Jetzt kommt die Kohlekommission

Die "Groko"-Unterhändler wollen sich dem Klimaziel für 2020 zumindest nähern - Betroffen sind vor allem RWE und Uniper

Jetzt kommt die Kohlekommission

Deutschland wird das Klimaziel von 40 % weniger CO2 bis 2020 nicht erreichen, soll ihm aber näher kommen, als derzeit möglich scheint. Deshalb wollen die Unterhändler der großen Koalition den Kohleausstieg zumindest langfristig in die Wege leiten, wie aus einem Sondierungspapier hervorgeht. Am stärksten betroffen ist RWE mit 12 von insgesamt 49 Gigawatt Steinkohle und Braunkohle in Deutschland.Von Christoph Ruhkamp, DüsseldorfBei ihren Sondierungen für eine Regierungsbildung haben sich CDU, CSU und SPD in der Energiepolitik darauf geeinigt, dass Deutschland sich weiterhin zu den beschlossenen Klimaschutzzielen bekennt. Das geht aus einem Papier der Sondierer hervor, das der Börsen-Zeitung vorliegt und einen Zwischenstand wiedergibt. Demnach bleiben die Ziele einer Senkung der CO2-Emissionen bis 2020 um 40 % und bis 2030 um mindestens 55 % sowie das langfristige Ziel einer weitgehenden Treibhausgasneutralität zur Mitte des Jahrhunderts bestehen.”Anders als für 2020 ist das 2030er Ziel auch europarechtlich und durch das Pariser Klimaabkommen völkerrechtlich geprägt”, heißt es im Papier. Das kurzfristige Ziel für 2020 werde “aus heutiger Sicht” zwar nicht erreicht, aber: “Wir werden ein Maßnahmenpaket vereinbaren, mit dem die Lücke so weit wie möglich geschlossen und das Ziel am Anfang der 2020er Jahre erreicht wird.” 5 bis 7 Gigawatt sollen wegAm stärksten betroffen von dem Maßnahmenpaket wären die Kraftwerksbetreiber RWE und Uniper. Die letztlich gescheiterte Jamaika-Koalition hatte die Schließung von Kohlekraftwerken mit einer Kapazität von 7 Gigawatt geplant. Allzu stark beunruhigt hatte das die Branche nicht: “Es ist verantwortbar, in einem Mix aus Braun-und Steinkohle weitere 5 Gigawatt gegen Entschädigung im Jahr 2020 vom Netz zu nehmen”, schrieben BDEW-Verbandspräsident Johannes Kempmann (Grüne) und BDEW-Hauptgeschäftsführer Stefan Kapferer (FDP).Ein schärferes Vorgehen der großen Koalition gegen die Kraftwerkskonzerne erscheint unwahrscheinlich. Über das “Maßnahmenpaket” heißt es in dem Sondierungspapier: Es solle damit auch das Minderungsziel 2030 unter Beachtung des “Zieldreiecks Sauberkeit, Versorgungssicherheit und Wirtschaftlichkeit ohne Strukturbrüche” erreicht werden. Ökostrom-ExtraausbauNach der staatlichen Atomkommission, die die Finanzierung der Endlagerung des Strahlenmülls sicherte, kommt nun die Kohlekommission: “Wir werden eine Kommission ,Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung` unter Einbeziehung der unterschiedlichen Akteure aus Politik, Wirtschaft, Umweltverbänden, Gewerkschaften sowie betroffene Länder und Regionen einsetzen, die bis Ende 2018 ein Aktionsprogramm erarbeiten soll.”Sie soll Maßnahmen bestimmen, um die Lücke zur Erreichung des 40 %-Reduktionsziels bis 2020 so weit wie möglich zu reduzieren sowie Maßnahmen, die das 2030-Ziel für den Energiesektor zuverlässig erreichen lassen – einschließlich einer umfassenden Folgenabschätzung.Für 2030 peilen die Sondierer einen Ökostromanteil von 65 % am Stromverbrauch an – bisher waren 50 % das Ziel. Vorgesehen ist eine Ökostrom-Sonderausschreibung, die 8 bis 10 Mill. Tonnen CO2 zum Klimaschutzziel 2020 beitragen soll. Hier sollen je 4 Gigawatt Onshore-Windenergie und Fotovoltaik sowie ein Offshore-Windenergiebeitrag zugebaut werden, je zur Hälfte wirksam 2019 und 2020.Außerdem soll die Kommission einen “Plan zur schrittweisen Reduzierung und Beendigung der Kohleverstromung einschließlich eines Abschlussdatums und der notwendigen rechtlichen, wirtschaftlichen, sozialen (…) Begleitmaßnahmen” und “die finanzielle Absicherung für den notwendigen Strukturwandel in den betroffenen Regionen und einen Fonds für Strukturwandel aus Mitteln des Bundes” erarbeiten. 49 Gigawatt Kohle insgesamtIn Deutschland sind 28 Gigawatt Steinkohle und 21 Gigawatt Braunkohle installiert, die 40 % des Stroms liefern. Betroffen vom Kohleausstieg wären vor allem RWE und Uniper: RWE betreibt an sieben Standorten in Deutschland Stein- oder Braunkohlekraftwerke mit einer Kapazität von insgesamt mehr als 12 Gigawatt – rund 60 % vom Gesamtportfolio. “Bei einem kurzfristigen Ausstieg aus der Kohle wäre die Versorgungssicherheit nicht mehr zu gewährleisten”, sagte RWE-Finanzvorstand Markus Krebber. Etwas weniger bedrohlich wäre der Kohleausstieg für Uniper: Der von Eon abgespaltene Konzern verfügt in Deutschland über 3,4 Gigawatt Kohleleistung – ein Drittel der hiesigen Kapazität des Konzerns. Dazu gehören sieben Steinkohle- und ein Braunkohlekraftwerk. 2018 soll das Steinkohlekraftwerk Datteln 4 ans Netz – voraussichtlich das letzte neu gebaute Kohlekraftwerk in Deutschland.Nicht nur beim Kohleausstieg, auch an anderer Stelle soll offenbar mit viel Staatsgeld gearbeitet werden: “Wir werden die Finanzierung der Energiewende überprüfen und neu justieren. Vornehmlich geht es bei der Überprüfung um eine Reduzierung des Staatsanteils an den Stromkosten (insbesondere durch Absenkung der Stromsteuer/Stabilisierung der EEG-Umlage durch einen Kappungsfonds)”, heißt es im Sondierungspapier. Ein paralleles Vorgehen soll für den Verkehr und den Bausektor erfolgen. “Auf dieser Grundlage wollen wir ein Gesetz verabschieden, das die Einhaltung der Klimaschutzziele 2030 gewährleistet. Wir werden die rechtlich verbindliche Umsetzung im Jahr 2019 verabschieden”, heißt es im Papier.Union und FDP wollten in den Jamaika-Verhandlungen 3 bis 5 Gigawatt Kohlekapazität bis 2020 herausnehmen – deutlich weniger als die Grünen mit 8 bis 10 Gigawatt. Inwieweit es sich um Braunkohle oder Steinkohle handelt, ist offen. Darauf kommt es für das Klima aber an.Bei der Bundesnetzagentur sind ohnehin Kohlekraftwerke mit einer Kapazität von 9 Gigawatt zur Stilllegung angemeldet. Rund 3 Gigawatt davon gelten allerdings als systemrelevant und dürfen nach Einspruch der Netzagentur vielleicht gar nicht stillgelegt werden. Andererseits erklärte die Netzagentur, dass Stilllegungen in der diskutierten Größenordnung kein Problem für die Netzstabilität darstellen – ebenso wenig wie für die Versorgungssicherheit. Entschädigung inklusiveNoch unter Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) wurde vereinbart, dass RWE, Leag und Mibrag seit 2016 für die schrittweise Abschaltung von acht besonders klimaschädlichen Kohlekraftwerken mit 2,7 Gigawatt Leistung mindestens 1,6 Mrd. Euro erhalten. Deshalb dürfte es für die Unterhändler der großen Koalition schwierig werden, bei weiteren Stilllegungen von dem Entschädigungsmodell abzuweichen. Entsprechend bleiben die Investoren einigermaßen gelassen: Der Kurs der RWE-Aktie reagierte am Donnerstag mit einem Minus von zeitweise 1,8 % auf 17,39 Euro. Binnen zwei Monaten hat sich der Börsenwert des Konzerns um ein Viertel auf 10 Mrd. Euro verringert.