SCHRITTMACHER IM GESUNDHEITSMARKT - IM INTERVIEW: MARCEL FRITSCH, BELLEVUE ASSET MANAGEMENT

Innovationen treiben Medizintechnik

Der Portfoliomanager über nachhaltige Wachstumstrends und Technologieschübe in der Branche

Innovationen treiben Medizintechnik

Die demografische Entwicklung, zunehmender Wohlstand und neue Technologien sorgen für stabile und wenig zyklische Wachstumsaussichten in der Medizintechnik. Mit der Digitalisierung entstehen neue Dienstleistungskonzepte und Kooperationen. Marcel Fritsch, Portfoliomanager des BB-Adamant-Medtech & Services-Fonds von Bellevue Asset Management, erläutert die Vorzüge der Branche aus Investorensicht und die Innovationstreiber in dem Geschäft.- Herr Fritsch, was macht die Medizintechnik spannend für Investoren?Wir verfolgen eine Medtech & Services-Anlagestrategie, deren Anlageuniversum den gesamten Gesundheitsmarkt ohne Medikamentenhersteller umfasst. Dies ist eine echte Anlagealternative für Investoren, die von den hervorragenden Fundamentalfaktoren des Gesundheitsmarktes profitieren möchten, aber die Entwicklungs-, Preis- und Patentablaufrisiken der Medikamentenindustrie scheuen.- Bietet die Pharmabranche aber nicht die Möglichkeit für höhere Renditen?Medtech & Services verfügt über eine einzigartig stabile, nicht zyklische Nachfragefunktion. Einerseits basiert diese auf nachhaltigen Wachstumstrends und andererseits auf dem Innovationsschub “Digital Health”. Medtech & Services weist ein nachhaltiges Umsatzwachstum von etwa 5 bis 6 % und ein Gewinnwachstum pro Aktie von 10 bis 11 % auf. Pharma verfügt im Vergleich über ein Umsatzwachstum von etwa 2 bis 3 % und ein Gewinnwachstum pro Aktie von 6 bis 7 %. Der Sektor Medtech & Services erzielte in den vergangenen fünf Jahren eine durchschnittliche Jahresrendite von 20 % bei einer Volatilität von 15 %.- Was sind die wesentlichen Treiber der Medtech-Unternehmen?Bei den Medizintechnikunternehmen sind es klar die Produktinnovationen und neue Dienstleistungsangebote, die das Umsatzwachstum treiben oder sogar beschleunigen und zu höheren Margen führen. Wachstum führt zusätzlich zu Skalenerträgen und zu soliden Cash-flows. Die operativen Cash-flows sind auch die Basis für Aktienrückkäufe und Akquisitionen.- Welche neuen Produkte setzen die Trends in dem Geschäft?Die meisten Innovationen sehen wir in den Bereichen Diabetestherapie, minimalinvasiver Herzklappenersatz- und -reparatur sowie Operationsrobotik. Edwards Lifesciences ist der führende Hersteller von Transkatheter-Aorten-Herzklappen. Dank des durchschlagenden Erfolgs von Transkatheter-Aortenklappen wuchs der Umsatz zwischen 2007 und 2016 durchschnittlich um 12 % pro Jahr. Der Aktienkurs entwickelte sich im selben Zeitraum doppelt so schnell und zwar um durchschnittlich plus 24 %.- Wie sieht es bei Dienstleistern aus?Bei den Gesundheitsdienstleistern sehen wir das größte Wertsteigerungspotenzial bei den US-Krankenversicherern. Die weitere Privatisierung des Krankenversicherungswesens und die Senkung der Behandlungskosten sehen wir hier als größte Werttreiber.- Was ist an herausragenden Innovationen in der Pipeline der Anbieter?Im Bereich minimalinvasiver Herzklappenersatz- und -reparatur gibt es mit den Mitral- und Trikuspidal-Herzklappen zwei Bereiche mit größtenteils ungedeckten klinischen Bedürfnissen. Wir schätzen das Marktpotenzial auf 5 Mrd. Dollar pro Bereich. Führend ist hier Edwards Lifesciences, wobei auch Medtronic und Boston Scientific Produkte in der Pipeline haben. Im Bereich Operationsrobotik sticht Intuitive Surgical als Marktführer bei der allgemeinen Chirurgie hervor. Das Unternehmen arbeitet derzeit an einem Diagnose- und Operationsroboter, mit dem Biopsien und Operationen an der Lunge durchgeführt werden können. Analysten schätzen das Marktpotenzial auf 6 Mrd. Dollar.- Wie verbreitet sind Digital-Health-Technologien?Digitale Technologien wie Sensoren, Smartphones, Cloud und Algorithmen sind die Wegbereiter für komplett neue Dienstleistungsangebote mit teilweise disruptivem Charakter. Sie werden das Gesundheitswesen in grundlegender Weise verändern. Aufgrund der starken Regulierung und der hohen Anforderungen an die Zuverlässigkeit verläuft die Verbreitung zwar langsamer als im Konsumbereich. Doch der Innovationskraft tut dies keinen Abbruch.- Nennen Sie ein paar Beispiele?Anwendungsbeispiele finden sich zum Beispiel in der Diabetestherapie, wo zu viel oder zu wenig Blutzucker einen Alarm auf dem Smartphone auslöst oder wo eine Unterzuckerung zwei Stunden im Voraus durch Algorithmen vorhergesagt werden kann. Algorithmen helfen den Krankenversicherungen, das Risiko einer Patientenpopulation besser einzuschätzen und Patienten effizienter zu betreuen.- Welche Unternehmen haben die Nase vorn?Etablierte Medizintechnikfirmen wie Philips, Medtronic, Intuitive Surgical und Baxter sind führend im klassischen Gesundheitswesen, das die Diagnose, die Behandlung und die Rehabilitation sowie die chronischen Krankheiten umfasst. Es gibt aber auch kleinere Firmen wie Dexcom und iRhythm Technologies, die vorne mit dabei sind. In den vor- und nachgelagerten Bereichen (Vorsorge, Wellness, “Ambient Living”) sind Konzerne wie Illumina, Apple und die Alphabet-Tochter Verily (Alphabet) tonangebend. Die großen Tech-Giganten haben meist Partnerschaften mit Medtech-Firmen. Bei den Gesundheitsdienstleistern stehen United Health und Cerner ganz oben.- Siemens will ihr Medizintechnikgeschäft Healthineers an die Börse bringen. Wie ist Ihre Einschätzung zu der Sparte?Die Entwicklung von Siemens Healthineers zum fokussierten Medizintechnik- und Laborgeräteanbieter kommt für uns nicht überraschend. Eine sehr ähnliche Entwicklung haben wir bereits bei Philips gesehen. Der Grund dafür liegt im sich verändernden Gesundheitsmarkt, wo es darum geht, die Diagnose- und Behandlungsqualität zu steigern.- Wie ist Healthineers hier positioniert?Im Bereich Diagnostic Imaging (CT, MR, X-Ray) ist Healthineers mit einem hervorragenden Produkte- und Dienstleistungsangebot Weltmarktführer. Sehr gut positioniert ist die Firma auch im Geschäftsfeld Advanced Therapies (Cathlabs, Angio Suites etc.), einem wichtigen Zukunftsmarkt. Bei den Ultraschallgeräten möchte das Unternehmen zum Beispiel im von Philips dominierten Herzultraschall Nummer 1 werden, was wir als schwierig einschätzen. Im sehr kompetitiven Laboratory & Point-of-Care-Diagnostics-Geschäft sind wir skeptisch, dass Healthineers eine schnelle Trendwende über die neue Laborplattform Atellica herbeiführen kann. Alles in allem schätzen wir Siemens Healthineers als solides Unternehmen ein.—-Das Interview führte Sabine Wadewitz.