung erreicht sein?
Dafür gibt es keinen Zeitrahmen.
Die Fremdfinanzierung besteht zu 60% aus Bankschulden und 40% aus Bonds und Wandelanleihen. Entspricht das der angestrebten Struktur?
Mittelfristig zielen wir auf ein ausgewogenes Verhältnis, also etwa 50:50. Es hat sich bewährt, bei beiden Komponenten gut aufgestellt zu sein. Momentan ist es aufgrund der hohen Liquidität nicht erforderlich, sich weiter zu verschulden. Falls weitere Fremdfinanzierungsschritte notwendig werden, kann es durchaus sein, dass sie auf dem Bondmarkt erfolgen.
Obwohl der durchschnittliche Zins für klassische Anleihen fast einen Prozentpunkt höher ist als für Bankkredite?
Das stimmt. Bankschulden sind momentan sehr günstig. Für ein Unternehmen unserer Größe und Dynamik es aber wichtig, auf der Kapitalseite gut ausbalanciert zu sein. Ich habe bei Immofinanz die Lehman-Krise miterlebt. Da konnte man sehen, was es bedeutet, wenn man allein von Banken abhängig ist.
Ist eine Kapitalerhöhung ein Thema?
Nein. Wir haben eine gute Bilanzstruktur und ausreichend flüssige Mittel. Der Fokus liegt darauf, die vorhandene Liquidität gewinnbringend zu investieren.
Die Pflichtwandelanleihe wird gerade in 6,9 Millionen eigene Aktien getauscht. Wollen Sie dieses Instrument weiter nutzen?
Der Pflichtwandler war der Corona-Pandemie geschuldet, um Eigenkapital zu generieren. Er wurde in sehr volatilem Marktumfeld platziert. In normalen Zeiten ist solch ein Instrument zu teuer. Die Pflichtwandelanleihe hatte einen Zinssatz von 4%.
Welche Rolle spielen normale Wandelanleihen? Das derzeit emittierte Papier läuft Januar 2024 aus.
Dieses Instrument haben wir in der Vergangenheit immer wieder genutzt. Man sollte es anwenden, wenn man hohes Wachstum plant und zuversichtlich ist, dass das Wachstum zu starken Gewinn- und Kurssteigerungen beiträgt. Eine Wandelanleihe ist aber ein zweischneidiges Schwert, weil man eine Verwässerung der bestehenden Aktionäre in Kauf nehmen muss. Daher werden wir das Instrument nur vorsichtig nutzen. Aktuell ist keine Emission einer Wandelanleihe geplant.
Gibt es Verkaufskandidaten im Immobilienbestand?
Das Portfolio umfasst 5,1 Mrd. Euro. Es muss zu einem gewissen Grad, vielleicht 5% im Jahr, gedreht werden, um es fit zu halten. Im ersten Halbjahr haben wir für 207 Mill. Euro Immobilien veräußert.
Nach welchen Maßstäben werden Verkaufskandidaten ausgewählt?
Die Kriterien haben mit der Portfoliostrategie und der Markenpolitik zu tun. Beispielsweise hat Immofinanz vier Objekte in Polen verkauft, weil sie nicht für das Myhive-Konzept geeignet waren. Es können auch Objekte sein, deren Wert stark gestiegen ist und deren Potenzial ausgereizt erscheint. Dann macht man Kasse.
Wie fällt der Ausblick für das Gesamtjahr aus?
Wir rechnen mit einer positiven Entwicklung im zweiten Halbjahr. Die Chancen stehen gut, dass es in diesem Winter keine harten Lockdowns mehr gibt, denn die meisten Länder weisen halbwegs gute Durchimpfungsraten auf. Das Retailgeschäft ist voll zurück, und auch für den Bürobereich sind wir zuversichtlich, wenngleich die Pandemie noch nachwirken kann. Viel spricht dafür, dass die Zinsen niedrig und Immobilien eine interessante Geldanlage bleiben. Das unterstützt die Bewertungsansätze unserer Immobilien. Alles in allem erwarten wir ein starkes Jahresergebnis.
In welcher Höhe?
Man muss vorsichtig bleiben. Aufgrund der Pandemie geben wir keine konkrete Guidance. Wir gehen davon aus, dass das Jahr ein gutes Ende nehmen wird. Das zeigt unser Dividendenvorschlag für 2020, der aufgrund des starken Halbjahresergebnisses von 0,55 auf 0,75 Euro erhöht wurde.
Wo wird Immofinanz in fünf Jahren stehen?
Ich hoffe, dass der Konzern dann einer der bedeutendsten Spieler auf dem Immobiliensektor in Zentral- und Osteuropa ist. Bei Fachmarktzentren sind wir bereits Marktführer. Diese Position wollen wir ausbauen. Mit dem flexiblen Myhive-Office-Produkt hat Immofinanz ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber der Konkurrenz. Auch in diesem Segment wollen wir stark wachsen. Jüngst haben wir eine spannende dritte Assetklasse eröffnet, nämlich leistbares und nachhaltiges Wohnen. Mit dem Top on Stop genannten Konzept werden eingeschossige Retail Parks der Marke Stop Shop überbaut, so dass preisgünstiger Wohnraum entsteht. Wir werden ökologisch verträglich bauen, in modularer Holzbauweise und mit klimaneutralem Energiekonzept durch Fotovoltaik, Geothermie und Wärmerückgewinnung. Top on Stop ist ein hervorragendes Produkt, das viele wichtige ESG-Kriterien erfüllt und mittelfristig großes Potenzial hat. Die ersten Pilotprojekte sind gestartet.
Wie hoch sind die Investitionen?
Wir planen, die Hälfte der bestehenden und künftigen Stop-Shop-Standorte zu überbauen. Das entspricht bis zu 600000 Quadratmeter Wohnfläche oder etwa 12000 Wohnungen. Der Bestand dürfte dann einen Wert von 1,5 Mrd. Euro haben. Das ist ein tolles organisches Wachstum. Welches Unternehmen hat die Möglichkeit, eine derartige Expansion ohne Zukauf neuer Flächen darstellen zu können?
Das Interview führte Helmut Kipp.