Industrie warnt vor Folgen von Gaslieferstopp
sp/Reuters/dpa-afx Berlin
Die Industrie begrüßt die Entscheidung des Bundeswirtschaftsministeriums, die Frühwarnstufe im Notfallplan Gas auszurufen, die angesichts drohender Versorgungsengpässe bei russischem Erdgas eine engere Koordinierung zwischen Behörden und Gasversorgern ermöglichen soll. Gleichzeitig warnten Vertreter der Wirtschaft am Mittwoch erneut eindringlich vor den wirtschaftlichen Folgen eines Lieferstopps für russisches Erdgas.
„Die Wirtschaft arbeitet bereits mit Hochdruck daran, wo es möglich ist, russisches Gas durch andere Brennstoffe wie Öl und Kohle zu ersetzen“, sagte Siegfried Russwurm, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie. Doch der Umstieg sei schwierig und brauche Zeit. „Bei umfassenden Lieferstörungen drohen Produktionsstopps mit unübersehbaren Folgen für Wachstum, Lieferketten und Beschäftigung“, sagte der BDI-Chef. Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), Peter Adrian, warnte vor „extremen wirtschaftlichen Folgen“ für den Fall eines Lieferstopps für russisches Gas. Bei einem Lieferstopp wären in erster Linie Unternehmen von Abschaltungen betroffen. Die besonders energieintensive chemische Industrie stellte einen „industriellen Flächenbrand“ in Deutschland in Aussicht. „Wenn unserer Industrie das Gas ausginge, müssten wir Produktionsanlagen herunterfahren“, erklärte der Chef des Verbands der Chemischen Industrie (VCI), Christian Kullmann, Chef von Evonik.
Die Ausrufung der Frühwarnstufe im dreistufigen Notfallplan Gas – erst in der dritten Stufe („Notfallstufe“) kommt es zu staatlichen Eingriffen im Markt und nötigenfalls zu eingeschränkter Versorgung in der Industrie – wurde von den Industrieverbänden dennoch begrüßt. Adrian sieht darin eine „verantwortungsvolle“ Maßnahme. Russwurm sprach von einem sinnvollen Schritt, der zeige, wie ernst es der Bundesregierung mit der Energieversorgungssicherheit sei. Die Aktivierung der Frühwarnstufe sei „ein wichtiges und richtiges Signal“, sagte Thilo Brodtmann, Hauptgeschäftsführer des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA).
Deutschlands größter Importeur von russischem Erdgas, Uniper, begrüßte die Ausrufung der Frühwarnstufe im Notfallplan Gas ebenfalls. „Es ist sinnvoll, die Frühwarnstufe in der jetzigen Situation auszurufen, um auf eine Eskalation vorbereitet zu sein, die niemand derzeit ausschließen kann“, erklärte das Energieunternehmen. Die Bundesregierung habe zusammen mit allen beteiligten Akteuren wichtige Vorbereitungen für diesen Fall getroffen. „Aktuell besteht kein Engpass bei der Gasversorgung“, betonte Uniper.
Der Energiekonzern Eon stellte sich ebenfalls an die Seite der Bundesregierung. „Wir unterstützen die Entscheidung“, sagte ein Unternehmenssprecher. Man müsse sich in der aktuellen Situation „vorausschauend und vorsorglich auf viele denkbare Szenarien vorbereiten“. Die Frühwarnstufe erleichtere die Koordinierung aller relevanten Marktakteure mit den verantwortlichen Stellen in Politik und Verwaltung.
Der Branchenverband Zukunft Gas bezeichnete die Ausrufung der Frühwarnstufe im Notfallplan Gas als „folgerichtigen Schritt“. „Die Forderung Russlands nach einer Bezahlung der Gasimporte nur noch in Rubel würde zu einem klaren Bruch der Lieferverträge führen“, sagte Vorstand Timm Kehler in Berlin. „Da sich die Unternehmen der Gaswirtschaft an die geltenden Verträge halten werden, besteht die Gefahr möglicher Liefereinschränkungen oder sogar Lieferausfälle“, sagte er mit Blick auf die Drohung aus Moskau, für Gaslieferungen nach Europa künftig nur noch Rubel zu akzeptieren. Diese Drohung schien der Kreml am Mittwoch leicht abzuschwächen. Das Präsidialamt teilte mit, dass die Zahlungen in Rubel nicht bereits ab Donnerstag erfolgen müssten, sondern schrittweise eingeführt werden sollen. Am Donnerstag trifft sich der russische Präsident Wladimir Putin mit Vertretern des russischen Gaskonzerns Gazprom und der russischen Notenbank.
Die Unternehmen der deutschen Gasbranche stellen bislang keine Beeinträchtigung der Lieferungen aus Russland fest, sagte Kehler in Berlin. Auch seien bei den Mitgliedsunternehmen des Verbandes noch keine offiziellen Schreiben der russischen Seite eingegangen, wie die Lieferbeziehungen künftig geregelt werden sollen. „Die deutschen Gasspeicher sind aktuell zu 26 % gefüllt und liegen damit innerhalb des Fünfjahreskorridors.“
Ersatzbeschaffung in Katar
Im Fall eines Stopps der russischen Gaslieferungen könnte aus Sicht des Bundesverbands Erdgas, Erdöl und Geoenergie (BVEG) nur mit Hilfe von verflüssigtem Erdgas (LNG) rasch Abhilfe geschaffen werden. „Die Kurzfristlösung für Erdgasversorgung in dem Szenario, dass wir kein russisches Erdgas bekommen, kann nur LNG sein“, sagte BVEG-Hauptgeschäftsführer Ludwig Möhring. Das könne auch Gas aus dem Emirat Katar sein, dem Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) erst vor wenigen Tagen seine Aufwartung machte. Dafür seien aber Weltmarktpreise zu zahlen und die Konkurrenz sei groß. „Machen wir uns nichts vor, auch andere Teile der Welt sind scharf auf LNG“, sagte Möhring.