In der Autoindustrie rollt eine Pleitewelle an
Von Christoph Ruhkamp, FrankfurtDas beschleunigte Ende des Verbrennungsmotors und die jüngste konjunkturelle Eintrübung bringen viele Autozulieferer in finanzielle Schieflage. “In der Autoindustrie rollt eine Insolvenzwelle an”, sagte Rainer Langel, Europachef der australischen Investmentbank Macquarie und einer der erfahrensten Dealmaker in Deutschland, der Börsen-Zeitung. Viele Zulieferer verfügten nicht über genug Liquidität, um die Transformation hin zu neuen Antriebsformen zu finanzieren.”Die Banken haben ein sehr hohes Exposure in der Autoindustrie und sind daher sehr vorsichtig und in vielen Fällen nicht bereit, die fehlende Liquidität zur Verfügung zu stellen”, sagte Langel. “Es wird zu vielen Insolvenzen oder zur Treuhandlösungen in der Automobilzulieferindustrie kommen.” Bei solchen Treuhandlösungen schießen die Banken Geld nach für die Fortentwicklung des Unternehmens, knüpfen die Zahlung aber daran, dass präzise bestimmte Zwecke damit finanziert werden.Tatsächlich ist schon fast ein Dutzend Autozulieferer in der jüngsten Zeit in die Pleite gerutscht. Dazu zählen der Böblinger Felgenlackieranlagenhersteller Eisenmann Gruppe, der Bocholter Interieur-Textilienhersteller Borgers, der Kunststoffspezialist Schlemmer, Formenbau Züttlingen, Küpper Metallverarbeitung aus Velbert, der börsennotierte österreichische Aluminiumdruckguss-Komponentenhersteller HTI, Avir Guss und Weber Automotive sowie die Sihn GmbH aus Mühlacker.Auch nach Einschätzung der Gewerkschafter des IG-Metall-Bezirks Mitte stecken die Autoindustrie und ihre Zulieferer in einer schwierigen Situation. Man habe unter den Betrieben in den Ländern Hessen, Rheinland-Pfalz, Saarland und Thüringen 141 Krisenherde identifiziert, erklärte Bezirkschef Jörg Köhlinger in Frankfurt. “Das reicht von der Abmeldung von Leiharbeitern bis zur möglichen Insolvenz.” Insolvenzanwälte-KonjunkturInsolvenzverwalter haben bald Hochkonjunktur: “Wir registrieren im Markt schon eine Zunahme von Insolvenzen bei Autozulieferern”, sagt Holger Leichtle, Insolvenzverwalter in der Stuttgarter Niederlassung der Kanzlei Schultze & Braun – unter anderem bestellt als Verwalter in den Insolvenzverfahren SAM Automotive und JD Norman Deutschland sowie als vorläufiger Sachwalter bei MSR Technologies. “Das betrifft sowohl Tier-1- als auch Tier-2- oder Tier-3-Zulieferer.” Noch seien es vor allem hausgemachte Probleme und die Folgen globaler Themen wie der Handelskriege oder des Rückgangs der chinesischen Konjunktur, die bei den betroffenen Unternehmen zu einer Insolvenz führen.”Aber die Entwicklungen der Autoindustrie hin zu mehr Elektromobilität und die zunehmende Abkehr vom Diesel wird vermutlich insbesondere bei Zulieferern, die sich auf Teile des Antriebsstranges, des Abgassystems oder des Getriebes spezialisiert haben, vermehrt zu Schwierigkeiten führen”, sagt Leichtle.Im Jahr 2017 prognostizierte der Kreditversicherer Atradius: Der Wandel der Autoindustrie hin zu mehr elektrisch angetriebenen, digital vernetzten und mit leichteren Bauteilen ausgestatteten Modellen werde in den kommenden fünf Jahren die Zahlungsfähigkeit in einzelnen Zuliefererbereichen spürbar verschlechtern. Finanzielle Engpässe drohen demnach kleineren und mittleren Unternehmen, die hauptsächlich Getriebe sowie klassische Verbrennungsmotoren oder Komponenten hierfür herstellen, außerdem Metallverarbeitern und Anbietern von Bauteilen für Abgassysteme.Im September 2019 begann die Prognose einzutreten: “Die Krise der Automobilindustrie ist im Tagesgeschäft der Risikoabteilungen angekommen und lässt die Zahl der Zahlungsausfälle entlang der Wertschöpfungskette der gesamten Branche weiter steigen”, meldete Atradius. “Besonders große Unsicherheiten gehen aktuell von Geschäften mit Zulieferern und Autohändlern in Europa und China aus.” Das zeigte die Analyse “MarktMonitor Automotive 2019” von Atradius. Der Kreditversicherer rechnete damit, dass sich in den kommenden zwölf Monaten die Insolvenzen am stärksten in der britischen Automobilbranche erhöhen (+7 % gegenüber dem Vorjahreszeitraum), gefolgt von China.Die Autohersteller geben den Druck, den sie selbst verspüren – wie etwa Daimler -, “zu 110 % an die Zulieferer weiter”, formuliert ein Branchenkenner. Anschlussaufträge werden oft mit der Forderung nach Preissenkungen verknüpft.Oft sind die finanziellen Probleme der Pleitefirmen nicht ganz neu: Küpper Metallverarbeitung aus Velbert etwa hat zum dritten Mal Insolvenz angemeldet. Auch die schwäbische Schweizer Group, die Aluminiumdruckguss-Komponenten produziert, hat erneut Insolvenz angemeldet.”Vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen und steigenden Unsicherheiten schauen wir uns in der Risikoprüfung zunehmend auch die Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens an”, sagt Atradius-Manager Michael Karrenberg. “Diese wiederum hängt von seinem Geschäftsmodell und seinem Abnehmerportfolio ab. Frühestens in der zweiten Hälfte des Jahres 2020 sehen wir wieder eine Verbesserung des Zahlungsrisikos in der deutschen Metall-, Stahl- und Maschinenbaubranche.”