CORPORATE GOVERNANCE

Investoren in die Pflicht genommen

Kapitalmarktteilnehmer wünschen intensiveren Dialog und fordern aktive Stimmrechtsausübung

Investoren in die Pflicht genommen

Investoren und Unternehmen sollten an einem Strang ziehen, doch die Interessenlage ist oftmals noch recht unterschiedlich. Aus Sicht von Kapitalmarktteilnehmern muss der Dialog zwischen beiden Seiten intensiviert werden. Investoren sind aber auch aufgerufen, ihre Pflichten als Eigentümer aktiver wahrzunehmen.Von Sabine Wadewitz, FrankfurtInvestoren und börsennotierte Unternehmen sind seit der Finanzmarktkrise regulatorischen Wellen ausgesetzt worden, um Verantwortung und Professionalität in der Corporate Governance zu stärken. Doch Akteure im Kapitalmarkt sehen immer noch Defizite im Selbstverständnis auf beiden Seiten, wie auf der Governance-Konferenz der Unternehmensberatung HKP Group in Frankfurt deutlich wurde. Dabei geht es um die adäquate Besetzung von Aufsichtsräten als Vertreter der Eigentümer, den Dialog zwischen Emittent und Anleger, aber auch um die Wahrnehmung der Stimmrechte in der Hauptversammlung.Stephan Sturm, Chef des Gesundheitskonzerns Fresenius und Aufsichtsrat der Lufthansa, wünscht sich mehr Ermessensspielraum in der Aufsichtsratstätigkeit und mehr Flexibilität in der Ausgestaltung eines regulierten Rahmens. In der Realität sieht der Manager jedoch die Tendenz, den Aufsichtsrat zu entmachten durch starrere regulatorische Vorgaben und die Übertragung von Rechten an die Hauptversammlung. Viele Investoren wollen das aus Sicht von Sturm gar nicht, “weil sie damit nicht umgehen können und wollen”. An der Machtverschiebung sind die Aufsichtsräte nach Einschätzung des Managers allerdings auch nicht ganz unbeteiligt. “Viele Aufsichtsräte haben zu lange ein Vakuum gelassen und sich nicht ausreichend legitimiert”, meint Sturm. Er hätte nichts dagegen, die Amtszeiten der Gremienmitglieder zu verkürzen, damit sich Aufsichtsräte in kürzeren Abständen zur Wahl stellen müssten. Die Unternehmen sollten zudem stärker mit ihren Anlegern in den Dialog treten, damit sie die Investorenerwartungen kennen. Dividende erst nach VotumAn die Aktionäre gerichtet rät Sturm, die Eigentümerpflichten stärker einzufordern. Er hält es für problematisch, dass mancher Fonds nicht gewillt ist, die Stimmrechte auf der Hauptversammlung aktiv auszuüben. Die wachsende Macht der Stimmrechtsberater hält er für ausgesprochen schwierig. “Es ist vornehmste Eigentümerpflicht, sein Stimmrecht bewusst auszuüben”, mahnt er. Um diese Praxis zu fördern schlägt Sturm vor, die Entgegennahme der Dividende an die Ausübung des Stimmrechts zu koppeln. Dafür wären zwar weitreichende gesetzliche Veränderungen notwendig, er halte seinen Vorschlag aber dennoch für überlegenswert.Auch Michael H. Kramarsch, Gründer und Managing Partner der HKP Group, sieht Mängel in der Wahrnehmung von Aktionärspflichten. Zahlreiche Fonds hätten keine aussagekräftigen Abstimmungsrichtlinien zum Beispiel für das Votum über die Vorstandsvergütung. Verantwortliches Investieren verlangt aus Sicht von Kramarsch jedoch, dass man seine Vorstellungen klar preisgibt, sein Abstimmungsverhalten veröffentlicht und sein Engagement in dem Prozess transparent macht. “Der Einfluss der Stimmrechtsberater ist das Versagen der Investoren”, resümiert der Berater.Aus Sicht von Hans-Christoph Hirt, Governance-Experte des britischen Fondsmanagers Hermes, fehlt es in Deutschland an allgemeinen Grundsätzen für die Verantwortung institutioneller Anleger in der Verwaltung ihres Portfolios. Hirt hält es für zielführend, hierzulande nach britischem Vorbild einen Stewardship Code einzuführen. “Unternehmen haben dann einen besseren Sparringspartner”, meint der Fondsvertreter. In der gerade veröffentlichten Neuauflage des britischen Stewardship Code gehe es nicht allein um die finanzielle Performance, sondern auch um Gesellschaft und Umwelt. Stewardship könne “ein Korrektiv für Unternehmen sein, die nicht nachhaltig agieren und nicht langfristig Wert schaffen”, meint er.Nach Meinung von Hirt geht es in der Finanzindustrie zu wenig um langfristige Wertschöpfung. Diese Zielsetzung werde wegen der teilweise extrem kurzen Anlagehorizonte nicht belohnt. Unternehmen wiederum sieht er gefordert, bewusster über die Themen Unternehmenszweck und langfristige Wertschöpfung zu informieren. Diese Punkte würden im Gespräch mit Investoren leider so gut wie keine Rolle spielen. Damit blieben fundamentale Fragen unbeantwortet. Beide Seiten müssten sicherstellen, dass “die Gesellschaft lebenswert bleibt”. Fondsmanager seien aufgerufen, in Unternehmen zu investieren, die diesem Anspruch gerecht werden, meint Hirt.Der Corporate-Governance-Experte Christian Strenger plädiert ebenfalls für einen Stewardship Code, zu dem sich alle Investoren erklären. Das müsse dann auch für Pensionskassen und Versicherer gelten. Strenger hält die Zurückhaltung der Marktaufsicht BaFin für “erstaunlich”. Die BaFin muss aus seiner Sicht darauf hinwirken, dass diese Adressen ihre treuhänderischen Pflichten wahrnehmen.