Venture Capital

„Jetzt sind wir alle ein bisschen vorsichtiger geworden“

Headline-Manager Christian Miele registriert vor allem bei jungen Start-ups nur geringe Bewertungsabschläge. Ein Grund dafür sei, dass sich inzwischen neben Wagniskapitalgebern auch Private Equity und Hedgefonds in der Szene tummeln. Headline setzt bei der Investmentsuche inzwischen auch Künstliche Intelligenz ein. Im schwierigen Umfeld dieses Jahres wurden bisher vier Frühphasen-Investments abgeschlossen.

„Jetzt sind wir alle ein bisschen vorsichtiger geworden“

Herr Miele, Sie wollen zum Jahresende den Stab beim Start-up-Verband weitergeben, Zeit für ein kleines Resümee also: was wurde unter Ihrer Führung bei den Rahmenbedingungen für junge Unternehmen in Deutschland erreicht und wo klemmt’s noch?

Zunächst einmal muss man ja sagen, dass wir es geschafft haben, innerhalb einer wirklich ganz, ganz schwierigen Zeit trotzdem mit der Bundesregierung so eng zusammenzuarbeiten, dass die Start-up-Strategie überhaupt ihren Weg in den Koalitionsvertrag geschafft hat. Wir sehen große Fortschritte beim Thema Fachkräfte-Einwanderungsgesetz und auch bei dem für uns ja so relevanten Thema der Mitarbeiterbeteiligung.

Die soll ja unter anderem auch im Zukunftsfinanzierungsgesetz geregelt werden. Wie geht das aus Ihrer Sicht voran?

Es soll immerhin noch vor der Sommerpause ins Parlament eingebracht werden. Das sieht also aktuell gut aus. Insofern sind bei ganz wichtigen Themen für uns große Fortschritte gemacht worden. Dennoch gibt es viele Themen, bei denen wir noch tiefer reingehen müssen, zum Beispiel das Thema Talente und auch Finanzierungsbedingungen.

Sie werden sich künftig wieder stärker Ihrer Hauptaufgabe als Partner bei Headline widmen. Wenn Sie das aktuelle Umfeld beurteilen sollen, ist das jetzt eigentlich eher eine leichte oder eine schwierige Zeit für die Wagniskapitalgeber?

Wir sind in der komfortablen Situation, dass wir unsere letzten Fonds, einschließlich unseres europäischen EU VII-Fonds, im vergangenen Jahr eingesammelt haben. Das bedeutet also, dass wir keine frischen Mittel aufnehmen müssen. Ich könnte mir vorstellen, dass jetzt gerade für Fonds, die noch nicht über einen so langen Track Record verfügen wie Headline, durchaus das Umfeld schwieriger geworden ist. Viele der Investoren, die Risikokapitalfonds unterstützen, wie institutionelle Anleger und Family Offices, überdenken ihre Allokationskriterien, auch aufgrund der steigenden
Zinsen.

Welches Volumen hat denn der Fonds final erreicht?

Wir hatten im Sommer 2022 knapp 1 Mrd. Euro eingeworben. Sie verteilen sich auf insgesamt drei verschiedene, getrennt verwaltete Frühphasen-Fonds: einen paneuropäischen mit einem Volumen von 320 Mio. Euro, einen auf Nordamerika fokussierten Fonds in Höhe von 408 Mill. Dollar, und einen auf Lateinamerika ausgerichteten Fonds in Höhe von 915 Mill. R$.

Wie lange haben Sie die Investments im Durchschnitt zuletzt gehalten?

Die Fondslaufzeit ist festgelegt auf zehn Jahre. Mit diesem Fonds wollen wir innerhalb von 3 bis 4 Jahren das Portfolio aufbauen. Das sind dann so zwischen 25 und 35 Investitionen pro Fonds. Wir bilden darüber hinaus auch gewisse Reserven: Wir geben nicht das ganze Geld aus, sondern in etwa die Hälfte, die andere Hälfte benutzen wir, um unsere jeweiligen Anteile in diesen Unternehmen dann auch langfristig in den Follow-on-Investmentrunden zu sichern. Wenn ein neuer Investor kommt, haben wir vertraglich das Recht, unsere Position innerhalb des Gesellschafterkreises zu verteidigen. Dazu brauchen wir dieses Kapital.

M&A gibt es derzeit kaum. Was heißt das konkret für das Investment aus dem neuen Fonds?

Wir beobachten schon, dass in dieser etwas heißeren Phase 2021 schneller investiert wurde, weil so viel günstigeres Geld verfügbar war und es so viel Dealflow gab. Jetzt sind wir alle ein bisschen vorsichtiger geworden. Ich glaube, das ist ein weltweiter Trend, dass erstmal beobachtet wird.

Wo pendeln sich denn die Preise und Bewertungen der Start-ups wieder ein? Eigentlich könnte man auch denken, dass jetzt für Wagniskapital die Phase der Schnäppchenjagd lockt. Stimmt das also nicht?

Die besten Firmen, summa summarum diese Top 10% an Unternehmen da draußen, die sind weiterhin so bewertet wie noch vor zwei Jahren, und zwar aus dem ganz einfachen Grund, dass es immer noch unglaublich viel Kapital im Markt gibt. Das Dry Powder für Venture Capital beläuft sich auf rund 500 Mrd. Dollar. Das ist eine Menge Geld.

Und das konzentriert sich auf diese Top 10?

Ein knappes Angebot trifft weiterhin auf eine hohe Nachfrage, so dass die Bewertungen weiter hoch bleiben. Wir sehen zwar kleine Abschläge, aber lange nicht so deutlich, wie wir das alle erwartet hatten. Nachdem im vergangenen Jahr der Aktienmarkt bei Techwerten um bis zu 80% abgesackt ist, dachten wir, das werde auf die Private Markets durchschlagen. Aber das ist nicht eingetreten. In frühphasigen Unternehmen sehen wir vielleicht mal so 10% bis 20% Discount, aber nicht in Ansätzen das, was bei den Public Markets zu sehen war.

Headline ist fokussiert auf Frühphasen und Growth. Wie sind da so die Los­größen?

Wir investieren in der Frühphase 500.000 Euro bis 10 Mill. Euro und dann in der Growth-Phase so bis zu 40 bis 50 Mill. Euro.

Wenn Sie sagen, die Bewertungen sind deutlich weniger zurückgefallen als anfangs erwartet, liegt das auch daran, dass viele große Private-Equity-Fonds Growth-Vehikel aufgelegt haben und mit Dry Powder in angestammte Bereiche von Wagniskapital drängen?

Sie haben insofern recht, als dass wir uns jetzt in einer Situation befinden, die andere Finanzmarktakteure schon früher getroffen hat, nämlich die Notwendigkeit, sich mit dem eigenen „Angebot“ aus der Masse abzuheben und auf diese Weise bei den interessanten Firmen mit einem Investment zum Zuge zu kommen. Gerade bei frühphasigen Unternehmen, bei denen wir uns engagieren, sind auch die Erwartungen unserer Investoren enorm hoch. Da werden locker über 20 bis 30% angesetzt. Wir konnten das in der Vergangenheit mit unserem Track Record zeigen, indem wir den richtigen Investmentmix geschafft haben: Als Faustformel kann man ja sagen, von zehn Firmen gehen fünf pleite, drei dümpeln irgendwie so bei einer schwarzen Null, und zwei kleine gehen durch die Decke und kompensieren damit das also für den gesamten Return.

Und um diese seltene Spezies tummeln sich jetzt immer mehr Geldgeber?

Wer möchte nicht auch einmal das 1.000-Fache aus einem Investment herausholen oder 30% Rendite binnen zehn Jahren? Tatsächlich dringen viele in dieses VC-Segment vor: also auch die großen Private Equity Fonds, die Hedgefonds, die Crossovers … das ist auch ein Grund, warum die Bewertungen nicht so abgesackt sind, wie man dachte.

Sie haben gerade einen Anteil an Blinkist verkauft. Wie war da die Bewertung?

Das kann ich nicht sagen. Blinkist war jedenfalls „seines Glückes Schmied“ und schloss sich mit Go1 zusammen, weil es eine fantastische Gelegenheit dazu gab, die nichts mit dem Abschwung in der Tech-Branche zu tun hatte. Wir sind gerade auf diese Transaktion besonders stolz, denn sie zeigt, dass wir in solchen Zeiten, in denen M&A und IPOs eigentlich überhaupt nicht stattfinden, in der Lage sind, Liquidität zu beschaffen. Das ist, glaube ich, auch gerade jetzt das Signal an unsere Investoren.

Also, wie differenziert sich Headline als Investor?

Differenzierung ist möglich über Spezialisierung, aber vor allem auch über Professionalisierung. Wir sehen im Venture-Capital-Bereich gerade eine absolute Professionalisierung entlang der gesamten Wertschöpfungskette dessen, was wir tun. Jeder einzelne Stein bei der Risikokapitalanlage wird umgedreht und alles wird professionalisiert. Headline ist auf dem Weg zu einem der wenigen wirklich global tätigen und Multi-Stage-Risikokapitalgeber. Wir arbeiten einfach sehr hart, und das mit langem Atem. Wenn alle gleich schnell laufen können, ist der der Marathonsieger, der bis zum Ende durchhält.

Was ist denn hier das Ende des Marathons, der Einstieg oder letztlich der Ausstieg?

Zunächst der Einstieg: Ein großer Vorteil für uns ist dabei, dass wir ein internationaler Fonds sind. Wir haben ja Büros auf der ganzen Welt und damit Einblicke in Märkte, die anderen nicht zur Verfügung stehen, wenn man um ein Investment kämpft. Außerdem haben wir schon vor 15 Jahren angefangen, in eigene Software Tools zu investieren. Wir benutzen also selber entwickelte Software und auch künstliche Intelligenz (KI), die Sie nirgendwo kaufen können und die uns dabei helfen, Kandidaten für ein Investment zu identifizieren. Wir sind damit einfach oft einen Schritt schneller.

Früher an der Tür oder auch am Tisch?

Wir klingeln früher an der Tür, aber wir wissen auch schneller, welche Möglichkeiten eine Firma bietet, können also früher ein Konzept vorlegen. Dabei hilft uns auch, dass wir früh ein sehr diversifiziertes Netzwerk aufgebaut haben, nicht nur institutionelle Investoren, sondern auch Familienunternehmer und Konzernvertreter. Die Otto Gruppe vertreten durch Michael Otto berät uns ebenso wie etwa Lutz Meschke, der stellvertretende Vorstandsvorsitzende von Porsche, der Board-Mitglied bei uns ist. So können wir schnell eine Einschätzung zu einer jungen Firma bekommen.

Gibt es denn derzeit überhaupt – von Ausnahmen wie Blinkist abgesehen – eine nennenswerte Deal-Aktivität?

Sie hat nachgelassen. Die Qualität der Zielunternehmen ist im Kern noch immer dieselbe, aber natürlich sind die Investoren vorsichtiger geworden. Keiner weiß, ob wir schon durch die Krise hindurch sind, ich möchte natürlich nicht in zwölf Monaten vor meinen Investoren und LPs stehen und ihnen erklären müssen, dass ich mit ihrem Geld im Spielcasino war und nun 20% unter Wasser bin. Daher: Wir investieren nie in einem bestimmten Zeitrahmen, sondern immer auf der Grundlage von Chancen, und das hat sich bisher nicht geändert.

Gibt es in diesem Jahr denn schon Deals, die Sie hervorheben können?

Einzelheiten kann ich nicht nennen, aber wir haben in jedem europäischen Land, in dem wir aktiv sind, Investitionen tätigen können, bspw. in Frankreich, Großbritannien und in den Niederlanden. In Europa haben wir insgesamt schon vier Deals in diesem Jahr gemacht.

Wie groß waren die?

In diesem Fall waren sie im Frühphasenbereich, also zwischen 1 Mill. und 10 Mill. Euro.

Und können Sie einen Schwerpunkt nennen?

Wir sind ein Sektor-agnostischer Investor. Wir legen breit an. In den vergangenen 15 Jahren haben wir viel in Fintech-Firmen investiert, früher war es mal mehr E-Commerce. Das wechselt.

Und welche Beteiligungshöhe streben Sie an, gibt es da eine Faustformel?

In der frühen Phase übernehmen wir in der Regel zwischen 10 und 20% an einem Unternehmen. Da sind meistens die Räume noch sehr klein. Wir versuchen meist, der erste außenstehende Investor zu sein. Wir verteidigen wie gesagt unser Investment in weiteren Runden, lassen uns später allerdings auch manchmal verwässern. Vielleicht kommen wir dann am Ende mit 10% an der Firma durch die Ziellinie. Aber wir versuchen meist auch, bis zum IPO dabei zu sein.

Was haben Sie denn in Deutschland im Portfolio, das vielleicht schon einen Unicorn-Status hat und auf ein IPO zusteuern könnte?

Wir sind an Staffbase beteiligt. Die sind inzwischen mit mehr als 1 Mrd. Euro bewertet und wachsen weiterhin sehr schnell. Viele Softwareunternehmen schreiben Verluste, weil sie Geld in Wachstum stecken. Sobald sie das zurückschrauben, werden sie schnell hochprofitabel.

Wie kommt man denn bei solchen Unicorns nun raus? Über ein IPO? Da geht in Deutschland derzeit nichts!?

Wir haben viele IPOs gemacht und alle eigentlich in den USA. Wir sprechen intensiv mit der Deutschen Börse, sowohl als Start-up-Verband als auch als Wagniskapitalgeber, darüber, wie wir den Börsenstandort Deutschland attraktiver machen können

Wann rechnen Sie denn damit, dass das IPO-Fenster hierzulande wieder aufgeht?

Hm, alle warten und hoffen. Wir gehen davon aus, dass 2023 und 2024 schlechte Jahre dafür sein werden. Wir werden im Tech-Bereich den einen oder anderen Deal sehen, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass wir ein offenes Börsenfenster vor 2025 haben werden.

IM INTERVIEW: CHRISTIAN MIELE

„Jetzt sind wir alle ein bisschen vorsichtiger geworden“

Der Headline-Manager über längere Investitionszyklen, Renditeziele von 30 Prozent und die Kunst, in schwieriger Zeit Liquidität zu beschaffen

Christian Miele registriert vor allem bei jungen Start-ups nur geringe Bewertungsabschläge. Ein Grund dafür sei, dass sich inzwischen neben Wagniskapitalgebern auch Private Equity und Hedgefonds in der Szene tummeln. Headline setzt bei der Investmentsuche inzwischen auch künstliche Intelligenz ein. Im schwierigen Umfeld dieses Jahres wurden bisher vier Frühphasen-Investments abgeschlossen.

Das Interview führte Heidi Rohde.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.