Japan will kräftig mitmischen
Über Jahrzehnte war Japan technologischer Vorreiter. Im Internet der Dinge hinkt das Land bislang allerdings hinterher. Regierung und Firmen bemühen sich, den Rückstand wettzumachen.mf Tokio – Das Internet der Dinge (IoT) fordert die japanische Elektronik- und IT-Industrie mehr heraus als jeder andere elektronische Hardware-Wandel der vergangenen Jahrzehnte. Denn erstmals ist dieser wichtige Stützpfeiler von Japans Wirtschaft weder der führende Produzent der Geräte, noch verfügen die Unternehmen über einen klaren Wissensvorsprung. Zudem war Japans Domäne immer die industrielle Herstellung. Doch im IoT-Bereich wird das meiste Geld voraussichtlich mit Dienstleistungen rund um die gewonnenen Daten verdient. Mit Service-Geschäften tun sich japanische Unternehmen jedoch traditionell schwer.Im Hardware-Bereich konnte Japan in der Vergangenheit jeweils die nächste digitale Innovationswelle anführen. 1988 waren NEC, Toshiba und Hitachi mit zusammen 51 % Marktanteil die weltgrößten Chiphersteller. In den neunziger Jahren dominierten Sony, Panasonic und Sharp den Markt für Bildschirme und Fernseher, bis die Konkurrenz technisch aufholte und billiger produzierte. Großer Rückstand auf BoschIn den Jahren danach wandelten sich viele Endgeräte-Hersteller zu industriellen Zulieferern. Beim Siegeszug der Smartphones ist Japan schon nicht mehr mit dabei. Immerhin stammen zahllose ihrer Hochleistungsbauteile noch von Nippon-Herstellern wie Murata, Rohm und Kyocera. Doch bei den MEMS-Mikrosystemen (Sensoren mit Steuerung) liegen japanische Produzenten wie Panasonic und Denso weit hinter Marktführer Bosch zurück. Die MEMS gehören neben Sensoren zu den wichtigsten Elementen des IoT, auch wenn sie nach Ansicht von Analysten weiter schrumpfen müssen.Aus heutiger Sicht hat Japan das IoT-Rennen wegen der Vielfältigkeit der Anwendungen zwar noch nicht verloren. Immerhin gehört der führende Designer für die Prozessoren von mobilen Geräten, die britische ARM, seit dem Sommer 2016 zur japanischen Softbank-Gruppe. CEO Masayoshi Son setzt darauf, dass von ARM designte Chips das Internet der Dinge so beherrschen werden wie jetzt Smartphones und Tablets. Aber sicher ist das keineswegs. Auch TDK hat die Zeichen der Zeit erkannt: Durch die Übernahmen von Micronas (2015) und Invensense (2017) rückten die Japaner in der Rangliste der Sensorspezialisten nach vorne. Weitere japanische Akquisitionen sind wahrscheinlich, um die Aufholjagd abzukürzen.Doch der japanische Regierungsberater William Saito befürchtet, dass sich Japan nur auf die IoT-Hardware mit operativen Margen im niedrigen einstelligen Bereich konzentrieren könnte. Das Geld werde jedoch mit IoT-Systemen und -Plattformen verdient, meint Saito. Bei solchen Innovationen sei Japan jedoch nicht gut. Galapagos-Effekt befürchtetAndere Experten fürchten den Galapagos-Effekt: Damit ist gemeint, dass die Industrie zwar für Japan exzellente Lösungen findet, diese jedoch nicht universell einsetzbar sind. So geschah es bei japanischen Mobiltelefonen, die schon lange vor dem ersten iPhone von Apple technische Höchstleistungen boten, aber zu sehr an japanische Besonderheiten angepasst waren, um sich exportieren zu lassen.Allerdings sorgt diesmal der japanische Staat für Innovationsdruck. Die Regierung in Tokio setzt stark auf Automatisierung, um trotz schrumpfender Erwerbsbevölkerung die Produktivität zu steigern. Dafür benutzt Premierminister Shinzo Abe das Schlagwort “Gesellschaft 5.0”, in der alle Menschen und Dinge vernetzt seien. Das Anfang Juni veröffentlichte Weißbuch für das produzierende Gewerbe fordert die japanische Industrie auf, IoT und andere Spitzentechnologien schnell einzusetzen. Ansonsten lasse sich keine Produktion aus dem Ausland nach Japan zurückholen, warnte das Industrie- und Wirtschaftsministerium METI. Den drohenden Rückstand in diesem Bereich versucht Japan auch durch eine Kooperation mit Deutschland zu verhindern. Anlässlich der Computermesse Cebit im März unterzeichneten beide Länder die “Hannover-Erklärung”, um gemeinsame Standards für das Internet der Dinge und die Fahrzeuge der nächsten Generation zu erarbeiten. Dabei geht es um Forschung und Entwicklung, Deregulierung und Cybersicherheit. Das Bündnis soll eigene Normen in internationalen Gremien wie der “International Organization for Standardization” gegen die USA und China durchsetzen.Im Industriebereich dürfte Japan vorerst wettbewerbsfähig bleiben. Effiziente Fabrikproduktion war schon immer eine japanische Domäne. Aber die kommende Vernetzung bedeutet, dass die Hersteller ihre Systeme nach außen öffnen müssen. Das erfordert sowohl eine technische Umrüstung als auch den Abschied vom alten Gruppendenken.Zu den Vorreitern des Wandels zählt Fanuc, einer der größten Industrieroboter-Hersteller der Welt. Auf der “Japan International Machine Tool Fair” im November vernetzte Fanuc 250 Maschinen an 80 Ständen von japanischen Unternehmen und demonstrierte damit die Leistungsfähigkeit seiner neuen Plattform “Fanuc Intelligent Edge Link and Drive” (FIELD). Mit dieser Steuerungsplattform können Firmen auch kleine Aufträge effizient erledigen. Kooperation mit CiscoBei dem anderen Projekt “Zero Down Management” arbeitet Fanuc mit Cisco zusammen. Sensoren an Fanuc-Lackierrobotern für Autos messen alle 90 Sekunden den Zustand von Gelenken, Motor, Schweißpistolen und Stromverbrauch. Mit Hilfe der gewonnenen Daten kann man die Maschine vorbeugend warten und einen teuren Stillstand vermeiden.Auch Mitsubishi Electric dürfte ein wichtiger IoT-Player aus Japan werden. Das Unternehmen produziert eine breite Palette von elektrischen und elektronischen Produkten und Systemen und will deren Nutzwert über Vernetzung (IoT) und künstliche Intelligenz steigern. Forschungs- und Entwicklungschef Masahiro Fujita ist zuversichtlich, dass Japan auch bei der totalen Digitalisierung vorne bleiben wird (siehe Interview auf dieser Seite).—-Zuletzt erschienen:- Die neue Intelligenz der Städte (27.6.2017)- Wal-Mart und Amazon erweitern die Kampfzone (23.6.2017)- Die Netze stehen, das Geschäft fehlt noch (22.6.2017)